
Über zwölf Millionen Menschen in Deutschland leiden an chronischen Schmerzen. Schmerzen erfüllen eigentlich eine Schutzfunktion. Sie begünstigen den Heilungsprozess und verhindern eine Verschlimmerung von Gewebeschäden.
Verselbstständigung des Schmerzes führt zu Chronifizierung
„Unter normalen Umständen ist der Schmerz mit Eintreten der Heilung beziehungsweise der Geweberegeneration rückläufig“, erläutert Dr. Carla Alessandra Avila González, Expertin der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) von der Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Palliativ- und Schmerzmedizin am BG Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum [1].
„Wenn der Gewebeschaden jedoch so groß ist, dass eine Regeneration nicht oder nur sehr langsam erfolgt, oder der Schmerz seine Warnfunktion verliert und sich verselbstständigt, können daraus chronische Schmerzen entstehen.“
Ab wann spricht man von chronischem Schmerz?
Störungen im Nervensystem sind eine häufige Ursache für die Chronifizierung des Schmerzes. Zur Frage, ab wann man von chronischem Schmerz spricht, gibt es keine einheitliche Definition. In Studien werden Zeiträume von drei bis sechs Monaten genannt. Aufgrund des aktuellen Verständnisses von chronischen Schmerzen haben sich Experten darauf geeinigt, dass alle Schmerzen als chronisch definiert werden, sobald sie in ihrer Dauer über das Ausmaß einer akuten Ursache hinaus nicht nachvollziehbar lange anhalten [2].
Ultraschall ermöglicht exakte Diagnose
Ultraschalluntersuchungen werden in der Schmerzdiagnostik bisher noch nicht allgemein genutzt. Dabei können kleinste Nervenäste sonografisch exakt dargestellt werden. „Die hochauflösenden Schallsonden ermöglichen beispielsweise, dass selbst Strukturen oder Verletzungen, die kleiner als einen Millimeter groß sind an peripheren Nerven entdeckt werden können. Zu diesen gehören zum Beispiel kleine Fremdkörper oder Einengungen von Nervenendästen im Narbengewebe“, sagt Avila González.
Unterstützung diagnostischer Lokalanästhesie
Die exakte Darstellung kleinster nervaler Strukturen ermöglicht auch die Durchführung einer diagnostischen Lokalanästhesie. Somit kann eine Verdachtsdiagnose bestätigt werden.
Vorteile des Ultraschalls gegenüber anderen Verfahren
Bei Schmerzen infolge einer Verletzung der großen Nerven oder bei Nerventumoren kommen Computer- oder Kernspintomographen zum Einsatz. Diese Verfahren können verfahrensbedingt nicht bei allen Patienten angewendet werden und die Darstellung kleiner Strukturen in CT und MRT ist limitiert. Außerdem entsteht in der Computertomographie eine Strahlenbelastung für die Patienten.
Daneben werden elektrophysiologische Verfahren – etwa die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit und der Hirnströme – zur Diagnose chronischer Schmerzen eingesetzt. Doch auch diese Verfahren können kleinste Nervenfasern nicht erfassen.
Aktualisierung der Leitlinien gefordert
Derzeit gibt es lediglich abgelaufene Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von chronischen Nervenschmerzen. In diesen Leitlinien sind auch keine Empfehlungen zum Einsatz des Ultraschalls in der Diagnose chronischer Schmerzen enthalten. Damit Patienten von einer exakten Diagnostik und damit einer gezielten Therapie profitieren können, sollten Ultraschallverfahren in der Schmerzdiagnostik in Zukunft verstärkt eingesetzt werden.
„Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass die abgelaufenen Leitlinien für die Diagnostik und für die Behandlung chronischer Nervenschmerzen überarbeitet werden“, meint Avila González. „Die bisherigen Leitlinien basieren mangels valider wissenschaftlicher Daten lediglich auf der Meinung einiger Experten. Aus unserer Sicht sind daher dringend wissenschaftliche Untersuchungen zum Stellenwert der Sonographie sowohl in der Diagnostik als auch in der Behandlung chronischer Schmerzen erforderlich.“