
Das körpereigene Immunsystem führt zur Demyelinisierung bei Multipler Sklerose (MS). Die antigenen Zielstrukturen, welche die Krankheit initiieren, sind bisher aber noch nicht vollständig bekannt. Bei der Suche nach Zielantigenen konzentrierten sich die Forschungen bisher auf die Myelinkomponenten.
GDP-L-Fucose-Synthase als Trigger von T-Helferzellen
Ein internationales Forscherteam konnte nun zeigen, dass T-Helferzellen (CD4-positive T-Zellen), auf das Enzym GDP-L-Fucose-Synthase reagieren [1].
Ablauf der Entzündungskaskade
Die Forscher veröffentlichten ihre Ergebnisse in der renommierten Fachzeitschrift Science Translational Medicine. Die T-Helferzellen reagierten sowohl auf die humane als auch auf die bakterielle Version der GDP-L-Fucose-Synthase. GDP-L-Fucose-Synthase-produzierende Bakterien sind häufig in der Darmflora von MS-Patienten zu finden. Das intestinale Mikrobiom könnte also eine viel größere Rolle spielen als bisher angenommen.
„Wir denken, dass die Immunzellen im Darm aktiviert werden, dann ins Hirn wandern und dort eine Entzündungskaskade anstoßen, wenn sie der menschlichen Variante ihres Zielantigens begegnen", sagt Dr. Mireia Sospedra Ramos vom Klinischen Forschungsschwerpunkt Multiple Sklerose der Universität Zürich [2].
Forscher erhoffen sich therapeutischen Nutzen
In der Studie untersuchten die Forscher eine genetisch definierte Untergruppe von MS-Patienten (HLA-DRB3*–positive Patienten). In dieser Untergruppe zeigten die Ergebnisse, dass die bakteriellen Darmbewohner eine viel größere Rolle bei der Entstehung von MS spielen könnten als bisher vermutet.
Die Forscher hoffen, dass sich die Erkenntnisse schon bald therapeutisch nutzen lassen und planen, die immunaktiven Bestandteile der GDP-L-Fucose-Synthase in einem Ansatz zu testen, den die Wissenschaftler schon seit mehreren Jahren verfolgen.
Umerziehung des Immunsystems
„Unser klinischer Ansatz richtet sich spezifisch gegen die pathologischen autoreaktiven Immunzellen“, so Sospedra. Damit unterscheidet sich dieser Ansatz deutlich von den aktuell verfügbaren Therapien, welche das gesamte Immunsystem drosseln. Damit gelingt es zwar oft, die Entwicklung der Krankheit aufzuhalten, doch die Behandlungen führen gleichzeitig zu einer Schwächung des gesamten Immunsystems.
In dem klinischen Versuch der Gruppe entnehmen die Forschenden den MS-Patienten Blut. Im Labor kleben sie die immunaktiven Eiweißfragmente auf die Oberfläche der roten Blutkörperchen. Wenn sie danach das Blut wieder in den Organismus einleiten, helfen die Fragmente, das Immunsystem der Kranken gewissermaßen umzuerziehen und gegenüber ihrem eigenen Hirngewebe tolerant zu machen. Diese Therapie hat eine effektive gerichtete Behandlung unter Vermeidung schwerwiegender Nebenwirkungen zum Ziel.