
Hintergrund
Die Frage, ob es ein Problem mit inhalativen Kortikosteroiden (inhaled corticosteroids [ICS]) bei der Behandlung der COPD gibt, beantwortete der Vorsitzende der Respirations-Forschung der British Lung Foundation Professor Dr. James D. Chalmers von der Universität Dundee auf dem virtuellen ERS Kongress 2020 mit einem klaren Ja. Die gute Nachricht sei allerdings, so Chalmers, dass die Zahl der Verschreibungen langsam sinke. Im Vereinigten Königreich machten die inhalativen Kortikosteroide 2005 noch 77% der Erhaltungstherapie bei COPD aus. Bis 2015 sank dieser Anteil allmählich auf 47%. „Aber das ist immer noch zu viel, weil die Medikamente nicht sinnvoll verschrieben werden,“ erklärte Chalmers.
Unnötige Therapieeskalation
Tatsächlich zeigen Studien, dass auch bei Patienten mit relativ milder COPD der GOLD (Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease) Gruppen A und B die medikamentöse Behandlung innerhalb weniger Jahre zur Tripletherapie mit langwirksamen Betamimetika und Muskarinantagonisten (LABA/LAMA) in Kombination mit ICS eskaliert wird. Dabei sind ICS weder in der Lage die Lungenfunktion von COPD-Patienten zu verbessern noch ihre Mortalität zu senken.
GOLD Empfehlungen
Nach den Leitlinien der Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) stellt die bronchodilatatorische Behandlung bei allen Patienten mit COPD die Basis der Therapie dar. ICS sollten hingegen nur bei akuten Exazerbationen sowie ggf. in der Erhaltungstherapie im Einzelfall bei Patienten der GOLD-Gruppe D eingesetzt werden. Der Hauptnutzen von ICS in der COPD-Therapie liegt in der Verhinderung von Exazerbationen. Bei COPD-Patienten mit geringem Exazerbationsrisiko sind ICS in der Erhaltungstherapie in der Regel nicht sinnvoll. Hier überwiegen die Risiken eines regelmäßigen, langandauernden ICS Einsatzes den Nutzen. Zu den Risiken zählen unter anderem ein erhöhtes Pneumonie-Risiko und Infektionsrisiko.
Entscheidungshilfe für den ICS Einsatz
Das Exazerbationsrisiko kann mithilfe der Eosinophilenzahl gut abgeschätzt werden, wie Chalmers erklärte: „Eine Entscheidungshilfe für oder wider den Einsatz von ICS im Einzelfall gibt die Anzahl der Eosinophilen im Blut als Entzündungsmarker. Bei Werten >300 µl ist das Exazerbationsrisiko erhöht und ein Einsatz der ICS kann unter Abwägung aller anderen Faktoren erwogen werden.“ Er plädierte auch dafür, bei der COPD-Therapie häufiger begleitende Maßnahmen, wie beispielsweise eine strukturierte Rauchentwöhnung, Schulungs- und Rehabilitationsmaßnahmen, einzusetzen.
Neue ERS Leitlinie zum Absetzen ICS
Was tun mit Patienten, die ICS anwenden, bei denen der Nutzen des Medikaments jedoch zweifelhaft ist. Eine neue Kurzleitlinie der European Respiratory Society (ERS) gibt praktische Handlungsempfehlungen zum Absetzen unnötiger ICS bei COPD-Patienten. Dr. Marc Miravitlles vom Universitätskrankenhaus Vall d'Hebron in Barcelona und federführender Autor gab auf dem ERS Kongress 2020 einen kurzen Überblick über die wichtigsten Eckpunkte der Kurzleitlinie.
Absetzen des ICS oder nicht?
Die Empfehlungen der neuen Kurzleitlinie unterscheiden drei Fallgruppen:
- Bei Patienten mit einer Eosinophilenzahl von >300 µl besteht eine starken Empfehlung für die Fortführung einer ICS-Therapie.
- Bei Patienten mit einer Eosinophilenzahl von <300 µl und ≥ 2Exazerbationen pro Jahr oder einer Hospitalisierung, ist die Evidenzlage limitiert. Daher müssen Nutzen und Risiken im Einzelfall diskutiert werden.
- Bei Patienten mit einer Eosinophilenzahl von <300 µl und < 2Exazerbationen pro Jahr und keiner Hospitalisierung sollte ICS abgesetzt werden.
Umstellung auf Therapiealternativen
Wenn ICS in der Therapie abgesetzt werden, muss der Patient eine alternative Therapie mit langwirksamen Bronchodilatatoren erhalten. Auf die Frage nach der Methode des Absetzen bei einer Umstellung des Patienten auf eine biologische Therapie in der Diskussionsrunde nach dem Vortrag antwortete Miravitlles: „Grundsätzlich muss eine Kortikosteroidtherapie langsam ausgeschlichen werden. Das gilt auch, wenn der Patient auf eine biologische Therapie umgestellt wird. Besteht das Risiko einer Nebenniereninsuffizienz sollten die Kortisolwerte morgens bestimmt werden, um gegebenenfalls das Tempo des Ausschleichens zu drosseln“.