
Hintergrund
Das Arzneimittel Zynteglo der Firma Bluebird Bio (Germany) GmbH wurde nach einer Empfehlung des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) im März 2019, im Rahmen des Priority Medicines (PRIME)-Schemas von der EMA Ende Mai 2019 zugelassen. Die Zulassung erfolgte unter „Besonderen Bedingungen“, das heißt unter der Voraussetzung weiterer Nachweise für den Therapie-Nutzen, die mindestens jährlich von der EMA bewertet werden. In Deutschland kam das Präparat im April 2020 auf den Markt.
Bei Zynteglo handelt es sich um die erste Gentherapie zur Behandlung der transfusionsabhängigen β-Thalassämie. Diese zählt zu den seltenen Erkrankungen und wird durch einen Gendefekt verursacht. Der Wirkstoff Betibeglogene autotemcel (Zynteglo) ist ein lentiviraler Vektor, der ein modifiziertes β-Globin-Gen enthält. Dieses wird ex vivo durch Transduktion in autologe CD34+-Zellen hämatopoetischer Stammzellen des Pateinten eingefügt, die im Knochenmark reifen und zur Produktion von Erythrozyten mit funktionalem Gen führen. Aufgrund des Verdachts einer schwerwiegenden unerwarteten unerwünschten Arzneimittelwirkung (suspected unexpected serious adverse drug reaction, SUSAR) bei einem Präparat, das dieselbe Technologie nutzt, wurde der Vertrieb von Zynteglo vorerst gestoppt.
Schwerwiegende Nebenwirkung durch Gentherapie?
Die Firma Bluebird Bio (Germany) GmbH entwickelt derzeit eine Gentherapie (LentiGlobin Gentherapie, bb1111) zur Behandlung der Sichelzellanämie. Dabei wird der gleiche lentivirale Vektor wie bei Zynteglo genutzt, um ein funktionelles Gen in die Blutzellen der Patienten einzubauen. Während der laufenden klinischen Phase-I/II-Studie entwickelte ein Patient, der vor etwa fünf Jahren mit bb1111 behandelt wurde, eine akute myelotische Leukämie (AML), die mit der Gentherapie in Zusammenhang stehen könnte. Ein weiterer Patient entwickelte ein myelodysplastisches Syndrom, das zur verminderten Bildung funktionstüchtiger Blutzellen führt.
Erhöhtes Krebsrisiko möglich
Es ist bekannt, dass die Behandlung mit viralen Vektoren ein potenzielles Risiko für die Entstehung von Krebserkrankungen birgt (insertional oncogenesis). Daher werden Patienten, die mit Zynteglo behandelt werden, hinsichtlich dieses Risikos streng überwacht. Bisher entwickelte kein Patient unter der Behandlung mit diesem Arzneimittel eine onkologische Erkrankung. Da bei bb1111 der gleiche virale Vektor genutzt wird, werden die entsprechenden Studien der LentiGlobin Gentherapie sowie der Vertrieb von Zynteglo zur Sicherheit vorerst gestoppt.
Untersuchungen sind eingeleitet
Der Hersteller untersucht derzeit beide SUSAR-Fälle auf einen möglichen Zusammenhang mit der Gentherapie. Die entsprechenden Aufsichtsbehörden der EMA und FDA wurden darüber informiert und arbeiten eng mit dem Unternehmen zusammen. Die EMA prüft die Hinweise auf EU-Ebene und wird über relevante Regulierungsmaßnahmen bezüglich Zynteglo sowie ähnlich zu bewertenden Arzneimittel entscheiden. Derzeit verwendet kein zugelassenes Medikament denselben viralen Vektor, sodass in dieser Hinsicht keine direkten Auswirkungen zu erwarten sind.
Zynteglo ist derzeit nur in Deutschland auf dem Markt. Es werden aufgrund der Seltenheit der Erkrankung sowie der limitierten Verfügbarkeit des Arzneimittels sehr wenige Patienten damit behandelt.