Hintergrund
Rund 800.000 Menschen in Deutschland leiden an einer Epilepsie und müssen Antikonvulsiva einnehmen, um Anfälle zu vermeiden. Bei rund zwei Dritteln der Patienten kann eine Anfallsfreiheit erreicht werden. In Deutschland gibt es eine breite Palette von zugelassenen Antikonvulsiva – Originalpräparate und Generika. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit sind die behandelnden Ärzte angehalten, die jeweils kosteneffizientesten bioäquivalenten Präparate zu verschreiben [1].
Praxiserfahrung versus Wirtschaftlichkeit
Bioäquivalente Präparate gleichen sich zwar hinsichtlich Wirkstoffen, Verabreichungsform und anderen Parametern, dennoch beobachten Neurologen in der Praxis, dass es nach dem Austausch eines Präparats auf ein bioäquivalentes Produkt eines anderen Herstellers bei bisher anfallsfreien Patienten erneut zu Anfällen oder zu vermehrten Anfällen kommen kann.
Zielsetzung
Eine aktuelle retrospektive Untersuchung basierend auf mehr als 30.000 Datensätzen von 163 repräsentativen Neurologiepraxen in ganz Deutschland überprüfte nun, ob und welches Risiko für ein Wiederkehren der epileptischer Anfälle mit einem Austausch bioäquivalenter Produkte unterschiedlicher Hersteller verbunden ist [2].
Methodik
Aus den etwa 30.000 Datensätzen wurden Epilepsiepatienten gefiltert, für die zwei Rezepte innerhalb von 360 Tagen und ein Rezept 180 Tage vor dem Index-Datum verfügbar waren. Als Index-Datum wurde für die Patienten mit Anfällen das Datum des ersten Anfalls im Studienzeitraum und für Patienten ohne Anfall ein zufällig ausgewähltes Datum definiert.
Matching der Gruppen
Die Kohorte wurde in Patienten mit Anfällen und eine Gruppe anfallsfreier Epilepsiepatienten (Kontrolle) unterteilt. Beide Gruppen wurden hinsichtlich Alter, Geschlecht, Versicherungsstatus (privat, gesetzlich) und behandelndem Arzt gematcht. Das Risiko eines „Breakthrough-Anfalls“ infolge eines bioäquivalenten Medikamentenwechsel nach längerer Anfallsfreiheit wurde mithilfe eines multivariaten Regressionsmodells analysiert.
Ergebnisse
Insgesamt wurden 3.530 Menschen mit Epilepsie in die Studie aufgenommen. In jeder Gruppe befanden sich 1.765 Patienten im Alter von 53,7 Jahren +/- 19,8 Jahren. Die Patienten mit Anfällen hatten das Medikament innerhalb der bioäquivalenten Palette häufiger gewechselt als die Kontrollgruppe, 26,8% versus 14,2% (Odds-Ratio 1,35; 95% confidence interval [CI] = 1,08–1,69; p = 0.009). Dabei fanden sowohl Wechsel von Originalpräparat zum Generikum als auch umgekehrt sowie der Austausch von Generika statt.
Fazit
Professor Dr. Hajo M. Hamer vom Universitätsklinikum Erlangen und 1. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie e. V. erklärt das höhere Anfallsrisiko so: „Verschiedene generische Präparate enthalten zwar die gleichen Wirkstoffe, unterscheiden sich aber mitunter hinsichtlich der Hilfsstoffe. Auch wenn sich die Darreichungsform, das Aussehen, die Größe oder die Stärke der Tabletten ändern, kann das zu Einnahmefehlern und Verwechselungen führen, die den Therapieerfolg gefährden und zu einem höheren Anfallsrisiko führen kann.“
Hilfestellung durch Fachgesellschaft
Der Druck zur Wirtschaftlichkeit einerseits und das Risiko von Anfallsrezidiven durch einen Medikamentenwechsel andererseits stellen Neurologen vor ein Dilemma. Die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie e.V. hat daher eine Stellungnahme mit Vorschlägen zur Vermeidung von Medikamentenwechseln oder zur optimalen medizinischen und kommunikativen Begleitung einer unumgänglichen Präparateumstellung veröffentlicht [3].