DGN 2022: Jenseits der medikamentösen Kopfschmerztherapie

Kopfschmerzen stellen eine enorme Belastung für Patientinnen und Patienten dar – ganz besonders bei Chronifizierung. Es gibt ein breites Spektrum an Maßnahmen, das bei allen Kopfschmerzformen hilfreich sein kann und bei allen Betroffenen erwogen werden sollte.

Entspannung

Nicht-medikamentöse Therapieoptionen können sowohl für die primäre Therapie der jeweiligen Kopfschmerzerkrankung relevant sein, als auch für die Behandlung relevanter Komorbiditäten wie beispielsweise depressive Störungen, Angsterkrankungen oder andere Schmerzerkrankungen. Außerdem bieten sie Hilfen gegen direkte Krankheitsfolgen – vom sozialen Rückzug über Triggervermeidung bis hin zu krankhafter Selbstwahrnehmung, erklärte Professor Dr. Stefanie Förderreuther von der Neurologischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität in München [1].

Beginn schon in der Hausarztpraxis

Die nichtmedikamentöse Kopfschmerzbehandlung beginnt schon in der Hausarztpraxis. Als niederschwellige Intervention können der Kopfschmerzkalender und die basale Aufklärung über Kopfschmerzerkrankungen ein erster Behandlungsschritt sein. Sie signalisieren, dass die Kopfschmerzen ernst genommen werden. Schon hier sollte auch die Stärkung der Eigeninitiative beginnen. Ausdauersport und Entspannungsverfahren sind grundsätzlich als Basismaßnahme für das Management aller Kopfschmerzerkrankungen sinnvoll, betonte Förderreuther. Psychologische Verfahren reichen von der Edukation über Entspannung und Selbstmanagement bis hin zur kognitiven Vals Kombinationspartner zu anderen Therapien.

Konkrete Indikationen

Indiziert ist die nicht-medikamentöse Therapie insbesondere bei

  • hochfrequenter oder chronischer Migräne,
  • Beeinträchtigung von Lebensqualität, Arbeitsfähigkeit oder Schulbesuch durch die Kopfschmerzerkrankung
  • Fehlschlagen von unimodalen Therapieverfahren
  • Medikamentenfehl- und -übergebrauch,
  • schmerzunterhaltenden psychischen Begleiterkrankungen
  • die Schmerztherapie erschwerende somatische Begleiterkrankungen.

Darüber hinaus können auch psychiatrische Therapie, Physiotherapie, Biofeedback und Stimulationsverfahren am Nervus vagus oder Nervus supraorbitalis infrage kommen.

Selbststimulation an der Stirn

Auf dem Markt werden Geräte zur Stimulation durch den Betroffenen selbst angeboten. Das Set mit drei Elektroden kostet aktuell 379 Euro. Die Kosten werden laut Förderreuther allerdings nicht von den Krankenkassen übernommen. Die Stimulation des N. supraorbitalis mit dem Produkt Cephaly® führte in einer randomisiert-kontrollierten Studie bei akuter Migräne zu einer signifikanten Schmerzlinderung nach 60 Minuten Anwendung gegenüber einer Sham-Stimulation (-59% versus -30%; p < 0.0001) [2]. Die Neurologin ergänzte, es gebe auch für den Einsatz zur Migräneprophylaxe randomisiert-kontrollierte Wirksamkeitsbelege. Die 50%-Ansprechrate liege allerdings nur im Bereich von 38,1% (Kontrolle: 12,1%). Nach Registerdaten seien gut die Hälfte der Anwenderinnen und Anwender mit dem Produkt zufrieden, berichtete Förderreuther. Sie nannte als mögliches Einsatzgebiet dieser Stimulation die Schwangerschaft oder ein ungenügendes Ansprechen auf eine medikamentöse Therapie oder wenn Medikamente wegen der Gefahr eines medikamenteninduzierten Kopfschmerzes eingespart werden müssen.

Nervus-Vagus-Stimulation bei Clusterkopfschmerz

Eine nichtinvasive Vagusnnerv-Stimulation bietet der im Internet erhältliche Gammacore®-Stimulator. Die Kosten (Starterkit für drei Monate 700 Euro) werden Förderreuthers Erfahrung nach auf Antrag teilweise von Krankenkassen übernommen. Ein Wirksamkeitsnachweis besteht für die Prophylaxe bei Clusterkopfschmerz. In der randomisiert-kontrollierten PREVA-Studie zeigte sich bei dreimal täglicher Stimulation über zwei mal zwei Minuten ein signifikanter Rückgang der Attacken und bei 79% der Patientinnen und Patienten eine Besserung der um 50% [3]. Für die Akuttherapie gibt es keine Wirksamkeitsnachweis. Positive Studien zur Migränetherapie gibt es ebenfalls nicht, wenngleich das Gerät auch hierfür angeboten wird.
 


 

Autor:
Stand:
10.11.2022
Quelle:
  1. Prof. Dr. Stefanie Förderreuther: „Nicht-medikamentöse Kopfschmerzbehandlung. Überblick über die Verfahren: Was wann und wie?“, Neurowoche 2022 in Berlin/digital am 2. November 2022.
  2. Chou DE, Shnayderman Yugrakh M, Winegarner D et al. (2019: Acute migraine therapy with external trigeminal neurostimulation (ACME): A randomized controlled trial. Cephalalgia. DOI: 10.1177/0333102418811573.
  3. Gaul C, Magis D, Liebler E et al. (2017): Effects of non-invasive vagus nerve stimulation on attack frequency over time and expanded response rates in patients with chronic cluster headache: a post hoc analysis of the randomised, controlled PREVA study, The Journal of Headache and Pain. DOI: 10.1186/s10194-017-0731-4.
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