Neue Leitlinie zu Adipositas im Kindes- und Jugendalter

Die neue S3 Leitlinie „Therapie und Prävention der Adipositas im Kindes- und Jugendalter“ ist erschienen und postuliert ein großes Präventions- und Therapiepotential der Erkrankung.

Adipositas Kind

Hintergrund

Adipositas ist die häufigste ernährungsabhängige Erkrankung im Kindes- und Jugendalter in Deutschland. Aus dieser Erkrankung können sich signifikante funktionelle Einschränkungen, psychosoziale Beeinträchtigungen sowie eine im Vergleich zu Normgewichtigen erhöhte Komorbidität der Betroffenen ergeben.

Dies verdeutlicht die Notwendigkeit zur Prävention und Therapie dieser Erkrankung. Daher erarbeiteten Experten unter anderen der deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), und deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) eine neue S3 AWMF-Leitlinie zur Adipositas-Therapie und -Prävention im Kindes- und Jugendalter. Diese ist im August 2019 erschienen und soll bis zur nächsten Überarbeitung bzw. bis spätestens August 2024 gültig sein.

Die Experten überprüften für die Leitlinienerstellung gängige Empfehlungen zur Adipositas-Behandlung und -Prävention, darunter auch häufig verwendete Konzepte und Programme unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten.

Die Leitlinie zielt darauf ab, das Bewusstsein für die Krankheit Adipositas zu stärken und gleichzeitig Therapeuten und Patienten eine Hilfestellung zu geben und Informationen und Empfehlungen zu Prävention und Therapie der Adipositas bereitzustellen.

Definition und Bestimmung des Adipositasausmaßes

Die Leitlinie beginnt mit der Definition und Bestimmung des Ausmaßes der Adipositas im Kindes- und Jugendalter. Entsprechend der European Childhood Obesity Group (ECOG)-Vorgaben, empfiehlt die Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) als Grenzwert zur Definition von Übergewicht bzw. Adipositas die Verwendung des 90. bzw. 97. alters- und geschlechtsspezifischen Perzentils der BMI Werte.

Therapieempfehlungen entsprechend der Leitlinie

In den folgenden Kapiteln überprüfen und bewerten die Experten der Leitlinie verschiedene Therapiemethoden auf ihre Wirksamkeit.

Es werden Stellungnahmen zu folgenden Themengebieten abgegeben:

  • Therapiemaßnahmen zur Ernährung
  • Therapiemaßnahmen zur Bewegung
  • Modul verhaltenstherapeutische Maßnahmen
  • Bedeutung der Elternschulung
  • Ambulante versus stationäre Therapie
  • Zusätzliche medikamentöse Therapie
  • Adipositas-chirurgische Eingriffe bei Kindern und Jugendlichen
  • Digitale Interventionen (Medien)

Alleinige Ernährungstherapie zeigt nur geringe Langzeiteffekte auf das Körpergewicht

Die alleinige Ernährungstherapie wird von der Leitlinie nicht empfohlen, da ihr Langzeiteffekt gering ist. Die Experten empfehlen die Kombination mit anderen Therapiebausteinen, z. B. einer Steigerung der körperlichen Aktivität und einer Verhaltenstherapie.

Zudem empfiehlt die Leitlinie eine Einbeziehung der kompletten Familie in die Ernährungsumstellung, da dies die Therapietreue der Patienten fördere.

Die Experten empfehlen eine Ernährungsumstellung zugunsten einer Steigerung des Gemüse- und Obstverzehrs. Fett- und zuckerhaltige Lebensmittel sollten vermieden und als Getränk Wasser bevorzugt werden. Diäten mit niedriger Energiezufuhr sollten allerdings speziellen Indikationen unter Expertenbetreuung vorbehalten werden.

Die Steigerung von körperlicher Aktivität wird in der Leitlinie empfohlen

Die Experten der Leitlinie empfehlen eine Steigerung der körperlichen Aktivität im Gruppensetting, um so die Motivation der Betroffenen zu stärken. Insgesamt setzt die Leitlinie auf eine Verringerung von körperlicher Inaktivität (z. B. Medienkonsum, TV/Computer), Steigerung der Alltagsaktivität und eine Anleitung zum körperlichen Training.

