
Diabetes mellitus Typ 2 gilt in der Regel als chronische Erkrankung mit üblicherweise progredientem Verlauf. Bei manchen Patienten kann jedoch eine persistierende Verbesserung der Blutzuckerspiegel in den physiologischen Bereich beobachtet werden. Liegt der HbA1c über mindestens drei Monate hinweg unter 6,5% (48 mmol/mol), kann laut der American Diabetes Association (ADA) von einer Diabetes-Remission gesprochen werden.
Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass gezielte ernährungswissenschaftliche Ansätze zur Remission von Typ-2-Diabetes beitragen können. Um den Zugang zu Wissen und Hilfestellungen bei einer Ernährungsumstellung zu erleichtern, könnte die stärkere Einbindung von Apotheken in das Diabetesmanagement hilfreich sein.
Apotheken als Teil des Diabetesmanagements
Zwar findet die Diabetesversorgung der Patienten vornehmlich über Ärzte statt, dennoch sind Apotheken besser erreichbar und werden insbesondere in ländlichen Gegenden häufiger aufgesucht. Aufgrund des Fachwissens der Apotheker im Medikationsmanagement, könnten sie eine wichtige Rolle bei der allgemeinen Diabetesbehandlung spielen. Dies gilt insbesondere auch in Bezug auf Ernährungsinterventionen, die eine Reduktion oder das Absetzen glukosesenkender Arzneimittel und damit eine Diabetes-Remission fördern sollen.
In einer randomisierten kontrollierten Studie untersuchten Wissenschaftler aus Kanada und England daher die Auswirkungen eines von Apotheken angeleiteten kohlenhdratarmen Diätprogramms (Pharmacist-led therapeutic carbohydrate restriction, Pharm-TCR) auf die Einnahme von Antidiabetika sowie die Lebensqualität von Typ-2-Diabetespatienten.
Zielsetzung
Ziel der Studie war zu untersuchen, ob eine sehr kohlenhydrat- und kalorienarme Diät unter Anleitung von Apothekern den Bedarf an blutzuckersenkenden Medikamenten verringern und Verbesserungen der kardiometabolischen Gesundheit im Vergleich zu einer leitliniengerechten Behandlung (treatment-as-usual, TAU) ermöglichen kann.
Methodik
Die randomisierte kontrollierte Parallelgruppen-Studie (NCT03181165) wurde in 12 kanadischen Apotheken durchgeführt. In die Studie eingeschlossen wurden 188 Patienten zwischen 30 und 75 Jahren mit einem ärztlich diagnostizierten Typ-2-Diabetes, der Einnahme von mindestens einem blutzuckersenkenden Medikament und einem Body-Mass-Index von ≥30 kg/m2. Die Teilnehmenden wurden 1:1 über eine Studiendauer von 12 Wochen in eine pharmazeutisch geleitete (Pharm-TCR-Gruppe, n=98) und eine Kontrollgruppe mit leitliniengerechter Behandlung (TAU-Gruppe, n=90) randomisiert.
Interventions- und Kontrollgruppe
Die Pharm-TCR-Gruppe erhielt einen Diätplan mit kohlenhydratarmen und energiereduzierten, proteinreichen Mahlzeiten und Snacks, die mit ausgewählten Fleischsorten und Gemüse ergänzt werden konnten. Die Teilnehmer hatten zudem wöchentliche Besuchstermine in der Apotheke, um sich mit einem Lifestyle-Coach und einem Apotheker zu treffen. Der Lifestyle-Coach kontrollierte Gewicht, Bauchumfang und Blutdruck der Teilnehmer, während die Apotheker für die Umsetzung des Therapieplans, die Kontrolle der Blutglukosewerte sowie das Medikationsmanagement zuständig waren.
Die Teilnehmer der TAU-Gruppe erhielten eine Standard-Medikamentenberatung durch ihren Apotheker sowie Informationsbroschüren über Ernährung und Lebensstil. Die Gruppe nahm nicht an wöchentlichen Treffen teil und fand sich lediglich am Ende der Studienphase wieder in der Apotheke ein.
