
Diabetes mellitus ist eine weitverbreitete Erkrankung in Deutschland. An einem einzigen Tag erkranken hierzulande etwa 1.600 Menschen neu an Diabetes. Deshalb hat der Bundestag im Juli 2020 die erste Nationale Diabetesstrategie verabschiedet. Diese hat von vielen Seiten Gegenwind bekommen, weil sie zu sehr eine „light“ Variante sei. „Deutschland braucht eine Nationale Diabetesstrategie, die verbindliche Maßnahmen und ambitionierte Ziele im Bereich Ernährung umfasst, ansonsten ist es keine Strategie“, sagte damals beispielsweise die Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) Barbara Bitzer. So wurden der medizinische Nachwuchs oder der Einfluss der Ernährung unzureichend berücksichtigt und die Maßnahmen waren vielen nicht konkret genug.
Auch der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) hat sich zur Nationalen Diabetesstrategie geäußert und nun einen 12-Punkte-Plan erstellt, wie die Strategie umgesetzt werden könnte. Der Verband vertritt nach eigener Aussage viele Medizintechnik- und Medizinprodukteunternehmen. Der 12-Punkte-Plan deckt viele verschiedene Bereiche der Diabetesversorgung in Deutschland ab, unter anderem die direkte Patientenversorgung, die Prävention, Ausbildungen medizinischen Personals in der Diabetesversorgung, Technisierung, Begutachtungsregeln und die Forschung.
Diabetes ganzheitlich denken und besser qualifizieren
Diabetes ist eine Erkrankung, die nicht nur von einer medizinischen Profession betreut wird. Je besser die Vernetzung zwischen den verschiedenen Professionen ist, umso besser sind die Patienten und Patientinnen meist versorgt. Für eine adäquate medizinische Versorgung fordert der BVMed bessere interprofessionelle Kooperation und Kommunikation in interprofessionellen Netzwerken. Das betrifft nicht nur den ambulanten Sektor, sondern auch den stationären Teil der Patientenbetreuung. Dort wird die Diabeteserkrankung meist nur als Nebendiagnose aufgeführt, weil der Aufnahmegrund als Hauptdiagnose genannt wird. Von einer fachkompetenzübergreifenden Betreuung und einem den Bedürfnissen angepassten Entlassmanagement würden jedoch alle profitieren. Ähnliches trifft auch auf die ambulante Versorgung zu: Je nach Region unterscheidet sich, wie einzelne Leistungen vergütet werden. Im Rahmen des Disease-Management-Programms (DMP) Diabetes sieht der 12-Punkte-Plan deshalb vor, flächendeckend Versorgungsnetzwerke zu etablieren, die wesentliche Therapieformen im Rahmen der DMP-Verträge einheitlich vergüten.
Fachkräfte fördern
Dafür sollen nicht-ärztlichen Berufe, die Patientinnen und Patienten mitversorgen, gestärkt werden und mehr digitale Kommunikation sowie telemedizinische Möglichkeiten bestehen. Auch eine spezielle Facharztausbildung - es gibt derzeit keine gesonderte Facharztausbildung für Diabetes - und Lehrstühle für Diabetes sieht der 12-Punkte-Plan als überdenkenswert an. Sonst könne sich der jetzt bereits sichtbare Trend hin zu einem regionalen Mangel weiter fortsetzen. Eine spezifischere Grund- und Fachausbildung von ärztlichem und nicht-ärztlichem Personal, geschult auch in der technologiebasierten Diabetestherapie, sei hierfür voraussetzend.
Prävention stärken
Je früher eine Diabeteserkrankung erkannt wird, umso besser sind die Aussichten, die damit einhergehenden Gesundheitsrisiken zu senken. Im Rahmen der Prävention werden frühe Diabetes-Screenings und regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen vorgesehen. Dazu sollen bei U-Untersuchungen der HbA1c-Wert der Kinder gemessen und mögliche Prädispositionen für Typ-1-Diabetes ermittelt werden. In der Pubertät wäre dies Aufgabe gut vernetzter Fachärztinnen und Fachärzte wie Gynäkologie, Pädiatrie und Allgemeinmedizin. Im Erwachsenenalter fiele dies in die regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen, die derzeit jedoch überwiegend erst ab 35 Jahren beginnen. Dies sei unzureichend und lückenhaft, schreibt der BVMed.
