
Hintergrund
Ein Drittel der Patienten mit einer fokalen Epilepsie zeigen eine Medikamentenresistenz. Von einer medikamentenresistenten Epilepsie oder Pharmakoresistenz spricht man, wenn mindestens zwei vertragene, geeignet und korrekt angewendete Antikonvulsiva (als Monotherapie oder in Kombination) ohne Erfolg blieben.
Bei fokaler Epilepsie mit Pharmakoresistenz sollte ein epilepsiechirurgischer Eingriff in Erwägung gezogen werden. Dieser gehört zu den nicht-medikamentösen Therapieansätzen bei Epilepsie. Bei den epilepsiechirurgischen Eingriffen unterscheidet man resektive (kurative) Verfahren und nicht resektive (palliative) Verfahren. Daneben existieren Verfahren zur Neurostimulation, welche die Vagusnervstimulation und die tiefe Hirnstimulation umfassen.
Die resektive Epilepsiechirurgie führt bei ca. 65% der Patienten mit fokaler Epilepsie zur Anfallsfreiheit und einer deutlich verbesserten postoperativen Lebensqualität. Retrospektive Analysen zeigen, dass etwa 20-32% der geeigneten Patienten den Eingriff ablehnen. Nahezu die Hälfte der Patienten lehnt auch ein intrakranielles EEG ab, nachdem ein Oberflächen-EEG nicht aussagekräftig war.
Verschiedene Studien haben untersucht, welche Faktoren zu einer Ablehnung des Eingriffs führen. Dabei zeigten sich Lernschwäche, eine unauffälliges kranielles MRT, bilaterale Läsionen im MRT, extratemporale Epilepsie und psychiatrische Komorbiditäten als Prädiktoren für die Ablehnung eines epilepsiechirurgischen Eingriffs. In einer kleinen Kohorte mit 32 Teilnehmern lehnten Patienten den Eingriff eher ab, wenn sie ihre Krankheitsbürde als gering empfanden, die Angst vor dem chirurgischen Eingriff größer war, Informationen von Mitmenschen weniger schätzten und eine höhere Inzidenz psychiatrischer Komorbiditäten aufwiesen.
Zielsetzung
Ein Team um Dr. Mirja Steinbrenner (Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie der Charité Universitätsmedizin, Berlin) untersuchte in einer prospektiven Studie Charakteristika und individuelle Gründe von Epilepsie-Patienten, die den Rat ihres Arztes zu einer resektiven Epilepsiechirurgie mit vorhergehendem Video-EEG-Monitoring (VEM) ablehnten.
Methodik
In die prospektive Studie wurden Patienten (≥ 18 Jahre) mit einer pharmakoresistenten fokalen Epilepsie mit mindestens einem Oberflächen-VEM im präoperativen Assessment in den Jahren 2016 bis 2018 inkludiert. Epilepsie-bezogene und psychosoziale Variablen wurden mit einbezogen. Die Entscheidungsfindung von Ärzten und Patienten wurde untersucht und die Gründe für eine Ablehnung des Eingriffs von Patientenseite.
Das präoperative Assessment wurde am Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg durchgeführt. Zunächst wurden die Ergebnisse von Oberflächen-VEM, kraniellem MRT (3 Tesla) mit Epilepsie-spezifischem Protokoll, neuropsychologischen Tests und die Gesamtbefunde jedes Patienten in einem interdisziplinären Meeting diskutiert. Hier wurde über die Eignung zur OP entschieden. Die Entscheidung wurde den Patienten im Anschluss mitgeteilt. Dieses Patientengespräch wurde im Rahmen der Studie stets vom gleichen Neurologen geführt.
Ergebnisse
Von 116 Patienten lagen Aufzeichnungen von insgesamt 165 VEM vor. Es zeigten sich 20 Patienten ungeeignet für den Eingriff, 51 lehnten den Eingriff ab und 45 folgten dem Rat zur OP oder weiteren VEM-Abklärung.
Angst vor OP und geringe Anfallsfrequenz als Ablehnungsgründe
Die häufigsten Gründe, warum die Patienten den Eingriff ablehnten, waren die generelle Angst vor einem chirurgischen Eingriff am Gehirn (n = 30, 59%) und eine aktuell geringere Anfallsfrequenz (n = 11, 59%), Angst vor peri- oder postoperativen Komplikationen (n = 9, 18%) und die Annahme, dass eine Anfallsfreiheit sehr unwahrscheinlich sei (n = 9, 18%). Jeder Patient konnte mehr als einen Ablehnungsgrund nennen. Als unabhängiger Prädiktor für die Ablehnung des Eingriffs durch die Patienten erwies sich eine geringere Angst vor den Anfällen (Odds Ratio [OR] 0,43; p = 0,02), welche mithilfe eines standardisierten Fragebogens erhoben wurde.
Als mögliche Einflussfaktoren bei der Entscheidung zeigten sich Beziehungsstatus und soziale Unterstützung: Patienten, die den Eingriff oder weitere VEMs ablehnten, lebten häufiger alleine und die eignen Kinder lebten seltener im gleichen Haushalt. In der univariaten Analyse waren die Unterschiede statistisch nicht signifikant. In der multivariaten Analyse zeigten sich eine geringere Angst vor der Epilepsie – ermittelt mittels PESOS-Fragebogen (Performance, Socio-demographic aspects, Subjective evaluation) – und ein jüngeres Alter als unabhängige Prädiktoren für eine Ablehnung des Eingriffs.
Fazit
In dieser Studie lehnte die Hälfte der Patienten mit einer pharmakoresistenten fokalen Epilepsie, die für einen resektiven Eingriff geeignet gewesen wäre, den Eingriff oder weitere VEMs ab. Patienten, die sich gegen den epilepsiechirurgischen Eingriff entschieden, hatten größere Angst vor einem neurochirurgischen Eingriff als vor den anhaltenden Anfällen.
Die Studienergebnisse liefern einen Einblick in die vielfältigen Einflussfaktoren auf den Entscheidungsprozess der Patienten. Weitere Studien in einer größeren Patientenpopulation im multizentrischen Setting seien wünschenswert, um den Einfluss der psychosozialen Faktoren detaillierter zu untersuchen, so das Fazit der Autoren.