Ergebnisse
Nach dem Studienzeitraum von 12 Wochen hatten 35,7% der Teilnehmer in der Pharm-TCR-Gruppe alle blutzuckersenkenden Medikamente vollständig abgesetzt, verglichen mit 0% in der TAU-Gruppe (absolute Differenz=35,7%, 95%-Konfidenzintervall [KI] 25,9-44,8; p<0,0001). Insgesamt erreichten 17,3% der Pharm-TCR-Gruppe einen HbA1c-Wert von <6,5 %, während kein Teilnehmer der TAU-Gruppe diesen Wert erreichte (absolute Differenz=17,3%; 95%-KI 9,7-24,7; p<0,0001).
Kardiometabolische Parameter
Neben dem HbA1c-Wert und der Reduktion bzw. dem Absetzen glukosesenkender Medikamente wurden weitere Parameter der Teilnehmer gemessen. Durch die von Apotheken betreute Diät konnten die folgenden signifikanten Veränderungen in der Pharm-TCR-Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe seit Studienbeginn detektiert werden.
Parameter | Veränderung Pharm-TCR-Gruppe | Veränderung TAU-Gruppe |
Nüchternblutglukose | 9,3 mmol/l auf 7,2 mmol/l | 9,3 mmol/l auf 9,1 mmol/l |
Blutdruck | 138/80 mmHg auf 124/75 mmHg | 136/82 mmHg auf 137/83 mmHg |
Gamma-Glutamatyltransferase | 40,8 mmol/ auf 19,5 mmol/l | 47,8 mmol/l auf 26,9 mmol/l |
Triglyzeride | 1,97 mmol/l auf 1,00 mmol/l | 2,0 mmol/l auf 1,49 mmol/l |
Körpergewicht | 102,3 kg auf 91,9 kg | 103,4 kg auf 103,9 kg |
BMI | 36 kg/m² auf 31,2 kg/m² | 35,1 kg/m² auf 35,6 kg/m² |
Bauchumfang | 115,6 cm auf 102,4 cm | 115,8 cm auf 113,8 cm |
Körperfettanteil | 39,0% auf 35,0% | 40,2% auf 38,6% |
Für verschiedene Leber- und Blutfettwerte (Aspartat-Aminotransferase, Alanin-Aminotransferase, High Density Lipoprotein [HDL], Low Density Lipoprotein [LDL], hochsensitives C-reaktives Protein [hsCRP]) und den Gesamtcholesterinspiegel konnten hingegen keine siginifikanten Behandlungseffekte gezeigt werden.
Anhand eines Fragebogens wurde außerdem die gesundheitsbezogene Lebensqualität gemessen, die sich in der Pharm-TCR- im Vergleich zur Kontrollgruppe verbesserte.
Fazit
Die Studie konnte zeigen, dass Apotheken das Diabetesmanagement im Hinblick auf eine Lebensstilintervention effektiv und sicher unterstützen können. Der Bedarf an blutzuckersenkenden Arzneimittel wurde durch die Pharm-TCR-Diät sowie die Betreuung schnell reduziert und auch die kardiometabolische Gesundheit von Menschen mit Typ-2-Diabetes verbessert. Die Apotheken konnten zudem durch Medikamentenanpassungen zur Vermeidung vorhersehbarer medikamentenbedingter Ereignisse beitragen und das Hypoglykämie- und Hypotonie-Risikos senken. Auf den Begriff der Remission verzichten die Autoren im Zuge ihrer Auswertung aufgrund unterschiedlicher Definitionen.
Die Studie unterstreicht das Potenzial von Apothekern in einem multidisziplinären Gesundheitsteam, das die Ernährungstherapie umfasst. Angesichts der derzeitigen Belastung der Hausärzte, des mangelnden Zugangs zu registrierten Ernährungsberatern und der niederschwelligen Erreichbarkeit der Apotheken empfehlen die Autoren weitere Studien durchzuführen, die ein apothekengestütztes Versorgungsmodell auf breiterer Basis untersuchen. Künftige Forschungsarbeiten sollten zudem die langfristigen Effekte der kardiometabolischen Verbesserungen untersuchen, da die Studiendauer mit 12 Wochen relativ kurz war.