Typ-2-Diabetes: Intensivere Lebensstilmodifikation für Hochrisiko-Phänotypen

Das Risiko für Diabetes mellitus Typ 2 hängt vom jeweiligen Phänotyp ab. Diesen zu bestimmen kann helfen, Betroffene durch die richtige Menge an Lebensstilmodifikationen vor einem Diabetes zu schützen.

Gesunder Lebensstil

Unser Lebensstil nimmt viel Einfluss auf unsere Gesundheit. Ungünstige Lebensstile können beispielsweise das Risiko für einen Typ-2-Diabetes mellitus (T2DM) begünstigen. Deshalb wird häufig als erstes mit Lebensstilmodifikationen gearbeitet, wenn Menschen einen Prädiabetes entwickeln. Diese Lebensstilmodifikationen gelten als vordringliche Therapieoption und bestehen meist daraus, dass die Ernährung geändert und körperliches Training in den Alltag integriert wird. Dadurch lässt sich das Risiko, das ein Prädiabetes innerhalb von ein bis sechs Jahren zu einem manifesten Diabetes umschlägt, zwischen 15% und 70% reduzieren. Häufig mit langfristigem Erfolg.

Phänotyp beeinflusst Therapieerfolg

Nicht alle Betroffenen mit einem Prädiabetes profitieren jedoch von solchen Lebensstilmodifikationen. Etwa jeder fünfte Person mit Prädiabetes und einem niedrigen Risiko für eine Progression hin zum Vollbild eines Diabetes entwickelte beispielsweise im »Diabetes Prevention Program« innerhalb von vier Jahren einen Typ-2-Diabetes. Nur etwa 40% gelang es im gleichen Programm, ihre Glukoseregulation wieder zu normalisieren. Etwa 60% der Teilnehmenden waren sogenannte Non-Responder. Das heißt, die Lebensstilmodifikationen haben bei ihnen nicht die gewünschte Wirkung gezeigt. Gleichzeitig entwickelt aber auch ein Teil aus einem Prädiabetes heraus nie das Vollbild eines Diabetes.

Ob eine Lebensstilmodifikation bei Betroffenen mit Prädiabetes erfolgreich ist, hängt unter anderem davon ab, welchem Phänotypen sie angehören. Eine retrospektive Analyse im Rahmen des »Tübingen Lifestyle Intervention Program« (TULIP) identifizierte beispielsweise einen Phänotypen für ein hohes Risiko kurzfristig oder langfristig eine Non-Response auf Lebensstilmodifikationen zu zeigen. Diese Menschen hatten unter anderem eine Dysfunktion der beta-Zellen oder eine Insulin-resistente, nicht alkoholische Fettleber. Gleichzeitig gab es Phänotypen, die ein niedriges Risiko hatten und langfristig gar nicht behandelt werden mussten.

Ein multizentrisches Wissenschaftsteam um Andreas Fritsche vom Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) und der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hat sich basierend auf diesem Wissen gefragt, ob bestimmte Menschen mit Prädiabetes von einer intensivierten Lebensstilmodifikation profitieren würden. Die Daten aus dieser »Prediabetes Lifestyle Intervention Study« (PLIS, NCT01947595) wurden nun im Journal »Diabetes« publiziert.

Zielsetzung

PLIS hat die Frage untersucht, ob Menschen mit einem Prädiabetes und einem hohen Risiko für einen T2DM von einer intensivierten Lebensstilmodifikation profitieren würden und ob dadurch eine Non-Response vermieden werden könnte. Gleichzeit wollten betrachtet, ob bei Menschen mit einem Prädiabetes und niedrigem Risiko für das Vollbild eines Diabetes eine konservative Lebensstilmodifikation ausreichen würde. Die Wissenschaftler vermuteten, dass bestimmte Phänotypen das Risiko für einen Diabetes erhöhen und prädestiniert dafür sein könnten zur Gruppe der Non-Responder zu gehören.

Methodik

Durchgeführt als multizentrische, stratifizierte, randomisiert-kontrollierte Interventionsstudie nahmen acht Studienzentren an Universitätskliniken in Deutschland an PLIS teil. Eingeschlossen werden konnten Teilnehmende, die entweder eine Prädiabetesverdachtsdiagnose hatten oder mindestens 50 Punkte im »German Diabetes Risk Score« erreichten. Des Weiteren mussten sie zwischen 18 und 75 Jahren sein, einen Body-Mass-Index (BMI) <45 kg/m² sowie einen nachweislich gestörten Nüchternblutzucker und/oder eine gestörte Glukosetoleranz aufweisen.

Die Intervention lief über 12 Monate mit anschließend zwei Jahren Follow-up. Im Screening für die Studie wurde der Prädiabetes anhand des Nüchternblutzuckers und der 2h-Glukose (2hPG) im standardisierten oralen Glukosetoleranztest (oGTT) nach den Kriterien der American Diabetes Association diagnostiziert. Ebenfalls untersucht wurden der Leberfettgehalt mittels Bildgebung, die Insulinsensitivität und die Insulinsekretion.

