Epstein-Barr-Virus bei früher Multipler Sklerose

Die Evidenz für einen Zusammenhang zwischen einer Epstein-Barr-Virus Infektion und der Entstehung einer Multiplen Sklerose konnte durch eine Seroprävalenz-Studie erhärtet werden, in der 100% der Patienten mit früher Multiplen Sklerose seropositiv waren.

Epstein-Barr-Virus-Diagnostik

Hintergrund

Das Epstein-Barr-Virus (EBV) ist in der Bevölkerung sehr weit verbreitet: Ab dem 40igsten Lebensjahr sollen etwa 98% der Menschen mit EBV infiziert sein. Während EBV-Infektionen im Kindesalter in der Regel asymptomatisch verlaufen, können sie bei Jugendlichen und Erwachsenen zu einer infektiösen Mononukleose (Pfeiffersches Drüsenfieber) führen. Als Herpes-Virus persistiert auch EBV nach der Infektion lebenslang und kann bei einer Immunsuppression reaktiviert werden. Es steht im Verdacht bei der Entstehung verschiedener Krebsarten und Autoimmunerkrankungen, darunter auch der Multiplen Sklerose (MS) beteiligt zu sein.

EBV und MS

Für einen Zusammenhang zwischen EBV-Infektion und MS-Erkrankung besteht eine konsistente Evidenz. Daher wurde die Hypothese aufgestellt, dass MS potenziell als seltene und späte Komplikation einer EBV-Infektion betrachtet werden könne. Tatsächlich waren im Rahmen verschiedener Studien zwischen 98-100% der MS-Patienten EBV-positiv. Angesichts der relativ hohen und im Alter zunehmenden Seroprävalenz von EBV in der Allgemeinbevölkerung spricht die hohe EBV-Seroprävalenz alleine jedoch nicht zwangsläufig für einen Zusammenhang zwischen EBV-Infektion und MS.

Seronegative MS-Patienten schwächen die Evidenz

Bei einem direkten Zusammenhang zwischen EBV-Infektion und MS sollte jeder MS-Patient seropositiv sein. In vorangegangenen Untersuchungen waren einzelne MS-Patienten jedoch seronegativ getestet worden. Allerdings waren die Einschlusskriterien der Studien heterogen, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass einige der Studienteilnehmer nicht an einer MS litten. Darüber hinaus hängt die festgestellte EBV-Seropositivität eines Patienten auch von der Sensitivität und Spezifität des verwendeten Immunoassays ab. Es fiel auf, dass die EBV-Seroprävalenz bei MS-Patienten in den wahrscheinlich robusteren Studien (strenge Einschlusskriterien und Durchführung von zwei sich ergänzenden Assays) näher bei 100% lag.

Systematische Suche nach seronegativen MS-Patienten

Um die Evidenz eines Zusammenhang zwischen EBV-Infektion und MS-Erkrankung zu stärken, hat das Krankheitsbezogenen Kompetenznetzes Multiple Sklerose (KKNMS) in Zusammenarbeit mit verschiedenen deutschen Zentren eine Seroprävalenz-Studie konzipiert. Hierzu wurden Teilnehmer aus der Nationalen Kohortenstudie in Deutschland rekrutiert, bei denen eine frühe MS entweder in Form eines klinisch isolierten Syndroms (clinically isolated syndrome [CIS]) oder eine schubförmige remittierende MS (relapsing-remitting multiple sclerosis [RRMD]) diagnostiziert worden war.

Zielsetzung

Ziel der Studie war es, die Prävalenz von Antikörpern gegen das Epstein-Bar-Virus (EBV) in einer Kohorte von Patienten mit einer frühen Multiplen Sklerose (MS) festzustellen.

Methoden

Die Studie wurde als Teilstudie der Nationalen Kohortenstudie in Deutschland durchgeführt. Dabei handelt es sich um eine prospektive Kohortenstudie mit Patienten, die unter einer frühen MS leiden. Die Einschlusskriterien der Nationalen Kohortenstudie sind vergleichsweise strikt. Als Einschlusskriterien für die aktuelle Teilstudie war das Vorliegen eines CIS oder einer frühen RRMS. Im Rahmen der Studie wurden die Sera von 901 Teilnehmern auf das Vorkommen von Antikörpern gegen das nukleäre Antigen von EBV (EBNA-1) und das EBV virale Capsid Antigen (VCA).

Untersuchungen

Zuerst wurden die verdünnten Sera aller Teilnehmer mit von Chemilumineszenz-Immunoassay auf Antikörper gegen EBNA-1 und VCA untersucht. Bei Teilnehmern mit seronegativem Ergebnis wurden erneut getestet. Im zweiten Testlauf wurde unverdünntes Serum mit EBV IgG Immunoblot untersucht. Zum Vergleich wurde eine retrospektive Analyse der EBV-Seroprävalenz in einer 16.163 Individuen umfassenden Patientenkohorte der Charité- Universitätsklinik, Berlin, durchgeführt. Die Charité-Kohorte war aus unterschiedlichen Gründen auf EBV getestet worden.

Ergebnisse

Die MS-Patienten waren 27-40 (im Mittel 30) Jahre alt. Die Vergleichskohorte war 0-79 Jahre alt. Mithilfe des Chemiluminiszenz-Immunoassays wurden bei 839/901 der Teilnehmer der Nationalen Kohortenstudie mit CIS oder RRMS EBNA-1 Antikörper festgestellt. Bei 45 der 62 Patienten ohne EBNA-1-Antiköper im CLIA konnten VCA-Antikörper per CLIA nachgewiesen. Im anschließenden EBV IgG Immunoblot konnten auch bei den 17 Patienten, die im CLIA seronegativ erschienen, EBV-Antikörper nachgewiesen werden. Die Teilnehmer der Nationalen Kohorte waren als zu 100% EBV-seropositiv. In der Charité-Vergleichsgruppe stieg die EBV-Seroprävalenz mit dem Alter der Individuen bis zu einem Wert von 98% an, erreichte aber nie 100%. In der Altersgruppe der frühe MS- Patienten waren etwa 95% der Vergleichskohorte seropositiv.

Fazit

Aufgrund der weiten Verbreitung von EBV ist der Nachweis eines direkten Zusammenhanges zwischen einer Infektion mit EBV und der Entstehung einer Multiplen Sklerose schwer zu erbringen. In der vorliegenden Studie stärken die 100%ige Seroprävalenz von EBV bei relativ jungen Patienten mit früher MS im Vergleich zu einer Seroprävalenz von nur 95,2% in der gleichen Altersgruppe einer Vergleichskohorte die Evidenz, das eine EBV-Infektion an der Entstehung einer MS-Erkrankung beteiligt sein könnte. Zukünftige Studien sollten, so empfehlen die Autoren, ihre Fokus auf die Klärung der potentiellen Pathomechanismen legen, die dazu führen, dass sich eine Multiple Sklerose nach einer EBV-Infektion entwickelt.

Autor:
Stand:
25.05.2020
Quelle:

Abrahammyan et al. (2020): Complete Epstein-Barr virus seropositivity in a large cohort of patients with early multiple sclerosis. J Neurol Neurosurg Psychiatry. DOI: 10.1136/jnnp-2020-322941

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