
Hintergrund
Darmkrebs gehört zu den häufigsten diagnostizierten Krebsarten in Europa und ist zum Teil durch positive Beeinflussung modifizierbarer Risikofaktoren, wie z.B. Übergewicht, mangelnde körperliche Aktivität, Rauchen und hoher Alkoholkonsum vermeidbar. Darüber hinaus bietet die über viele Jahre andauernde Entwicklung der meisten Kolorektalkarzinome (10 bis 15 Jahre) gute Möglichkeiten für die frühzeitige Detektion sowie Entfernung präkanzeröser Läsionen und Karzinome im Frühstadium. So konnte im Laufe der vergangenen drei Jahrzehnte gezeigt werden, dass diverse Screeningmethoden das Potenzial haben, die Darmkrebsinzidenz und langfristig auch die Darmkrebsmortalität zu reduzieren.
Seit 2003 wird in der EU das bevölkerungsweite Darmkrebsscreening für Bürger zwischen 50 bis 74 Jahren empfohlen und mehrere europäische Länder führten Screeningprogramme ein. Nationale Strategien zur Darmkrebsvorsorge unterscheiden sich jedoch erheblich bezüglich des Zeitpunkts der Implementierung, der Art und Weise des Screeningangebots (opportunistisch versus organisiert), der speziellen Testverfahren sowie der Wahrnehmung einer angebotenen Vorsorgeuntersuchung [1,2].
Zielsetzung
Ein Team um Hermann Brenner vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg verglich für die letzten beiden Jahrzehnte die Veränderungen der Darmkrebsinzidenz, Stadienverteilung und Darmkrebsmortalität über die Zeit in Abhängigkeit von der Implementierung von Vorsorgeprogrammen in einzelnen europäischen Ländern.
Methodik
Für die Untersuchungen zur Darmkrebsinzidenz und Stadienverteilung wurden überwiegend landesweite Daten aus 31 populationsbasierten Krebsregistern von 21 europäischen Ländern analysiert. Davon gingen mehr als drei Millionen Patienten, die vom Jahr 2000 an (bis 2016 in den meisten Ländern) mit Darmkrebs diagnostiziert wurden, in die Beobachtungsstudie ein. Zur Untersuchung der Darmkrebssterblichkeit wurden Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO mortality database) verwendet, die für diejenigen Länder mit landesweiten Inzidenzdaten (16 von 21) über den gleichen Zeitraum erhoben wurden.
Inzidenzraten wurden sowohl für Kolon und Rektum kombiniert, als auch einzeln für proximales Kolon, distales Kolon und Rektum ermittelt. Die durchschnittlichen jährlichen prozentualen Veränderungen von Inzidenz und Mortalität wurden geschätzt und der Entwicklungsverlauf analysiert.
Ergebnisse
Die altersstandardisierte Darmkrebsinzidenz hatte sich in Ländern mit frühzeitig eingeführten Vorsorgeprogrammen einschließlich Koloskopie und Stuhltests, wenn sie von der Mehrzahl der berechtigten Personen wahrgenommen wurden, wie in Österreich, Tschechien und Deutschland, über die vergangenen Jahre erheblich verringert. Dabei lagen die durchschnittlichen jährlichen prozentualen Veränderungen bei Männern zwischen -2,5% bis -1,6% und bei Frauen zwischen -2,4% bis -1,3%.
In Ländern, die erst im Laufe der Studie mit Vorsorgeprogrammen starteten, blieb die altersstandardisierte Darmkrebsinzidenz stabil oder nahm bis zu dem Jahr, in dem das Screening eingeführt wurde, zu. Hier lagen die durchschnittlichen jährlichen prozentualen Veränderungen bei Männern zwischen -0,2% und 1,5% und bei Frauen zwischen -0,5% und 1,2%. In Dänemark, den Niederlanden und Slowenien, wo sehr schnell ein hoher Vorsorgestandard sowie eine gute Wahrnehmungsrate erreicht wurden, stieg die altersstandardisierte Inzidenz in den ersten ein bis zwei Jahren nach Einführung des Screeningprogramms an (aufgrund der erhöhten Detektion von Karzinomen im Stadium I) und fiel dann ab. Im Gegensatz dazu stieg die Inzidenz in den meisten Ländern, in denen keine groß angelegten Screeningprogramme verfügbar waren (z.B. Bulgarien, Estland, Norwegen und die Ukraine), an. Hier rangierten die Veränderungen bei Männern zwischen 0,3% und 1,9% und bei Frauen zwischen 0,6% und 1,1%.
Mit dem Screening wurden insbesondere Karzinome im distalen Kolon und im Rektum frühzeitig entdeckt. In Bezug auf die Mortalität, wurde in den meisten Ländern eine Abnahme registriert und auch Länder ohne spezielle Vorsorgeprogramme wiesen eine verbesserte Mortalität auf. Der stärkste Rückgang der Darmkrebssterblichkeit war jedoch in den Ländern mit langjährigen Vorsorgeprogrammen zu beobachten.
Fazit
Die innerhalb von Europa beobachteten großen Unterschiede bezüglich Inzidenz, Sterblichkeit und Verteilung der Krebsstadien des Kolorektalkarzinoms sind offensichtlich auf das unterschiedliche Vorgehen bei der Darmkrebsvorsorge zurückzuführen. Auch wenn zahlreiche andere Faktoren (vor allem im Zusammenhang mit dem Lebensstil) Darmkrebsinzidenz und -mortalität beeinflussen, so ist es unwahrscheinlich, dass diese in Ländern mit lange existierenden Screeningprogrammen eine große Rolle bei den beobachteten Inzidenzveränderungen gespielt haben. Implementierung von Screeningprogrammen führte zur Reduktion von Darmkrebsinzidenz und -mortalität. Darmkrebsvorsorgeprogramme sollten folglich beibehalten, verbessert (z.B. Wechsel von opportunistischem zu organisiertem Programm) oder, falls noch nicht vorhanden, eingeführt werden. Besonderes Augenmerk ist künftig auch auf verbesserte Detektion präkanzeröser Läsionen im proximalen Kolon zu legen.
Die in allen Ländern verbesserte Mortalität lässt sich laut Cardoso und Co-Autoren mit dem medizinisch-technischen Fortschritt, besseren Untersuchungsmethoden sowie neuartigen Medikamenten und operativen Möglichkeiten erklären. Für Schlussfolgerungen zur Kausalität sind jedoch weitere Studien dringend erforderlich [1].
In den meisten Ländern setzen Vorsorgeuntersuchungen ab einem Alter von 50 Jahren ein. In zukünftigen Studien sollte weiter evaluiert werden, ob ein Screening auch von jüngeren Menschen (unterhalb von 50 Jahren) sinnvoll ist, da in vielen Ländern insbesondere in dieser Altersgruppe ein Anstieg der Darmkrebsinzidenz zu beobachten ist. Ziel sollte es sein, künftig auch jüngere Menschen mit einem erhöhten Risiko zu identifizieren, um ein risikobasiertes Screening für diese Bevölkerungsgruppe anbieten zu können [2].