
Hintergrund
Mehr und mehr zu vergessen, in der Vergangenheit zu leben und irgendwann kognitiv zu verschwinden, während der Körper noch da bleibt, ist für viele Menschen ein erschreckender Gedanke. Im Alter erkranken in Deutschland mehr und mehr Menschen an solch neurodegenerativen Erkrankungen. Alzheimer ist dabei eine der häufigsten Diagnosen. Zwei Prozent aller Alzheimerpatienten in Deutschland sind jedoch jünger als 65 Jahre. Sie sind am sogenannten early-onset Alzheimer erkrankt. [1]
Der späte Alzheimertyp, der late-onset Alzheimer entsteht nach derzeitigem Erkenntnisstand, weil sich Eiweiße im Gehirn ablagern und Nervenzellen zugrunde gehen. Aber auch Mutationen in den Genen der Amyloid Precursor Proteine, des Presenilin 1 und des Presenilin 2 sind eine genetische Vorbelastung und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass jemand an Alzheimer erkrankt.
In den letzten Jahren hat sich noch ein weiterer möglicher Faktor herauskristallisiert, der das Risiko für Alzheimer beeinflussen könnte: die Cholesterinwerte. Wie mehrere Studien zeigen konnten, steigt das Risiko für Alzheimer und neurodegenerative Veränderungen, wenn die Cholesterinwerte in der Mitte des Lebens erhöht sind. Cholesterinsenkende Medikamente scheinen teilweise schützend zu wirken. Ein weiterer wichtiger Faktor könnte das körpereigene Apolipoprotein E sein. Es lässt die Cholesterinkonzentration im Blut steigen, vor allem die des landläufig als „Böses Cholesterin“ bezeichnete LDL. Ist das dieses Protein kodierende Gen, das APOE E4 Gen, mutiert, scheint das Risiko zu steigen, an Alzheimer zu erkranken. „Die große Frage ist, ob es eine kausale Verbindung zwischen den Cholesterinwerten im Blut und dem Risiko, an Alzheimer zu erkranken, gibt. Die bisherigen Daten waren da etwas schwammig“, sagt Thomas Wingo von der Emory University School of Medicine in den USA [2].
Es ist bekannt, dass Gene allgemein eine wichtige Rolle beim early-onset Alzheimer spielen. Welche der mit Alzheimer in Verbindung gebrachten Gene aber genau und welche Funktion der Cholesterinwert aber beim early-onset Alzheimer-Typ haben, war bisher unklar.
Zielsetzung
In einer ersten Studie wollten Wissenschaftler um Thomas Wingo herausfinden, ob das Blutcholesterin in Verbindung mit early-onset Alzheimer steht und welcher genetische Mechanismus dem zugrunde liegen könnte. [3]
Methodik
Um ihre Hypothesen zu testen, untersuchte das Forscherteam Proben von 2.125 weißen Freiwilligen mit insgesamt 1.471 Kontrollproben und Proben von 654 Patienten mit early-onset Alzheimer unter 65 Jahren. Die Proben stammten aus den Datenbanken des Alzheimer Disease Research Centers der Emory Universität und der University of California in San Fransisco. Bei einem Teil der Freiwilligen aus der Kontrollgruppe und der erkrankten Gruppe wurden zusätzlich die Blutfette mittels Kolorimetrie, Beckman-Diagnostik und Sekisui-Diagnostik gemessen. Mit Hilfe der Polymerasekettenreaktion vervielfältigten sie Regionen, die mit Alzheimer in Verbindung gebracht werden wie Amyloid Precursor Proteine, Presenilin 1 oder Presenilin 2, oder die für Apolipoproteine oder Blutfette kodieren, in den Genen und sequenzierten diese. Gefundene Variationen wurden mit Daten aus der ClinVar Database dahingehend verglichen, ob sie klinisch relevant sind oder sogar bereits pathogenetisch bekannt sind.
Die Ergebnisse wurden mittels linearer Regression analysiert. Faktoren, die die Analyseergebnisse beeinflussen können, wie Alter oder Geschlecht, wurden angepasst.
Ergebnisse
Die genetische Analyse zeigte, dass lediglich 3% der Patienten mit early-onset Alzheimer für Alzheimer bekannte Mutationen wie das Amyloid Precursor Protein, Presenilin 1 oder Presenilin 2 hatten. APOE E4 hingegen wurde bei etwa 10% der Patienten mit early-onset Alzheimer gefunden, ähnlich den Ergebnissen für den späten Alzheimer-Typ aus früheren Studien.
Auch die Cholesterinwerte zeigten eine Assoziation zum early-onset Alzheimer: Teilnehmer mit erhöhten LDL-Cholesterinwerten waren eher an early-onset Alzheimer erkrankt als Freiwillige mit niedrigen Cholesterinwerten. Diese Verbindung blieb auch noch erhalten, nachdem die Wissenschaftler die APOE-Mutationsgruppe aus den Daten herausgerechnet hatten.
Neben den erhöhten Cholesterinwerten berichtet das Team um Wingo noch von einem weiteren neu entdeckten möglichen Risikofaktor: dem für das Apolipoprotein B kodierenden Gen, dem APOB. Dieses Protein unterstützt die Metabolisierung von Fetten, Lipiden und Cholesterin. Sie fanden einen starken Zusammenhang zwischen Mutationen im APOB-Gen und dem early-onset Alzheimer. Beide Mutationen, APOE und APOB, konnten jedoch nur einen Teil der erhöhten LDL-Cholesterinwerte und des early-onset Alzheimers erklären.
Fazit
„Eine Interpretationsmöglichkeit für unsere Daten ist, dass LDL-Cholesterin eine wichtige Rolle spielt, wenn early-onset Alzheimer entsteht. Falls das tatsächlich der Fall ist, müssten wir uns überlegen, ob das LDL-Cholesterin nicht ein neues Angriffsziel sein könnte, um das Risiko für Alzheimer zu senken“, ordnet Wingo die Ergebnisse ein. Die gewonnenen Erkenntnisse können jedoch nur einen Teil der erhöhten Werte erklären. Vermutlich, so die Wissenschaftler, sind noch weitere Faktoren als APOE- und APOB-Mutationen mitverantwortlich, wenn das LDL-Cholesterin erhöht ist und das Risiko für early-onset Alzheimer steigt. In zukünftigen Studien wollen sie deshalb weiter untersuchen, ob und wie stark die kausale Verbindung zwischen LDL-Cholesterin und early-onset Alzheimer ist.