
Monoklonale Gammopathien unklarer Signifikanz (MGUS) können asymptomatische Vorläuferstadien eines Multiplen Myeloms (MM) sein. Das Progressionsrisiko kann aber sehr gering sein: Bei fehlenden Risikofaktoren haben nach 20 Jahren nur 5% aller Patienten mit MGUS einen Progress zu einem MM zu fürchten, berichtete Prof. Dr. Monika Engelhardt von der Klinik für Innere Medizin I, Hämatologie, Onkologie und Stammzelltransplantation des Universitätsklinikums Freiburg [1]. Abgegrenzt vom Smoldering MM oder MM werden MGUS durch
- Monoklonales Serumprotein (non-IgM) <3 g/dl
- Klonale Plasmazellen im Knochenmark <10%
- Fehlen von Endorganschäden nach den CRAB-Kriterien (Hyperkalzämie, Niereninsuffizienz, Anämie, Knochenläsionen) [2].
Niedrigrisiko-MGUS ist häufig
Das Progressionsrisiko eines MGUS kann anhand der MAYO-Klinik-Risikostratifizierung abgeschätzt werden [3]. Die verwendeten Risikofaktoren sind M-Protein ≥1,5 g/dl), non-IgG-Paraprotein (IgA oder IgM) sowie abnormes Verhältnis der involvierten freien Leichtkette zur nicht involvierten freien Leichtkette. „Die meisten Patienten haben keinen oder nur einen Risikofaktor“, erklärte Engelhardt [3]:
- 39% weisen keinen Risikofaktor auf, das Risiko für eine Progress zu einem MM im Laufe von 20 Jahren liegt bei 5%,
- 37% weisen einen Risikofaktor auf, die Progressionsrate über 20 Jahre beträgt 21%,
- 20% weisen zwei Risikofaktoren auf und entwickeln mit einer Wahrscheinlichkeit von 37% über 20 Jahre ein MM,
- 5% weisen drei Risikofaktoren auf, das Progressionsrisiko über 20 Jahre liegt bei 58%.
Kontrollieren oder Intervenieren?
„Patienten ohne einen der Risikofaktoren muss man nicht häufig kontrollieren“, betonte Engelhardt [3]. Patienten im Alter über 70 oder 80 Jahre ohne Risikofaktoren kontrolliert sie nur alle zwei Jahre, die meisten andren Patienten halbjährlich, bei hohem Risiko (drei Risikofaktoren) auch vierteljährlich. Für die Entscheidung zur Therapie ist zu berücksichtigen, dass bei MGUS und drei Risikofaktoren das Risiko einer MM-Entwicklung mit 58% zwar hoch erscheint, sich aber auf 20 Jahre bezieht. Es muss also auch die Lebenserwartung in die Abwägung mit einbezogen werden [3]. Das jährliche Progressionsrisiko von einem MGUS zu einem MM liegt bei etwa 1% [4]. Das Risiko, an einer anderen Erkrankung zu versterben, ist damit bei vielen Patienten höher als das Risiko eines Progresses zu einem MM.
Assoziierte Erkrankungen berücksichtigen
Patienten mit einem stabilen MGUS sollten nicht behandelt werden. MGUS können allerdings auch eine renale Signifikanz aufweisen und dabei mit AL-Amyloidose, Kryoglobulinämie u.a. Erkrankungen assoziiert sein [3]. Häufiger sind paraproteinämische Neuropathien, beispielsweise eine distal demyelinisierende symmetrische Neuropathie, die beim Morbus Waldenström auftreten kann. Patienten mit MGUS renaler Signifikanz oder Neuropathie müssen behandelt werden, betonte Engelhardt und riet hausärztlich tätigen Kollegen: „Zum Ausschluss weiterer assoziierter Erkrankungen lohnt die Überweisung zum Hämatologen.“
„Red flags“ beachten
Die folgenden klinischen Symptome, die nicht anderweitig erklärbar sind, sollten laut Engelhardt mit Knochenmarkpunktion und Ganzkörper-Computertomographie weiter abgeklärt werden:
- Anämie
- Restriktive Kardiomyopathie
- Diarrhoe
- Frakturen
- Hepatomegalie
- Hyperkalzämie
- Hyperviskosität (bei IgM M-Protein)
- Intestinale Pseudoobstruktion
- Lytische Läsionen
- Makroglossie
- Nephrotisches Syndrom
- Neuropathie (autonom, sensibel oder motorisch)
- Purpura
- Renale Insuffizienz
Im Labor sollten ein hoher M-Gradient, eine hohe Proteinausscheidung, ein hoher Kappa-zu-Lambda-Quotient bei Kappa-Leichtkettenerkrankung oder ein deutlicher Anstieg des M-Proteins (um 50% oder ≥0,5 g/dl) ebenfalls Anlass sein, diese diagnostischen Schritte einzuleiten.
Breites Screening macht wenig Sinn
Theoretisch könnte eine frühe MGUS-Erkennung und eine frühe Behandlung bei entsprechendem Risiko ein nicht heilbares MM verhindern. Entsprechend wird auch ein populationsbasierte Screening diskutiert. Das macht aber laut Engelhardt wenig Sinn: Ein MGUS ist insgesamt selten. Bei etwa 3% der über 50- und 15% der über 70-Jährigen kommt zwar ein MGUS vor, das aber häufig ein niedriges Risiko für einen Progress aufweist. Eine Prognoseverbesserung durch ein Screening ist nicht belegt. Entsprechend kam es im Rahmen der Choosing wisely-Kampagne laut Engelhardt zu einer ausdrücklichen Nicht-Empfehlung.