BCG-Impfung schützt Typ-1-Diabetiker vor COVID-19

In einer Studie senkte die mehrmalige Impfung mit dem Tuberkuloseimpfstoff BCG die Zahl der SARS-CoV-2-Infektionen bei Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 deutlich. COVID-19-Erkrankungen traten gar nicht auf.

Injektionsnadel

Zu Beginn der COVID-19-Pandemie, als noch keine SARS-Cov-2-spezifischen Impfstoffe verfügbar waren, kamen Wissenschaftler auf die Idee, dass der Bacille Calmette-Guérin-Impfstoff (BCG) auch vor COVID-19 schützen könnte. Die BCG-Vakzine wurde von den Franzosen Albert Calmette und Camille Guérin Anfang des 20. Jahrhunderts zum Schutz vor Tuberkulose entwickelt. Tatsächlich scheint sich ein positiver BCG-Impfstatus auf die Erkrankungshäufigkeit von COVID-19 auszuwirken. Dies belegt eine randomisierte Studie mit Typ-1-Diabetikern. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden in der Fachzeitschrift »Cell Reports Medicine« veröffentlicht.

Zielsetzung

Die bereits 2015 (also vor der Corona-Pandemie) von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA genehmigte randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Phase-II/III-Studie sollte zeigen, wie sich eine BCG-Mehrfachimpfung auf den Verlauf von Diabetes mellitus Typ 1 auswirkt. Studienleiterin Denise L. Faustman vom Massachusetts General Hospital in Boston ist überzeugt, dass der Tuberkuloseimpfstoff die Immunreaktion auf die pankreatischen Inselzellen hemmen kann und sogar eine Regeneration der Beta-Zellen bei Typ-1-Diabetes ermöglicht. Diese These wird unter Immunologen kontrovers diskutiert. Nach Anbruch der Pandemie analysierte das Forscherteam, wie sich der BCG-Impfstoff auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 bzw. eine COVID-19-Erkrankung und andere Infektionskrankheiten auswirkt.

Methodik

Die Studienpopulation umfasste 144 erwachsene Patienten mit Typ-1-Diabetes. Diese wurden im Verhältnis 2:1 auf eine Impfung mit BCG (96) oder Placebo (48) randomisiert. Die Probanden erhielten drei Impf- bzw. Placebodosen: Die ersten beiden im vierwöchigen Abstand und die dritte Dosis als Auffrischung nach einem Jahr. Die meisten Impfungen wurden in den zwei Jahren vor Beginn der Corona-Pandemie verabreicht.

Ergebnisse

Der Untersuchungszeitraum betrug 15 Monate und erstreckte sich von Januar 2020 bis April 2021. Die Auswertung endete mit der Verfügbarkeit der mRNA-Impfstoffe. In der BCG-Impfstoffgruppe hatte nur einer der 96 Teilnehmer (1%) eine bestätigte SARS-CoV-2-Infektion. Bei den 48 Teilnehmern im Placeboarm wurden hingegen sechs Infektionen (12,5%) registriert. Faustman ermittelt eine Impfstoffwirksamkeit von 92%. Die Wahrscheinlichkeit einer Schutzwirkung von über 30% läge bei 99%. Ein 95%-Konfidenzintervall wird nicht angegeben. Der p-Wert beträgt 0,009, womit keine statische Signifikanz erreicht wäre.

Symptomatische COVID-19-Erkrankungen traten in der BCG-Gruppe gar nicht auf (0%), in der Placebogruppe wurden fünf Erkrankungen (10,4) dokumentiert. Die Schutzwirkung liegt damit bei 100%. Die Wahrscheinlichkeit einer Impfstoffwirksamkeit über 30% wird mit 99% beziffert, ein 95%-Konfidenzintervall fehlt auch hier. Der p-Wert ist mit 0,0036 angegeben, womit die Wirkung signifikant wäre.

Ferner gab es in der BCG-Gruppe weniger Infektionskrankheiten. Außerdem waren die Krankheitssymptome milder und hielten weniger lange an als in der Placebo-Kohorte.

Systemische BCG-bedingte unerwünschte Ereignisse traten nicht auf, ebenso wenig wurden übermäßige lokale Reaktionen beobachtet.

Fazit

Zusammenfassend zeigt die Studie, dass der BCG-Impfstoff einen Plattformschutz gegen SARS-CoV-2 und andere Erreger bei erwachsenen Typ-1-Diabetikern bieten könnte. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Wirksamkeit der BCG-Vakzine zwar erst nach ein bis zwei Jahren eintritt, die Immunität jedoch Jahrzehnte anhalten kann.

Warum schützt die BCG-Impfung vor COVID-19?

In den letzten 17 Jahren haben randomisierte klinische Studien und epidemiologische Untersuchungen gezeigt, dass der BCG-Impfstoff vor zahlreichen Krankheiten schützen kann, darunter Malaria, Lepra, Erkrankungen der oberen Atemwege und andere bakterielle/virale Infektionen, vermutlich auch vor COVID-19. Ebenso wird eine Schutzwirkung bei immunologischen Erkrankungen wie Multipler Sklerose und Typ-1-Diabetes diskutiert.

Warum schützt die BCG-Impfung vor COVID-19? Antikörper gegen SARS-CoV-2 werden nach der Impfung jedenfalls keine gebildet. Vielmehr soll der Impfstoff eine breite unspezifische Aktivierung des Immunsystems vermitteln und die Abwehrbereitschaft gegen verschiedene Krankheitserreger erhöhen, so die Hypothese der heterologen Wirkung.

In Europa und Nordamerika werden keine BCG-Impfstoffe mehr verabreicht. Dies hat unterschiedliche Gründe. Zum einen wird nur eine begrenzte Tuberkulose-Schutzwirkung (schätzungsweise 60%–70%) erzielt. Zum anderen führt die BCG-Impfung zu falsch positiven Hauttests, was die Diagnose einer späteren Tuberkulose erschwert. Darüber hinaus gibt es nur noch wenige Tuberkulose-Fälle in den einkommensstarken Ländern.

Autor:
Stand:
18.08.2022
Quelle:

Faustmann, D. L. et al. (2022): Multiple BCG vaccinations for prevention of COVID-19 and other infectious diseases in Type 1 diabetes. Cell Reports Medicine. 2020 Aug; p. 100728; DOI: 10.1016/j.xcrm.2022.100728

  • Teilen
  • Teilen
  • Teilen
  • Drucken
  • Senden

Anzeige