
Hintergrund
Unter Blut gerinnt, wenn es zum Beispiel mit Luft in Verbindung kommt oder ungewollt aus den Blutgefäßen austritt. Das ist elementar für unser Zusammenleben. Ohne das dahinter liegende Zusammenspiel vieler Faktoren und Moleküle im Blut und Gewebe, die ähnlich einem Zahnradsystem ineinander greifen und durch verschiedene Schutzmechanismen gesichert werden, wäre bereits ein kleiner Schnitt in den Finger gefährlich. Ändern sich jedoch einzelne Faktoren in der Blutgerinnung, weil zum Beispiel ein bestimmtes Protein mehr gebildet wird als normal, können nicht nur Krankheiten, die die Blutgerinnung betreffen, entstehen: Seit einigen Jahren mehren sich die Hinweise, dass auch andere Erkrankungen durch eine veränderte Blutgerinnung befördert werden könnten.
Zu solchen Erkrankungen zählen zum Beispiel manche Krebsarten, ihre Metastasen und das Wachstum von beispielsweise Lungenkrebs. Ein Faktor, der besonderes Augenmerk bekommen hat in der letzten Zeit ist das Fibrinogen. Dieses Protein kommt im Blutplasma vor und aktiviert, wenn selbst aktiviert, Thrombozyten und fördert so die Blutgerinnung. Ist es erhöht, so steigt das Risiko für Lungenkrebs, wie frühere Studien nachweisen konnten. Aber auch andere Proteine der Blutgerinnung wie das Molekül P-Selectin scheinen einen Einfluss auf die Krebsentstehung zu haben. Es fördert vermutlich nicht nur die Thrombozytenaggregation – seine gewünschte Rolle – sondern auch Entzündungsreaktionen und Wechselwirkungen zwischen Tumorzellen und Blutplättchen. Das wiederum könnte den Tumorzellen helfen, zu überleben und sich im Körper auszubreiten. Deshalb gelten hohe lösliche P-Selectin-Werte als Indikator für eine schlechte Prognose. Andere weiterer beteiligter Spieler in der Blutgerinnung sind der Rezeptor GPIIb/IIIa, das Thrombopoietin und Thrombomodulin. Blockiert man den Rezeptor GPIIb/IIIa, wurden Lungenmetastasen in in vivo-Versuchen weniger. Erhöhte Thrombopoietin- Thrombomodulin-Werte im Blut werden mit einer schlechten Prognose und fortschreitendem Krebs in Verbindung gebracht.
Ließe sich genau sagen, wie sich die verschiedenen Proteine der Blutgerinnung auf Lungenkrebs auswirken, könnte dies nicht nur für die Therapie sondern auch für die Prognose und die Früherkennung bedeutsam sein.
Zielsetzung
In ihrer Studie setzten sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Studienleiter Tilman Kühn und Erstautorin Mirja Grafetstätter vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg mit der Frage auseinander, ob bestimmte Proteine der Blutgerinnung eine Rolle in den frühen Phasen der Krebsentstehung spielen. Das Ziel der Studie war es, herauszufinden, ob in Blutproben messbare Blutgerinnungswerte als prädiagnostische Marker dienen könnten, um das Risiko für Lungenkrebs besser bestimmen zu können [1].
Methodik
Im Rahmen der seit Jahren laufenden EPIC-Studie wählten die Wissenschaftler um Grafetstätter 190 Probanden aus, die seit Aufnahme in die Studie in den 1990er Jahren an Lungenkrebs erkrankt sind. Als Kontrollgruppe wurden per Zufall 2.386 Personen aus der gleichen Studie selektiert, bereinigt um die Probanden, die ebenfalls an Krebs erkrankt waren und zufällig in die Subkohorte einsortiert wurden.
Im Labor wurden in den Blutproben der Probanden die Werte für Thrombopoietin, löslicher GPIIb/IIIa-Rezeptor, Fibrinogen, löslichem P-Selectin und lösliches Thrombomodulin gemessen. Die Ergebnisse wurden statistisch via multivariabler Cox-Regression ausgewertet unter Berücksichtigung von Faktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum, Aspiringabe, körperlicher Aktivität, Größe, Bodymaßindex, Schulbildung und Entzündungswerten wie CRP. Das absolute Risiko wurde per C-Statistik mit dem PLCOm2012-(Prostate, Lung, Colorectal and Ovarian Cancer Screening Trial, Version 2012) Vorhersagemodell berechnet.
Ergebnisse
In der statistischen Auswertung zeigte sich, dass Fibrinogen und das lösliche P-Selectin sich signifikant auf das Risiko für Lungenkrebs auswirken. „Sowohl eine höhere Blutkonzentration von Fibrinogen als auch von löslichem P-Selectin weit vor dem Auftreten der Erkrankung waren in unserer Arbeit signifikant mit einem höheren Lungenkrebsrisiko verknüpft“, beschreibt Erstautorin Mirja Grafetstätter das Hauptergebnis der Studie. Auch auf das PLCOm2012-Vorhersagemodell wirkten sich Fibrinogen- und lösliche P-Selectin-Werte aus: Die Vorhersage durch das Modell konnte um 17% verbessert werden, wenn Fibrinogen und lösliches P-Selectin in den Algorithmus eingesetzt wurden.
Anders sieht es bei Thrombopoietin, löslichem Thrombomodulin und löslichem GPIIb/IIIa-Rezeptor aus: Sie hatten weder vor statistischer Bereinigung noch nach Anpassung der Cox-Regression an die Lebensumstände einen Einfluss auf das Krebsrisiko der Probanden.
Fazit
„Dies ist der erste Hinweis darauf, dass eine gesteigerte Gerinnungsaktivität nicht nur einen bereits bestehenden Lungenkrebs fördert, sondern an dessen Entstehung beteiligt sein könnte“, beschreibt Mirja Grafetstätter ihr Fazit [2]. Möglicherweise sind Fibrinogen und lösliches P-Selectin sogar mitverantwortlich für den Effekt des Zigarettenrauchen auf die Entstehung von Lungenkrebs. Nun müssen die Ergebnisse in weiteren Studien überprüft und verfestigt werden. Dann könnten zukünftige vielleicht diese beiden Proteine als zusätzliche Marker in der Krebsvorsorge dienen.