Gruppierung nach Risikostatus

Alle Teilnehmenden wurden entweder in eine High Risk (HR)-Gruppe oder eine Low Risk (LR)-Gruppe eingestuft. Als Cutoff-Werte wurden definiert eine reduzierte Insulinsekretion (Disposition Index) von <760 arbitrary units (AU), eine reduzierte Insulinsensitivität von <9,2 AU sowie ein Leberfettgehalt von >5,56%, um zwischen HR und LR zu differenzieren.

In der LR-Gruppe erhielten die Teilnehmenden entweder keine Intervention (Kontrollgruppe) oder eine konventionelle Intervention mit acht Coachings zur Lebensstilmodifikation und dem Rat, mindestens drei Stunden pro Woche zu trainieren. Die HR-Gruppe wurde unterteilt in eine Gruppe mit konventioneller Intervention und eine mit intensivierter Intervention. Letztere erhielt 16 Coachingsessions innerhalb des Interventionsjahrs und den Rat, sechs Stunden pro Woche zu trainieren.

Nach einem Jahr wurden alle vier Gruppen reevaluiert und die zuvor durchgeführten Tests wiederholt.

Outcomes

Als primäres Outcome wurde eine Änderung in der 2hPG nach 12 Monaten und des intermittierenden oGTT nach sechs Monaten definiert. Leberfettgehalt, Insulinsensitivität, Insulinsekretion und das kardiovaskuläre Risiko galten als sekundäre Outcomes.

Ergebnisse

Während der Screeningphase zwischen 2012 und 2016 konnten insgesamt 1.105 Teilnehmende mit Prädiabetes gemäß der Kriterien der American Diabetes Association in die Studie eingeschlossen werden. Es beendeten 82% der Teilnehmenden (908) die gesamte Studie, inklusive Nachbeobachtungszeitraum. Teilnehmende in der High Risk-Gruppe waren signifikant älter und hatten einen höheren BMI. Auch in allen großen metabolischen Eigenschaften wie beispielsweise Glukose- und Lipidlevel sowie Insulinsensitivität und Insulinsekretion unterschieden sie sich von den Teilnehmenden der Low Risk-Gruppe.

Stärkere Risikoreduktion bei intensivierter Modifikation

Nach der einjährigen Intervention konnten signifikante Unterschiede vor allem zwischen den beiden HR-Gruppen detektiert werden. Der Glukosewert nach einem oGTT lag in der Gruppe mit der intensivierten Lebensstilmodifikation um 0,29 mmol/L niedriger als in der HR-Gruppe mit der konventionellen Lebensstilmodifikation (95%-Konfidenzintervall [KI] -0,54 bis -0,04; p=0,025). Auch der Leberfettgehalt sank in der HR-Gruppe mit der intensivierten Modifikation stärker mit -1,34% [95%-KI -2,17 bis -0,05; p=0,002). Ähnlich verhielt es sich mit dem kardiovaskulären Risiko (-1,82%; 95%-KI -3,13 bis -0,50; p=0,007]), der Insulinsensitivität (0,64 AU; 95%-KI 0,13 bis 1,15; p=0,01) und dem BMI (-0,47 kg/m²; 95%-KI -0,74 bis -0,2; p<0,001). Kurz: Die HR-Gruppe mit der intensivierten Lebensstilmodifikation erreichte bei allen Messungen die größeren Reduktionen.

Keine Unterschiede bei niedrigem Risiko

In der LR-Gruppe sah dies jedoch anders aus: Im Gegensatz zu den HR-Gruppen konnten hier keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden. Einzig der BMI und der Nüchternblutzucker zeigten relevante Unterschiede zwischen den beiden Gruppen.

Effekte bestehen langfristig

Im Dreijahres-Follow-up wiederholte sich die Beobachtung: Auch hier war die kumulativ höhere Konversionsrate zurück zu einer normalen Glukosetoleranz mit einer Hazard Ratio von 1,57 (95%-KI 1,17 bis 2,1; p=0,003) bei den HR-Teilnehmenden zu finden. Mit der intensivierten Lebensstilmodifikation hatten die Teilnehmenden somit durchweg eine höhere Wahrscheinlichkeit, ihre Glukosetoleranz zu normalisieren (p=0,008).

Fazit

Die PLIS-Studie zeigt, dass eine Risikostratifizierung bei Menschen mit einem Prädiabetes hilfreich sein kann. Menschen mit einem hohen Risiko für das Vollbild eines Typ-2-Diabetes mellitus profitieren von einer intensivierten Lebensstilmodifikation mit medizinischer Unterstützung. Dadurch lassen sich die glykämischen und kardiometabolischen Outcomes signifikant verbessern. Deshalb, so schlussfolgert das Studienteam, könnten individualisierte, Risikophänotyp-basierende Lebensstilmodifikationen vorteilhaft sein, um Diabetes vorzubeugen.

Autor:
Stand:
17.01.2022
Quelle:

Fritsche A. Et al. Different Effects of Lifestyle Intervention in High- and Low-Risk Prediabetes: Results of the Randomized Controlled Prediabetes Lifestyle Intervention Study (PLIS). Diabetes 2021; 70:2785-2795. DOI: 10.2337/db21-0526

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