
Datenlage zur FTLD
Frontotemporale lobäre Degenerationen (FTLD) bezeichnen eine Gruppe von Erkrankungen hervor, deren Leitsymptome Veränderungen der Persönlichkeit, des Sozialverhaltens und der Sprachkompetenz sind. Eine klinische Unterform ist die frontotemporale Demenz, wobei die beiden Begriffe oft synonym verwendet werden. Die Leitsymptome der FTLD treten häufig in einem jüngeren Alter der Patienten auf als die Symptome anderer Demenzerkrankungen. Die FTLD gilt als seltene Erkrankung, für die es bislang nur wenige Studien zur Inzidenz gibt.
Davon wurden die meisten Studien in jüngeren Alterskohorten (z. B. ≤70 Jahre) durchgeführt. Bei einer populationsbasierten Studie ohne Altersbegrenzungen schätzen Wissenschaftler die Inzidenz der FTLD auf 1,61 pro 100.000 Personenjahre.
Datenbasis für gesundheitspolitische Strategien
Angesichts des Anstiegs demenzieller Erkrankungen sind Daten zu deren Inzidenz erforderlich, um Strategien zu Versorgung von Patienten mit verschiedenen Demenzformen zu entwickeln. Um Inzidenz und Prävalenz von FTLD-assoziierten Störungen in Europa zu quantifizieren, wurde eine Forschungsinitiative, die Frontotemporal Dementia Incidence European Research Study (FRONTIERS), ins Leben gerufen. FRONTIERS hat nun die Ergebnisse einer retrospektiven Analyse von 13 populationsbasierten Registern spezialisierter FTLD-Zentren aus 9 EU-Ländern zur Inzidenz FTLD-assoziierter Syndrome in JAMA-Neurology veröffentlicht [1].
Analyse von Inzidenz, Verteilung und Prädispositionen
Die Analyse sollte die Inzidenz von FTLD-assoziierten Krankheiten in Europa ermitteln und die Grundlage für eine Schätzung der neuen Fälle pro Jahr schaffen. Daneben wurden Daten zur Verteilung und geographischen Verbreitung der verschiedenen Phänotypen, zur Häufigkeit einer familiären Anamnese und zur alters- und geschlechtsspezifischen Inzidenz ausgewertet.
Populationsbasis: 11 Millionen Menschen
Die Analyse basierte auf einer kombinierten Population von >11 Millionen Personenjahren aus 13 Regionen der teilnehmenden Länder. In den Registern fanden sich 267 FTLD-Fälle, davon betrafen 156 Männer (58,43% ). Das Durchschnittsalter der Patienten lag bei 66,70 Jahre.
Die geschätzte jährliche Inzidenzrate für FTLD in Europa betrug 2,36 pro 100.000 Personenjahre (PJ) (95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,59 bis 3,51). Die FTLD-assoziierten Krankheiten waren bis auf je eine Region in Finnland, den Niederlanden und in Schweden annähernd homogen verbreitet. Die Anzahl neuer Fälle von FTLD in Europa pro Jahr wurde auf 12.057 geschätzt.
Zunahme der FTLD-Inzidenz im Alter
Bei Männern lag die Inzidenz mit 2,84 pro 100.000 PJ (95%-KI: 1,88 bis 4,27) höher als bei Frauen mit 1,91 pro 100.000 PJ (95%-KI: 1,26 bis 2,91). Die Wissenschaftler stellten eine steigende Inzidenz der FTLD mit dem Alter bis zu einem Maximum von 13,09 pro 100.000 PJ bei Männern mit 71 Jahren fest (95%-KI: 8,46 bis 18,93). Bei den Frauen im gleichen Alter betrug die FTLD-Inzidenz 7,88 pro 100.000 PJ (95%-KI: 5,39 bis 11,60).
Mit 107 Fällen (40,07%) trat die Verhaltensvariante der frontotemporalen Demenz (FTD) am häufigsten auf. Danach kamen Phänotypen, die mit sprachlichen Veränderungen einhergehen (primär progressive Aphasie und semantische Demenz) mit 76 Fällen (28,46%) sowie extrapyramidale Phänotypen mit 69 Fällen (25,84%). Am seltensten wurde die FTLD mit Amyotropher Lateralsklerose (FTD-ALS) mit 15 Fällen (5,62%) diagnostiziert. Eine Demenzerkrankung in der Familienanamnese wiesen 95 (35,58%) der Patienten mit FTLD auf.
Inzidenzraten gesundheitspolitisch berücksichtigen
Die Ergebnisse legen nahe, dass FTLD-assoziierte Syndrome häufiger vorkommen als zuvor beschrieben wurde. Die geschätzte Anzahl von rund 12.000 Neuerkrankten an FTLD pro Jahr stellt eine erhebliche Bürde für die europäischen Gesundheits- und Sozialsysteme dar und sollte daher in den Planungen zur gesundheitlichen und sozialen Versorgung berücksichtigt werden. Die Studie zeigte darüber hinaus auf, dass die Diagnose FTLD bei Patienten jeden Alters, auch solchen >70 Jahren, in Betracht gezogen werden sollte.
Schwächen und Stärken der Studie
Da die FTLD-assoziierten Erkrankungen selten vorkommen und unterschiedliche Diagnosemethoden sowie Verwechslungen mit psychiatrischen Erkrankungen möglicherweise zu Verzerrungen führten, konnten die Inzidenzen nur geschätzt werden. In der breiten multinationalen Population als Basis und den weitgehend einheitlichen Diagnosekriterien der beteiligten Zentren sehen die Autoren jedoch deutliche Stärken der Studie.
Die Studie wurde von verschiedenen Stiftungen und Forschungsgesellschaften in den einzelnen Studienländern unterstützt.