B-ALL: neuer Marker für Befall des Nervensystems

Das Molekül CD79a scheint eine zentrale Rolle beim Anwachsen von B-ALL-Zellen im Zentralnervensystem zu spielen. Dies könnte zur Verbesserung der Diagnose beitragen, so dass künftig eine Chemo- oder Strahlentherapie nur bei tatsächlichem Befall des ZNS eingesetzt werden muss.

Xenograft Modell

Hintergrund

Die akute lymphatische Leukämie (ALL) ist eine der häufigsten Krebserkrankungen bei Kindern. An der häufigsten Form, der B-Vorläuferzellen-ALL (B-ALL), erkranken rund 80% der Fälle, etwa 600 Kinder in Deutschland jährlich. In 3-5% der Fälle wird ein Befall des zentralen Nervensystems (ZNS) als gravierende Komplikation erkannt. Die Beteiligung des ZNS wird routinemäßig durch Mikroskopie der Cerebrospinalflüssigkeit beurteilt, ein Ansatz, dessen Leistung und Informationswert begrenzt sind.

Da die Heilungschancen bei dieser Komplikation abnehmen, werden derzeit unabhängig vom anfänglichen ZNS-Status alle Patienten prophylaktisch mit einer intrathekalen Chemotherapie oder Kombination aus Chemo- und Strahlentherapie behandelt. Wegen der unspezifischen toxischen Wirkung und einer möglichen dauerhaften Schädigung des Nervensystems sind diese Behandlungsformen besonders bei Kindern problematisch.

Forscher der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin I des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, untersuchten die Beteiligung des Signalproteins CD79a (Igα) an der B-ALL. „Insgesamt sehen wir das Potenzial einerseits zur präziseren Diagnose des ZNS-Befalls bei B-ALL-Erkrankten und andererseits für künftige Behandlungsansätze in Form neuartiger Immuntherapien, die auf einer Hemmung des Signalmoleküls aufbauen könnten“, fasst Prof. Denis Schewe, Leiter der Arbeitsgruppe Translationale ALL-Forschung, die Ergebnisse zusammen, die jüngst im Fachblatt Nature Communications Biology veröffentlicht wurden [1, 2].

Rolle von CD79a bei der ZNS-Infiltration bei B-ALL

Bei der B-ALL reifen die noch nicht funktionellen Vorläuferzellen nicht zu reifen B-Zellen. Stattdessen teilen sie sich ungebremst weiter und unterbinden letztlich die gesunde Blutbildung. Die Wissenschaftler konnten das Molekül CD79a als Teil der Signalkette des B-Zell-Rezeptors und wichtigen Teil dieses gestörten Prozesses identifizieren.

„Möglicherweise ist das Vorhandensein des CD79a selbst Voraussetzung dafür, dass es zu einer ZNS-Infiltration kommen kann“, sagte der Erstautor der Studienpublikation Dr. Lennart Lenk, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Translationale ALL-Forschung. Hohe CD79a-Spiegel waren in den Untersuchungen auch mit reduziertem ZNS-Rückfall-freien Intervallen assoziiert.

CD79a als diagnostischer Marker für ZNS-Befall

Das Kieler Forschungsteam konnte anhand großer Mengen an Patientenproben aus verschiedenen Biobanken bestätigen, dass die CD79a-Spiegel bei Betroffenen mit einer B-ALL mit ZNS-Befall signifikant höher lagen als in der Vergleichsgruppe. „Wir konnten zeigen, dass das Vorkommen des CD79a-Moleküls in den B-ALL-Zellen anzeigt, wie gut sich eine Leukämie im Nervensystem einnisten kann“, erklärte Lenk.

„Damit steht uns ein potenzieller neuer Indikator für das Vorhandensein von Leukämiezellen im ZNS zur Verfügung. Die Entschlüsselung solcher Moleküle, die die Methoden zur Diagnose des ZNS-Befalls verbessern können, würden in der klinischen Anwendung bedeuten, dass künftig die riskante Behandlung mit Chemo- oder Strahlentherapie nur dann eingesetzt werden muss, wenn es unbedingt nötig ist, weil eben das ZNS tatsächlich befallen ist“, so Lenk weiter.

CD79a als Ziel für Immuntherapien

Diese neuen Erkenntnisse deuten laut den Forschern darauf hin, dass das Molekül ein mögliches neues Ziel für künftige Immuntherapien gegen B-ALL sein könnte. „In verschiedenen Experimenten (murine Xenograft-Modelle [Anm. d. R]) konnten wir zeigen, dass das Ausschalten des Moleküls das Anwachsen von Leukämiezellen stark verminderte“, sagte Lenk.

„Wir suchen daher zurzeit nach Möglichkeiten, um das Molekül gezielt zu hemmen. Dafür haben wir bereits vielversprechende Ansätze gefunden, die nun noch genauer untersucht werden müssen“, betont Schewe. Konkret erproben die Kieler Forschenden in aktuell laufenden Experimenten, ob sich dazu ein bereits in der klinischen Anwendung gegen andere Krebsformen befindlicher Antikörper eignet, der auf CD79 abzielt. So könnten die vielversprechenden Forschungsergebnisse schnell in die klinische Anwendung übertragen werden.

Quelle:
  1. Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Pressemeldung, 08.02.2021
  2. Lenk et al. (2021) CD79a promotes CNS-infiltration and leukemia engraftment in pediatric B-cell precursor acute lymphoblastic leukemia. Nature Communications Biology, DOI: 10.1038/s42003-020-01591-z
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