Hintergrund
Das kolorektale Karzinom (KRK) gehört zu den häufigsten Krebsarten in Deutschland. Für das KRK kann eine familiäre Prädisposition bestehen. Daher wird Personen, in deren Familien Darmkrebs gehäuft aufgetreten ist, die Teilnahme an regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen empfohlen. Verwandte 1. Grades (Kinder und Geschwister) sollten die erste Darmspiegelung im Alter von 25 Jahren durchführen zu lassen [1].
Screening bei Halbgeschwistern
Halbgeschwistern wird als Verwandten 2. Grades ein Vorsorgebeginn zehn Jahre vor dem Diagnosealter des jüngsten erkrankten Familienmitglieds empfohlen. Für die unterschiedlichen Empfehlungen für Voll- und Halbgeschwister fehlt jedoch eine wissenschaftliche Basis. „Die einzelnen Verwandtschaftsgrade wurden bisher nicht im Detail untersucht“, erklärt Mahdi Fallah, MD, PhD, der die Arbeitsgruppe „Risikoadaptierte Prävention“ in der Abteilung Präventive Onkologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg leitet [1]. Eine aktuelle Studie holte dies nun nach [2].
Zielsetzung
Die Autoren der Studien untersuchten das Risiko für KRK bei Familienangehörigen von Darmkrebspatienten mit unterschiedlichem Verwandtschaftsgrad. Im Fokus der Betrachtung standen dabei die verschiedenen Subgruppen innerhalb des 2. Verwandtschaftsgrades, insbesondere die Halbgeschwister, die bisher nicht in der einschlägigen Literatur auftauchen.
Methodik
In der weltweit größten registerbasierten Kohortenstudie wertete ein internationales Team von Wissenschaftlern Datensätze des Schwedischen Krebsregisters aus. In dem Register sind die Daten von über 16 Millionen Personen aus Schweden, darunter 173.796 Darmkrebspatienten erfasst. Zur Bewertung des Erkrankungsrisikos nach Verwandtschaftsgrad bezogen die Forscher Stammbäume und Familiengeschichte in die Analyse mit ein.
Ergebnisse
Das kumulative Risiko einer Erkrankung an KRK im Laufe des Lebens betrug bei den Geschwistern eines Darmkrebsbetroffenen 7%. Das entspricht einem 1,7-fach erhöhten KRK-Risiko gegenüber Personen ohne familiäre Vorbelastung (95% Konfidenzintervall 1,6 bis 1,7; n=2089). Ganz ähnlich sah es bei den Halbgeschwistern aus. Ihr kumulatives KRK-Risiko betrug 6% und war gegenüber den Personen ohne Prädisposition um das 1,5-fache erhöht (95% Konfidenzintervall 1,3 bis 1,8; n=140). Bei anderen Verwandten 2. Grades (Großeltern, Onkel, Tanten) war das KRK-Risiko deutlich geringer.
Fazit
Aufgrund des vergleichbar hohen KRK-Risikos bei Voll-und Halbgeschwistern, rät Fallah: „Halbgeschwister sollten bei der Familienanamnese in der Risikobewertung für eine Darmkrebserkrankung wie Verwandte 1. Grades eingestuft werden.“ Das unerwartet ähnliche Darmkrebsrisiko bei Voll-und Halbgeschwistern von KRK-Patienten führt Professor Dr. Hermann Brenner, Leiter der Abteilung Präventive Onkologie am DKFZ darauf zurück, dass nicht nur die Gene, sondern auch die gleichen Lebensbedingungen innerhalb einer Familie das Krebsrisiko beeinflussen.