DGN 2021: Neurologische Langzeitfolgen von COVID-19

In Deutschland wurden in der SARS-CoV-2-Pandemie verschiedene Kohortenstudien initiiert, um die Infektion und ihre Folgen besser charakterisieren zu können. Eine populationsbasierte Kohortenstudie aus Schleswig-Holstein weist auf die Langzeitfolgen der Erkrankung hin.

Langzeitbetrachtung

In der populationsbasierten Kohortenstudie COVIDOM sollen inzidentelle Infektionsfälle aus Schleswig-Holstein über lange Zeit verfolgt werden. Wie Professor Dr. Stefan Schreiber von der Abteilung für Innere Medizin I des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Kiel berichtete, wurden SARS-CoV-2-Infizierte, die den Gesundheitsämtern gemeldet worden waren, kontaktiert. Die Bereitschaft, an der Studie teilzunehmen, war groß, berichtete Schreiber: Bis zu 80% der an die Gesundheitsämter gemeldeten stimmte zu.

Umfassende Nachuntersuchung

Sechs bis neun Monate nach dem Infektionsnachweis wurden die Teilnehmer zu einer umfassenden Phänotypisierung mit Anamnese, klinischen Untersuchungen und Ausfüllen diverser Fragebögen eingeladen, die danach alle zwei Jahre wiederholt werden soll. Ziel der Kohortenstudie ist die Untersuchung der Symptompersistenz und die post-infektiöse Nachsorge. Schreiber betonte, dass es sich um einen krankenversorgungsangelehnten Prozess handele. Die Patienten bekämen eine qualitätskontrollierte Versorgung, die über die normale Versorgung hinausgehe, ohne dass sie etwas dafür bezahlen müssten.

Typische Symptomverteilung und Behandlungshäufigkeit

Anlässlich des DGN-Kongresses 2021 stellte er eine frühe Auswertung von 318 Probanden aus dem Frühjahr 2021 vor. 20% hatten eine vorbestehende Lungenerkrankung, 32% eine Herz-Kreislauf-Erkrankung und 26% eine neurologische oder psychiatrische Diagnose. Für die Akutphase gaben die Patienten als häufigste Symptome Husten (72%), Geschmacksstörungen (69%), Gliederschmerzen (68%), Geruchsstörungen (67%), Kopfschmerzen (67%), Fieber (62%), Dyspnoe (59%), Halsschmerzen (58%), Muskelschmerzen (55%) und Schüttelfrost (51%) an. Für 95 der 318 Patienten (30%) war eine Behandlung dokumentiert. 54 von 95 behandlungsbedürftigen Patienten (56% oder 17% der Gesamtkohorte) hatten sich zu Hause auskuriert, 30 (31% der behandlungsbedürftigen Patienten oder 9,4% der Gesamtkohorte) waren stationär behandelt worden, 8 (8,4% der behandlungsbedürftigen Patienten oder 2,5% der Gesamtkohorte) auch intensiv und 4 Patienten (4,1% der behandlungsbedürftigen Patienten oder 1,3% der Gesamtkohorte) waren beatmet worden. Diese Verteilung habe sich auch mit der inzwischen deutlich größeren Zahl von eingeschlossenen Patienten nicht geändert, erklärte Schreiber.

Frühe Ergebnisse zu COVID-19-Spätfolgen

Sechs bis neun Monate nach der Positivtestung gaben noch 56% der Studienteilnehmer an, Symptome zu haben. Persistierend waren besonders häufig Geruchsstörungen (33,8%), Kurzatmigkeit (30,6%), Geschmacksstörungen (24,4%), Schwindel (17,5%), Muskelschmerzen (14,4%) und Brustschmerzen (13,1%). 36% gaben an, ihre frühere Leistungsfähigkeit noch nicht wieder erreicht zu haben. Die durchschnittliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit war mit 32,9 Tagen lang. Häufig genannte wiederkehrende Beschwerden seit der Infektion waren Fatigue,  Konzentrationsstörung und Schlafstörung. Nach eigenen Angaben fühlte sich ein gutes Drittel der Befragten noch immer in der beruflichen Leistungsfähigkeit und ein knappes Viertel bei der Bewältigung der Hausarbeit eingeschränkt. Interessanterweise fand sich in der HNO-Untersuchung nur eine Verschiebung der Riechschwelle und bei der pneumologischen, kardiologischen und hepatologischen Untersuchung zeigten sich keine objektivierbaren Veränderungen. Dagegen ergab die neurologische Abklärung bei 62% der Studienteilnehmer Auffälligkeiten, darunter bei 47% eine Denkstörung, bei 27% eine Sprachstörung, bei 31% eine mentale und bei 43% eine körperliche Fatigue sowie bei 53% eine rasche Ermüdbarkeit („Fatiguability).

Langzeitbeobachtung geplant

Inzwischen wurde die Kohorte um Teilnehmer aus dem Raum Würzburg und Berlin erweitert. Zukünftig ist auch ein Vergleich der SARS-CoV-2-Infizierten mit einer Kohorte Nichtinfizierter aus dem gleichen Raum geplant. Im Interesse der Forscher ist, ob sich über Jahre und Jahrzehnte nach SARS-CoV2-Infektion Unterschiede zum normalen Alterungsprozess und dem Entstehen chronischer Erkrankungen zeigen. Wenn ja, müsste man zukünftig Viruserkrankungen möglicherweise ganz neu bewerten, meinte Schreiber.

Autor:
Stand:
11.11.2021
Quelle:

Prof. Dr. Stefan Schreiber: „Die COVIDOM-Studie und die populationsbasierte Kohorte“, Webcast „NAPKON: Nationale Kohorten zu neurologischen Manifestationen von COVID-19“, virtueller 94. Kongress der deutschen Gesellschaft für Neurologie, 3.-6. November 2021.

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