Zur Aufrechterhaltung der erzielten Veränderungen im Ernährungs- und Bewegungsverhalten empfiehlt die Leitlinie verhaltenstherapeutische Maßnahmen

Die Leitlinie empfiehlt zudem Verstärkungsmechanismen, wie Loben zur Unterstützung der erreichten Verhaltensänderung im Ernährungs- und Bewegungsverhalten. Außerdem könne auch das Erlernen von Stressmanagement/Training emotionaler Kontrolle hilfreich sein.

Spezielle Präventionsprogramme von Adipositas im Kindes- und Jugendalter sollten verschiedene Interventionen beinhalten

Als übergeordnetes Thema beschäftigt sich die Leitlinie mit der Bewertung von möglichen Präventionsmaßnahmen der Adipositas. Die Experten empfehlen längerfristige (>6 Monate) Präventionsprogramme, die verschiedene Aspekte berücksichtigen sollen. So sollten sich die Patienten gesund ernähren und körperlich betätigen. Insbesondere die Reduktion von zuckerhaltigen Softdrinks wird als sehr effektiv bewertet.

Es konnte zudem gezeigt werden, dass die Einbeziehung der Familie und des sozialen Umfeldes für den Erfolg der Maßnahmen wichtig ist. Auch auf das Thema Medienkonsum geht die Leitlinie ein. So wird beispielsweise empfohlen, das Aufstellen von Fernsehern im Kinderzimmer zu vermeiden. Zudem sollte der Medienkonsum auf eine altersentsprechend angemessene Dauer begrenzt werden.

Altersabhängige Präventionsmaßnahmen

Die Effektivität verschiedener Präventionsmaßnahmen wurde zudem altersgetrennt für die Gruppe der 0-6-jährigen, für das frühe und mittlere Schulalter und für Patienten im jugendlichen Alter untersucht.

Je nach Alter sind unterschiedliche Präventionsmaßnahmen effektiv.

Der Kinderarzt und Diabetologe Prof. Dr. Martin Wabitsch, einer der Autoren der Leitlinie, erklärt hierzu: „Bei Jugendlichen mit extremer Adipositas liegt die Erfolgsrate allerdings deutlich niedriger als bei jüngeren Kindern. Für diese spezielle Gruppe von jungen Patienten benötigen wir neue Therapiekonzepte!“.

Fazit

Kombinierte verhaltensorientierte Lebensstilinterventionen können bei Kindern, insbesondere im Grundschulalter eine signifikante klinische Reduktion des Körpergewichts erreichen. Dies trifft insbesondere bei motivierten Familien zu.

Prof. Dr. Ingeborg Krägeloh-Mann, DGKJ-Präsidentin, bekräftigt: „Die umfangreiche Cochrane-Analyse und das Konsensverfahren, an denen alle einschlägigen Fachgesellschaften beteiligt waren, gibt Entscheidungsträgern jetzt fundierte wissenschaftsbasierte Empfehlungen an die Hand. Hinzu kommt, dass gerade bei der hier betroffenen sehr jungen Patientengruppe Entscheidungen einen nachhaltigen Einfluss auf die Lebensgesundheit haben können – umso wichtiger, dass man hier nach Evidenz und Expertise vorgeht.“

Wissenschaftliche Untersuchungen zur Ätiopathogenese konnten zeigen, dass die „adipogenen“ Lebensbedingungen in unserem Land hierbei eine entscheidende Rolle spielen Die Experten postulieren daher, dass zur Prävention der Adipositas tiefergreifende verhaltenspräventive Maßnahmen, wie beispielsweise eine Reduktion des Zuckerangebots notwendig sind. Hierfür sehen die Experten die Notwendigkeit politischer und gesellschaftlicher Unterstützung.

Autor:
Stand:
06.12.2019
Quelle:
  1. Presseinformation 12.11.2019 Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin
  2. Therapie und Prävention der Adipositas im Kindes- und Jugendalter AWMF Register Nr. 050-002. Version August 2019
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