
Mit einer Prävalenz von 1:2.500 zählt die Charcot-Marie-Tooth (CMT)-Erkrankung zu den seltenen Erkrankungen. Unter den erblichen Leiden des peripheren Nervensystems ist sie aber die häufigste Erkrankung. Bisher gibt es keine kausale Therapie der Erkrankung.
Wissenschaftler finden Therapiemöglichkeit
Göttinger Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin (MPI-EM) und der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) konnten nun im Tiermodell zeigen, dass das Nahrungsergänzungsmittel Lecithin zur Therapie einer Form der CMT – der CMT1A - geeignet ist [1].
Die Studie wurde in dem renommierten Fachblatt „Nature Communications“ veröffentlicht [2]. Gefördert wurde die Studie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Netzwerkverbundes „CMT-NET“ zur Erforschung der erblichen Erkrankung.
Gestörter Fettstoffwechsel führt zu mangelnder Myelinbildung
Die Axon des peripheren Nervensystems werden von Schwannzellen mit einer isolierenden Myelinschicht umgeben. Die Göttinger Forscher haben in Zusammenarbeit mit Neurowissenschaftlern aus ganz Deutschland bei genetisch veränderten Ratten nachweisen können, dass die erkrankten Schwannzellen in der Entwicklung nicht ausreichend Myelin bilden können, weil der Fettstoffwechsel gestört ist. Es kommt zu einer reduzierten Transkription von Genen, die für die Myelin-Lipid-Biosynthese wichtig sind.
Myelinproduktion ist für die Schwannzellen aufwendig
„Die Myelinproduktion ist für die Schwannzellen sehr aufwendig. Bei einer Störung wie der Charcot-Marie-Tooth Erkrankung bleiben viele Nervenfasern ohne Myelin, und sind damit in ihrer Funktion beeinträchtigt.“ erklärt der Erstautor der Studie, Dr. rer. nat. Robert Fledrich, Institut für Anatomie der Universität Leipzig und Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin.
Lecithin fördert Myelinisierung
Die Wissenschaftler konnten zunächst in Zellkulturen und im Tiermodell zeigen, dass Phospholipide – zu denen auch Lecithin gehört – von den Schwannzellen aufgenommen werden können. Die Zellen nutzen die Phospholipide zur Myelinproduktion.
Therapie lindert Erkrankungsverlauf
In mehrere Therapiestudien mit erkrankten Ratten wurde Lecithin in unterschiedlichen Dosierungen und Behandlungszeiträumen eingesetzt. Dabei zeigte sich, dass eine Phospholipid-Therapie die Myelinisierung fördert. Daneben lindere die Therapie den Erkrankungsverlauf, und zwar unabhängig vom Behandlungsbeginn, erklärt Dr. Ruth Stassart, Oberärztin der Abteilung Neuropathologie der Universität Leipzig, Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin, und Co-Leiterin der Studie.
Lecithin als Therapeutikum der CMT prädestiniert
„Die vielversprechenden Daten aus den Tierversuchen und insbesondere die bereits erwiesene gute Verträglichkeit in Menschen prädestinieren Lecithin als Therapeutikum für die CMT-Erkrankung und möglicherweise auch andere demyelinisierende Erkrankungen“, ergänzt Professor Dr. Michael Sereda, Oberarzt an der Klinik für Klinische Neurophysiologie der UMG, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut und Co-Letztautor der Studie.
Die neu gewonnen Erkenntnisse sollen nun für Patienten im Rahmen von klinischen Studien nutzbar gemacht werden.
Die CMT-Erkrankung
Die Ursache der CMT ist ein Gendefekt, der zu Verdopplung des Gens für PMP22 (Peripheral Myelin Protein 22) führt. Die Vererbung der meisten CMT-Neuropathien folgt einem autosomal-dominanten Erbgang. Seltener sind autosomal-rezessive und X-chromosomal gebundene Erkrankungen.
Symptome der CMT
Patienten mit CMT1A entwickeln eine langsam fortschreitende Nervenschädigung. Zu den Symptomen zählen:
- Gehschwierigkeiten
- Fußdeformitäten
- Sensibilitätsstörungen (Taubheit, Kribbeln, Schmerzen)
- Schwindende Kraft in den Extremitäten.
Gehschwierigkeiten und Fußdeformitäten können bereits im Kindesalter auftreten. Die im Erkrankungsverlauf entstehenden Lähmungen führen zur funktionellen Beeinträchtigung der Patienten und können in seltenen Fällen in einer Rollstuhlpflichtigkeit der Patienten resultieren.
Therapie der CMT
Bisher gibt es keine kausale Behandlung für die CMT-Erkrankung. Zu den supportiven Maßnahmen zählen Physiotherapie, orthopädietechnische und chirurgische Behandlungen. Letztere dienen insbesondere dem Funktionserhalt der unteren Extremitäten.
Medikamente kommen in der symptomatischen Therapie zum Einsatz. Es können beispielsweise Analgetika zur Behandlung der neuropathischen und mechanischen Schmerzen eingesetzt werden.