Abnehmender Lernfortschritt während der Coronapandemie

In den Pandemiejahren ist der Lernfortschritt deutlich zurückgegangen. Schüler haben 35% des normalen Lernzuwachses pro Schuljahr verloren. Das könne sich auf die Lebenschancen der Kinder auswirken.

Kinder Schule Corona

Die Coronapandemie hat zu einer der größten Lernunterbrechungen in der Geschichte geführt. Während dieser Zeit haben SchülerInnen 35% des normalen Lernzuwachses pro Schuljahr verloren. Das geht aus einer im „Nature Human Behaviour“ publizierten Metaanalyse hervor. Besonders groß war der Rückschritt bei Kindern mit niedrigem sozioökonomischem Hintergrund, wodurch sich die bereits bestehenden Bildungsungleichheiten noch verschärfen [1].

42 Studien aus 15 Ländern

Ein Team um Prof. Bastian Betthäuser, Bildungsforscher und Mitglied der Abteilung für Sozialpolitik und Intervention an der Universität Oxford, untersuchte, inwieweit sich der Lernfortschritt von SchülerInnen während der Covid-19-Pandemie verlangsamt hat. Dafür werteten die Forschenden 42 Studien aus 15 Ländern aus, darunter Untersuchungen aus Großbritannien, den USA und Deutschland.

Ergebnisse

Die Auswertung der Daten zeigte ein insgesamt erhebliches Lerndefizit (Cohen’s d = -0,14 (95%-KI -0,17 bis -0,10). Normalerweise verbessern die SchülerInnen ihre Leistungen um etwa 0,4 Standardabweichungen pro Schuljahr. Damit ergibt sich ein Gesamteffekt von etwa 35% (0,14/0,4). Folglich habe sich der Lernfortschritt während der Coronapandemie erheblich verlangsamt, so die Forschenden.

Vor allem Kinder mit sozial schwachem Hintergrund betroffen

Lerndefizite traten schon früh in der Pandemie auf und hielten im Laufe der Zeit an. Die größten Beeinträchtigungen zeigten Kinder aus einem niedrigen sozioökonomischen Milieu, zwischen den einzelnen Klassenstufen gab es keine signifikanten Unterschiede.

Die Defizite waren in Mathematik größer als im Lesen und in Ländern mit mittlerem Einkommen (wie Brasilien und Mexiko) größer als in Ländern mit hohem Einkommen (wie den USA und Großbritannien). Daten zu Ländern mit niedrigem Durchschnittseinkommen gab es nicht, sodass dieser Vergleich nicht gezogen werden konnte.

Erhebliche Auswirkungen zu erwarten

Das pandemiebedingte Lerndefizit könne sich auf die Lebenschancen der Kinder auswirken, etwa durch ihre Bildungs- und Arbeitsmarktaussichten. Ebenso sind Folgen auf gesellschaftlicher Ebene denkbar. Unabhängige Experten wie Prof. Klaus Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg, sprechen von einer „immensen Relevanz“ des coronabedingten Lerndefizits.

Zierer erwartet, dass das Defizit unmittelbaren Einfluss auf den Unterricht haben wird. „Je geringer die Lernleistungen sind, desto schwieriger wird es für die Lernenden, die von den Curricula geforderten Standards zu erreichen“, sagte er gegenüber dem Science Media Center Deutschland (SMC).

Generation Corona

Zierer zufolge ist mit einer „Generation Corona“ zu rechnen. Das betreffe vor allem die Jüngsten im System mit einem bildungsfernen Hintergrund aus wirtschaftlich schwachen Ländern. „Es sollte alles unternommen werden, um die Lerndefizite aufzuholen“, fordert der Bildungsforscher. Leider hätten viele Länder die ersten Möglichkeiten – beispielsweise Sommerschulen – „verpennt oder absolut unreflektiert“ eingesetzt. Damit wäre noch mehr Zeit verloren gegangen, so der Schulpädagoge.

Benjamin Fauth vom Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) hält die in der Metanalyse beobachteten pandemiebedingten Lernrückstände auch hierzulande für bedeutsam. „Jene, die wir in Studien aus Deutschland gefunden haben, beispielsweise in Hamburg und in Baden-Württemberg, fallen etwas geringer aus, zeigen aber von der Tendenz her in dieselbe Richtung“, äußerte er gegenüber dem SMC.

Dennoch sei ein positiver Trend erkennbar. So habe es während der Pandemie an vielen Schulen „riesige Fortschritte“ gegeben – nicht nur im Bereich Digitalisierung, sondern auch bei der Frage, wie wir digitale Tools pädagogisch nutzen können, damit sie das Lernen unterstützen. „Perspektivisch sind das auch die Ansätze, die uns helfen werden, mit den Folgen der Pandemie an den Schulen umzugehen“, so Fauth.

Autor:
Stand:
02.02.2023
Quelle:
  1. Betthäuser, B. A. et al. (2023): A systematic review and meta-analysis of the evidence on learning during the COVID-19 pandemic. Nature Human Behaviour, DOI: 10.1038/s41562-022-01506-4.
  2. Science Media Center (SMC), Artikel, 30. Januar 2023.
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