
Hintergrund
Frauen und Männer sprechen bei zahlreichen Krankheiten unterschiedlich auf die entsprechenden Behandlungen an und die Hinweise nehmen zu, dass das Geschlecht der Patienten als Prädiktor für Krankheitsfolgen in die Risikobewertung mit einbezogen werden sollte. So wird das weibliche Geschlecht mit einem erhöhten Risiko für Nebenwirkungen bei einer zytotoxischen Therapie in Verbindung gebracht.
Mehrere Faktoren kommen für die Unterschiede im Auftreten von unerwünschten Ereignissen und der Behandlungsergebnisse in Frage, wie z. B. eine subjektive Berichterstattung, geschlechterspezifische Unterschiede in der Pharmakokinetik, -dynamik und-genomik oder auch Unterschiede in der medikamentösen Therapie. So wurden kürzlich geschlechterspezifische Unterschiede beim Krankheitsverlauf und der Mortalitätsrate bei COVID-19-Infektionen gezeigt. Geschlechterspezifische Unterschiede bei Krebspatienten, die Immuntherapien oder zielgerichtete Therapien erhielten, wurden bislang hingegen kaum untersucht.
Zielsetzung
Die Studie untersuchte systematisch die Rolle der Geschlechter beim Auftreten von symptomatischen und objektiven unerwünschten Ereignissen bei verschiedenen Krebstherapien, darunter zytotoxische, immunologische und zielgerichtete Therapien basierend auf Daten aus mehreren Jahrzehnten [1].
Methodik
Es wurden behandlungsbedingt aufgetretene unerwünschte Ereignisse nach Geschlecht aus klinischen Phase II- und III-Studien mit zytotoxischen, immunologischen und zielgerichteten Therapien analysiert, die zwischen 1980 und 2019 durchgeführt wurden. Geschlechtsspezifische Krebserkrankungen wurden ausgeschlossen. Die Codierung und der Grad der unerwünschten Ereignisse wurden nach der „Common Terminology Criteria for Adverse Events“ kategorisiert. Sie wurden als symptomatisch eingestuft, wenn diese mit dem "Patient-Reported Outcome-Common Terminology Criteria for Adverse Events" des National Cancer Institute übereinstimmten und als objektiv, wenn sie laborbasiert oder beobachtbar bzw. messbar waren.
Die Analyse erfolgte mittels multivariabler logistischer Regression bei der Alter, Herkunft und Krankheitsprognose berücksichtigt wurden. Insgesamt wurden 13 symptomatische und 14 objektive Kategorien von unerwünschten Ereignissen untersucht.
Ergebnisse
Patientencharakteristika
In der Analyse wurden 202 klinische Prüfungen mit 23.296 Patienten, darunter 8.838 Frauen (37,9 %) und 14.458 Männer (62,1 %) berücksichtigt und somit insgesamt 274.688 unerwünschte Ereignisse ausgewertet. Von den Patienten erhielten 17.417 Krebspatienten eine Chemotherapie, 2.319 Patienten eine Immuntherapie und 3.560 Patienten eine zielgerichtete Therapie. Die häufigsten Krebsarten waren: Magen-Darm-Krebs (26,1 %), Lungenkrebs (20,5 %) und Leukämie (12,1 %). Die mediane Behandlungsdauer betrug 88 Tage bei Frauen (Interquartilsbereich [IQR] 34-170 Tage) und 84 Tage bei Männern (IQR 37-167 Tage; p=0,16).
Auftreten von schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen
Ein oder mehrere unerwünschte Ereignisse vom Grad ≥ 3 traten bei 15.051 Patienten (64,6%) auf. Frauen hatten im Vergleich zu Männern ein um 34 % erhöhtes Risiko für schwerwiegende unerwünschte Ereignisse (68,6 % vs. 62,2 %; Odds Ratio [OR] 1,34; 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,27-1,42; p<0,001). Betrachtet man nur die Immuntherapien, war dieses Risiko bei Frauen sogar um 49 % erhöht (OR 1,49; 95%-KI 1,24-1,78; p<0,001).
Ebenfalls hatten Frauen, über alle Behandlungsarten hinweg, ein um 25 % erhöhtes Risiko für ≥ 5 schwerwiegende unerwünschte Ereignisse (Frauen 57,4 % vs. Männer 52,2 %; OR 1,25; 95%-KI 1,18-1,32; p<0,001) und dies war für symptomatische unerwünschte Ereignisse größer als für die objektiven. Die Ergebnisse waren über alle Behandlungsarten hinweg konstant, jedoch bei Frauen mit Immuntherapie (OR 1,42; 95%-KI 1,14-1,77; p<0,001) oder einer zielgerichteten Therapie (OR 1,50; 95%-KI 1,27-1,78; p<0,001) am stärksten.
Symptomatische und objektive unerwünschte Ereignisse im Geschlechtervergleich
Frauen hatten ein mindestens 30%iges höheres Risiko für das Auftreten von symptomatischen (Frauen 33,3% vs. Männer 27,9%; OR 1,33; 95%-KI 1,26-1,41; p<0,001) und hämatologischen (Frauen 45,2% vs. Männer 39,1%; OR 1,30; 95%-KI 1,23-1,37; p<0,001) unerwünschten Ereignisse. Ein ähnliches Muster mit einem deutlich höheren Risiko für symptomatische und hämatologische Nebenwirkungen bei Frauen im Vergleich zu Männern zeigte sich bei Patienten unter Immuntherapie (Frauen 33,7% vs. Männer 25,4%; OR 1,66; 95%-KI 1,37-2,01; p<0,001). Für nicht-hämatologische unerwünschte Ereignisse konnte kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern festgestellt werden.
Fazit
Die Analyse zeigte, dass sowohl symptomatische als auch hämatologisch unerwünschte Ereignisse bei Frauen unter Immuntherapien bzw. zielgerichteten Therapien schwerwiegender sind und somit geschlechterspezifische Unterschiede bestehen. Diese Ergebnisse sind aufgrund des großen Stichprobenumfangs und der Qualität der prospektiven Daten aus klinischen Prüfungen robust. Diese Ergebnisse unterstützen die These, dass das Geschlecht die Toxizität von Medikamenten unabhängig voneinander beeinflussen kann. Sollte sich dies bestätigen, könnten die zugrunde liegenden Mechanismen dazu führen, dass Frauen generell schlechtere Toxizitätsergebnisse erzielen. Offen bleibt, ob dies entsprechend Überlebensvorteile oder -nachteile für die Frauen bietet.
Generell ist somit aber eine stärkere Sensibilisierung für Unterschiede bei Symptomen oder der Meldung von unerwünschten Ereignissen bei Frauen im Vergleich zu Männern erforderlich. Ebenfalls müsste bei Bestätigung der genannten Ergebnisse eine angepasste Verabreichung von Arzneimitteln an das Geschlecht eingeführt werden, um die Toxizität insbesondere bei den Frauen zu verringern.