Risikofaktor Adipositas
Adipositas ist ein Risikofaktor für Diabetes. Sie zu verhindern oder multimodal zu therapieren, kann sich positiv auf das Diabetesrisiko auswirken. Das vorgesehene DMP Adipositas ist hierfür ein wichtiger Schritt. Es sollte als regelhafte Adipositastherapie, so der 12-Punkte-Plan, analog zur Diabetestherapie aufgebaut sein.
Technisierung zugänglich machen
In den Alltag von Patientinnen und Patienten sind an vielen Stellen Technologien eingezogen. Sensorbasierte kontinuierliche Glukosemesssysteme sind ein Beispiel dafür. Sie können Diabetikerinnen und Diabetikern helfen, ihre Erkrankung selbst zu managen und so Risiken zu minimieren. Damit solche und andere Systeme wie beispielsweise prädiktive Alarme genutzt werden können, bedarf es einer zeitgemäßen Versorgung mit moderner Diabetestechnologie und innovativer Medizintechnologie. Um diese wiederum anbieten zu können, müssen sie zeitnah zugänglich werden.
„Dies erfordert unter anderem eine gesetzliche Konkretisierung des § 139 SGB V sowie entsprechende gesetzliche Aufträge an den GKV-Spitzenverband (GKV-SV) zur Präzisierung der Verfahrensordnung“, schreibt der BVMed. Darin sehen sie unter anderem eine verbindliche Einbeziehung von Sachverständigen und Expertengremien, klarere Regeln für Aufnahmeverfahren neuer Hilfsmittel sowie gesetzlich festgelegte Fristen, um unnötige Verzögerungen im Antrags- und Prüfungsverfahren zu vermeiden.
Telemedizin fördern
Ähnliches fordert der BVMed für die Telemedizin: Es brauche deutschlandweit einheitliche Regelungen im DMP Diabetes. Telemedizinische Behandlungen sollten entsprechende EBM-Ziffern erhalten, um elementar in die Diabetestherapie eingebunden werden zu können. Datenschutzregelungen müssten angepasst werden, um beispielsweise auch die Datenweitergabe von kontinuierlichen Glukosemontorings an Hersteller (mit Zustimmung der Betroffenen) zu erlauben.
Neue Begutachtungsregeln
Eine weitere Säule der Patientenversorgung sind die Prüfverfahren der Medizinischen Dienste. Sie beurteilen beispielsweise, ob eine Insulinpumpentherapie angemessen ist. Das geschieht jedoch nicht immer auf Basis des aktuellen wissenschaftlichen Standes, sondern teilweise auf älteren Gutachten. Um das Problem anzugehen, sieht der 12-Punkte-Plan aktuelle und deutschlandweit geltende Begutachtungsrichtlinien und Grundsatzgutachten vor, die zusammen mit relevanten Fachgesellschaften und betroffenen Medizinproduktunternehmen erarbeitet werden sollen. Prüfkriterien sollen regelmäßig aktualisiert werden und gutachterlich beschäftigte Ärztinnen und Ärzte beim medizinischen Dienst sich regelmäßig fortbilden müssen.
Forschung stärken
Der letzte Teil des 12-Punkte-Plans bezieht sich auf die Versorgungsforschung. Hier brauche es eine standardisierte Erhebung und Erfassung von Daten in beispielsweise einem nationalen Diabetesregister. „Die vorgesehene Einführung regionaler Register erschließt sich […] nicht“, schreibt der BVMed.
Solche Daten sollten jedoch auch nutzbar sein, um Bewertungsverfahren von Medizinprodukten weiterzuentwickeln.
Ganzheitlicher Lösungsansatz gefordert.
Während der 12-Punkte-Plan vieles von dem abdeckt, was notwendig ist, um Diabetikerinnen und Diabetiker möglichst optimal zu versorgen, braucht es aber auch einen gesamtgesellschaftlichen interdisziplinären Diskurs über die Stoffwechselkrankheit. „In der kommenden Legislaturperiode muss die 2020 beschlossene Nationale Diabetesstrategie mit Leben gefüllt und konsequent umgesetzt werden. Dabei müssen die bisherigen Anstrengungen mit dem Fokus auf einen ganzheitlichen Lösungsansatz weiterentwickelt und miteinander vernetzt werden. Schließlich hat Diabetes Berührungspunkte zu allen Lebenswelten. Deshalb müssen in der Gesundheitsversorgung eine Vielzahl von Leistungserbringern beteiligt werden“, schließt BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll ab.