Ernährung kann Multiple Sklerose lindern

Propionsäure, ein Stoffwechselprodukt des Darm-Mikrobioms, regt die Bildung von regulierenden T-Zellen an, die überschießende Entzündungsreaktionen hemmen. Eine adjuvante diätetische Therapie mit Propionsäure kann den Verlauf von Multiple Sklerose deutlich lindern.

Propionsaeure

Hintergrund

Wenn SARS-COV-2 das öffentliche Leben derzeit nicht lahmlegen würde, wäre der Japanische Immunologe Shimon Sakaguchi am 14. März 2020 für die Entdeckung der regulatorischen T-Zellen (Treg) mit dem Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis in der Frankfurter Paulskirche ausgezeichnet worden. Aufgrund des aktuellen Infektionsrisikos musste die festliche Verleihung des Preises jedoch abgesagt werden. Nur wenige Tage vorher veröffentlichte die Ruhr Universität Bochum (RUB) eine Pressemitteilung zu einem diätetischen Therapieansatz, der die Neubildung von Treg induziert und den Verlauf der Multiplen Sklerose mildern kann. [1]

Multiple Sklerose und Regulatorische T-Zellen

Die Multiple Sklerose (MS) ist eine neurodegenerative Erkrankung aufgrund überschießender Entzündungsreaktionen infolge autoimmuner Prozesse. „Regulatorische T-Zellen beenden überschießende Entzündungsreaktionen und reduzieren im Kontext von Autoimmun-Erkrankungen wie der MS autoimmune Zellen“, erklärt Prof. Dr. Ralf Gold, Direktor der Neurologie im St. Josef Hospital.

Propionsäure fördert die Bildung von Treg

Propionsäure ist eine kurzkettige Fettsäure und wird vom Darm-Mikrobiom gebildet. Sie gelangt über die Darmwand in den Organismus und beeinflusst das Immunsystem. Vorangegangene Studien der RUB zeigten, dass Propionsäure in Zellkulturen und im Tiermodell die Bildung von Treg fördert und die Aktivität dieser regulatorischen Immunzellen stimuliert. In einem aktuellen Forschungsprojekt der RUB untersuchten die Wissenschaftler, ob sich die gewonnenen Erkenntnisse auf die Situation und die Behandlung von MS-Patienten übertragen lassen. [2]

Zielsetzung

Im Rahmen der Studie wurde untersucht, ob das Darm-Mikrobiom von MS-Patienten weniger Propionsäure produziert. Danach wurde geprüft, ob und welche Auswirkungen eine Supplementierung mit Propionat auf die Neubildung von regulatorischen T-Lymphozyten und den Verlauf der Erkrankung bei MS-Patienten hat.

Methoden

In einem ersten Schritt wurde untersucht, ob die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms bei Multipler Sklerose verändert ist. Darüber hinaus wurden die Gehalte von Propionsäure im Stuhl und im Serum von MS-Patienten gemessen. Danach wurde die Kost der MS-Patienten mit Propionat supplementiert. Die Medikation der Patienten wurde unabhängig von der adjuvanten diätetischen Therapie geplant. Unter der Supplementierung wurden funktionelle Analysen des Mikrobioms durchgeführt und der klinische Verlauf der Multiplen Sklerose dokumentiert.

Ergebnisse

Die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms der MS-Patienten war gegenüber der des Mikrobioms gesunder Patienten verändert. Insbesondere in der Frühphase der Multiplen Sklerose konnte ein Mangel an Propionsäure im Serum und im Stuhl der Patienten nachgewiesen werden. Die funktionelle Analyse des Mikrobioms zeigte nach der Supplementierung mit Propionat einen Anstieg der Expression Treg-induzierender Gene im Kolon. Anzahl, Stoffwechsel und Funktion der Treg ebenso wie die Interleukin 10 (IL-10) Produktion stiegen an. Die Anzahl von Th17-Zellen nahm hingegen ab. Die Post-hoc Analyse des klinischen Verlaufs der Multiplen Sklerose bei drei Jahren Supplementierung zeigte eine Senkung der jährlichen Schubrate, eine verringerte Behinderungszunahme und eine Reduktion des Gehirnschwundes aufgrund des krankheitsbedingten Nervenzelluntergangs.

Fazit

Die kurzkettige Fettsäure Propionsäure ist nur ein Puzzlesteinchen im komplexen Wechselspiel von Mikrobiom, Stoffwechsel, Immunsystem und dem Gesamtorganismus. Der Leiter des Forscher Teams an der Neurologischen Klinik der Ruhr-Universität Bochum (RUB) im St. Josef-Hospital Prof. Dr. Aiden Haghikia sieht in der Mikrobiom-Forschung im Zusammenhang mit Erkrankungen wie der Multiplen Sklerose noch viel Potenzial für die Entwicklung neuer Therapiestrategien: „Die weitere Erforschung dieses weitestgehend unbekannten Organs und die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden es erlauben, in Zukunft weitere innovative diätetische Maßnahmen zu den bekannten Therapeutika zu entwickeln.

Autor:
Stand:
09.04.2020
Quelle:
  1. Ruhr Universität Bochum (2020): „Ernährung beeinflusst den Verlauf von Multipler Sklerose“ Pressemitteilung 10.03.2020
  2. Duscha et al. 2020: Propionic acid shapes multiple sclerosis disease course by immunomodulatory mechanism, Cell, In Press, Corrected Proof DOI: 10.1016/j.cell.2020.02.035
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