
Hintergrund
Von der Videosprechstunde über elektronische Krankheitstagebüchern und Patienten-Apps bis hin zum Monitoring per Körpersensor mit automatischer Datenübertragung in die Praxis: Die Möglichkeiten der Patientenbetreuung, die die moderne Telemedizin bietet sind äußerst vielfältig. Doch genutzt wurden diese Möglichkeiten bislang kaum. Sowohl Ärzte als auch Patienten standen der Telemedizin eher skeptisch gegenüber und bevorzugten eindeutig die Präsenzkonsultation in der Praxis. Das galt bisher auch bei der Betreuung von Patienten mit chronischen neurologischen Erkrankungen.
Patientenbetreuung in Pandemiezeiten
Die COVID-19 Pandemie geht mit vielen Einschränkungen des gewohnten Gesundheitsbetriebes einher. Um sowohl die Patienten als auch Ärzte und medizinisches Personal vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 zu schützen, werden Praxisbesuche und Konsultationen in den neurologischen Fachabteilungen nur in akuten oder unaufschiebbaren Fällen empfohlen. Routinesprechstunden, elektive Untersuchungen und Behandlungen sollen möglichst verschoben werden, um den Patientenverkehr und damit auch das Infektionsrisiko aller Beteiligten zu verringern. Bei Patienten mit chronischen neurologischen Krankheiten kann dies jedoch zu einer Unterversorgung führen, die letztlich eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustand zur Folge hat.
Telemedizin als Alternative zur Präsenskonsultation
Die momentane Krisensituation bewegt nun viele neurologische Praxen und neurologische Abteilungen in Kliniken dazu, sich der Telemedizin zur Betreuung ihrer Patienten zu bedienen. Die „erzwungene“ Beschleunigung des Umstellens eines Teil der Versorgung von Patienten mit chronisch neurologischen Krankheiten auf Telemedizin wird von den Neurologen Dr. Bastian Bloem von der Radboud Universität Mijmegen, Dr. Ray Dorsey von der Universität Rochester New York und Dr. Michael Okun von der Universität von Florida, Gainesville in einem Viewpoint-Artikel in der Fachzeitschrift JAMA Neurology ausdrücklich begrüßt.
Telemedizin in der Neurologie
Selbstverständlich kann die Telemedizin nicht jede Präsenzkonsultation ersetzen. Es gibt bei einigen Anwendungen auch noch einige ungelöste Probleme z. B. beim Datenschutz oder der Honorierung. Auf der anderen Seite sehen die drei Neurologen gerade bei der Routinebetreuung von Patienten mit chronischen neurologischen Erkrankungen in vielen Fällen deutliche Vorteile der Telemedizin gegenüber der traditionellen Präsenzsprechstunde. Hierzu gehören:
Verlustfreie Informationsübermittlung
Sensoren, die der Patient an der Kleidung oder am Körper trägt, registrieren bestimmte Symptome (z. B. Zittern oder Bewegungsstörungen) oder relevante Ereignisse, wie beispielsweise Anfälle oder Stürze, und zeichnen sie auf. Über entsprechende Uhren oder Smartphones werden die Daten vollständig an den behandelnden Arzt übermittelt. Anders als im Gespräch mit dem Patienten in der Sprechstunde wird der Arzt zeitnah und verlustfrei informiert. Das ist gerade bei Patienten mit kognitiven Beeinträchtigungen besonders wertvoll.
Daten über den Verlauf von Erkrankung und Therapie
Während die Präsenzsprechstunde immer nur eine kurze Momentaufnahme des Gesundheitszustands des Patienten und den Erfolg einer Therapie liefert, können telemedizinische Monitoring-Methoden wie das Fernmonitoring über Sensor, elektronische Tagebücher und bestimmte Apps mit Tests, die Patient zuhause bearbeitet, einen Überblick über den Verlauf der Erkrankung geben. Die konstante Datensammlung über einen längeren Zeitraum erlaubt auch eine weit bessere Einschätzung des Therapieerfolgs.
Realistischere Bewertung der Fähigkeiten des Patienten
In einem klinischen Setting kommt es häufig zu einer Fehleinschätzung der tatsächlichen Körperfunktionen des Patienten. So können sich beispielsweise Parkinsonpatienten unter Beobachtung des Arztes in einem klinischen Umfeld häufig gut bewegen, obwohl sie auf vertrauten Terrain unter Bewegungsblockaden (freezing of gait) leiden, die sie in ihrem Alltag erheblich behindern. Diese Einschränkungen treten dann eher in einer Videosprechstunde zu Tage, wenn sich der Patient zuhause befindet.
Erweiterte Perspektive auf den Patienten
Die virtuellen Hausbesuche ermöglichen dem Arzt Einblicke in das häusliche Umfeld und den Alltag des Patienten. Er bekommt eine neue Perspektive auf die Lebenssituation des Patienten und kann die Therapien auf die tatsächlichen Bedürfnisse des Patienten maßschneidern.
Mehr Bequemlichkeit für den Patienten
Die telemedizinische Betreuung erspart dem Patienten eine mitunter beschwerliche Anreise in die Praxis oder Klinik und Wartezeiten bis zur Konsultation.
Erfahrungen mit der Telemedizin
Die Autoren berichten, dass Praxen, die nun vermehrt Telemedizin einsetzen, begeistert von den Möglichkeiten sind und sehr gute Erfahrungen damit gemacht haben. Die Autoren räumen aber auch ein, dass valide Evaluierungen der verschiedenen telemedizinischen Optionen im Vergleich zur Präsenzkonsultation nur begrenzt zur Verfügung stehen.