Wer geht bei Kopfschmerzen zum Arzt?

Eine aktuelle Studie hat verschiedene Einflussfaktoren auf die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuches bei Kopfschmerzen untersucht. Neben den naheliegenden Einflussfaktoren wie Frequenz und Schmerzintensität zeigten sich noch weitere, bisher unbekannte, Einflussfaktoren.

Kopfschmerzen

Hintergrund

Kopfschmerzen sind ein häufiges Symptom. Treten die Schmerzen in einer bisher nie gekannten Form, erstmals nach dem 50. Lebensjahr oder zusätzlich mit Fieber, Krampfanfällen, Lähmungen oder anderen neurologischen Symptome auf, so ist eine rasche Abklärung indiziert. Doch wie häufig nehmen Menschen mit „einfachen Kopfschmerzen“ ohne die zuvor genannten Alarmsignale ärztliche Hilfe in Anspruch?

Nutzung von Gesundheitsleistungen bei Kopfschmerzen

Anfang der 1970er Jahre veröffentlichten Andersen und Newman ein Verhaltensmodell zur Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen, welches seitdem ständig weiterentwickelt wird [1]. In dem Modell werden verschiedene Faktoren benannt, die beeinflussen, ob eine Person Gesundheitsleistungen in Anspruch nimmt oder nicht. Kern des Modells sind drei Faktoren:

  1. Prädisponierende Faktoren (beispielsweise Alter, Geschlecht, Bildung, Art der Erwerbstätigkeit)
  2. Zugangsvariablen (beispielsweise Status der Krankenversicherung, Einkommen, Verfügbarkeit medizinischer Leistungen)
  3. Bedarf (das durch den Patienten wahrgenommene Bedürfnis nach medizinischer Hilfe und die professionelle Beurteilung der Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung).

Das Modell wurde mittlerweile um die Faktoren „Gesundheitssystem“ und „Outcome“ erweitert.

Die Faktoren aus der Bedarfskategorie wurden bei Patienten mit Kopfschmerzen bereits eingehend untersucht. Dabei ist es nicht verwunderlich, dass Menschen mit stärkeren Schmerzen oder Begleitsymptomen häufiger einen Arzt aufsuchen und medizinische Hilfe in Anspruch nehmen als Menschen mit weniger starken Kopfschmerzen. Bisher gibt es allerdings wenige Daten zu den prädisponierenden Faktoren und den Zugangsvariablen bei Menschen, die unter Kopfschmerzen leiden.

Zielsetzung

Ein Team um Dr. Britta Müller vom Institut für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universitätsmedizin Rostock untersuchte die Häufigkeit von Arztbesuchen bei Kopfschmerzpatienten und Einflussfaktoren auf einen möglichen Arztbesuch [2].

Methodik

In dieser populationsbasierten Querschnittuntersuchung wurden Studienteilnehmer zwischen 14 und 94 Jahren nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Zur Datenerfassung wurde ein standardisierter Fragebogen verwendet. Dabei wurde das Auftreten von Kopfschmerzen in den letzten 6 Monaten beurteilt. Waren Kopfschmerzen aufgetreten, so wurde erfragt, wie häufig ein Arzt aufgrund der Kopfschmerzen aufgesucht wurde. Weiterhin gaben die Studienteilnehmer an wie häufig die Kopfschmerzen auftraten.

Die Beeinträchtigung der Lebensqualität durch die Kopfschmerzen wurde mithilfe des HIT-6 (Headache Impact Test) beurteilt.

Ergebnisse

Insgesamt nahmen 2.461 Personen an der Studie teil. In dieser Studienpopulation berichteten 39% von Kopfschmerzen innerhalb der letzten 6 Monate. 50,7% der Teilnehmer gaben an, dass sie mindestens einmal in ihrem bisherigen Leben aufgrund von Kopfschmerzen einen Arzt aufgesucht hatten. Davon hatten 53,6% einen Arzt, 26,1% zwei und 20,3% der Teilnehmer drei oder mehr Ärzte aufgrund ihrer Kopfschmerzen aufgesucht.

Bedarfsfaktoren

Die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuches stieg mit der Zahl der Kopfschmerztage pro Monat (HDM, Headache Days per Month): HDM 1-3 (Odds Ratio [OR] = 2,29), HDM 4-14 (OR = 2,41), HDM ≥ 15 (OR = 4,83). Auch höhere Werte im HIT-6 führten dazu, dass eine Person eher einen Arzt aufsuchte. Bei einer moderaten Beeinträchtigung der Lebensqualität lag die OR bei 1,74 und stieg bei höheren Score-Werten (erhebliche Beeinträchtigung: OR = 3,01; starke Beeinträchtigung: OR = 5,08).

Prädisponierende Faktoren

Auch das Alter hatte einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Arztkonsultation. Personen mittleren Alters suchten häufiger einen Arzt auf als junge und alte Patienten (35-54 Jahre: OR = 1,90; 55-74 Jahre: OR = 1,96; ≥ 75 Jahre: OR = 1,02).

Das Beschäftigungsverhältnis hatte ebenfalls einen Einfluss. So war die Wahrscheinlichkeit einer Arztkonsultation aufgrund von Kopfschmerzen bei Personen im Angestelltenverhältnis höher als bei Selbstständigen. Keinen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuches hatten die Parameter Bildung, Haushaltsstruktur und Lebensraum (Stadt oder Land).

Fazit

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass nur jeder zweite Patient mit Kopfschmerzen zum Arzt geht. Die Studie bestätigte den nachvollziehbaren Einfluss der Bedarfsfaktoren: Wer häufiger Kopfschmerzen hat bzw. Kopfschmerzen von stärkerer Intensität, wird auch eher einen Arzt aufsuchen und damit Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen.

Erstmals konnte mit dieser Studie ein Einfluss durch die Art der Erwerbstätigkeit gezeigt werden. Personen im Angestelltenverhältnis suchten häufiger einen Arzt auf als Selbstständige. Die Gründe dafür konnten im Studiensetting nicht ermittelt werden. Ob Selbstständige wirksamere Strategien im Umgang mit Kopfschmerzen haben oder ob sie zu selten einen Arzt aufsuchen und damit die Gefahr einer Chronifizierung der Schmerzen bzw. eines MOH (Medication Overuse Headache) besteht, sollte laut den Autoren in weiteren Studien geklärt werden.

Praktische Bedeutung der Studienergebnisse

Die Studienautoren betonen, dass Ärzte – besonders Allgemeinmediziner – den Einfluss der Art der Erwerbstätigkeit auf die Wahrscheinlichkeit einer Arztkonsultation bei Kopfschmerzen beachten sollten. So könnten Arztbesuche von Selbstständigen aus anderen Gründen als Möglichkeit dienen, um das individuelle Risiko für eine Chronifizierung und MOH zu beurteilen.

Autor:
Stand:
23.06.2020
Quelle:
  1. Andersen und Newman (1973): Societal and Individual Determinants of Medical Care Utilization in the United States. The Milbank Memorial Fund Quarterly: Health and Society, Vol. 51, No. 1
     
  2. Müller et al. (2020): Use of outpatient medical care by headache patients in Germany: a population-based cross-sectional study. The Journal of Headache and Pain, DOI: https://doi.org/10.1186/s10194-020-01099-1
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