Muskulär bedingte Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie

Eine Forschergruppe der Universitätsmedizin Mainz konnte zeigen, dass Schmerzen aufgrund einer diabetischen Polyneuropathie nicht nur neuropathisch, sondern auch muskulär bedingt sein können. Sie empfehlen daher bei betroffenen Patienten ein routinemäßiges Screening auf Muskeltriggerpunkte.

Schmerzen Wade

Die diabetische Polyneuropathie ist eine häufige Komplikation des Diabetes mellitus. Sie tritt insbesondere in den Händen und Füßen auf und verursacht Symptome wie Kribbeln und Taubheitsgefühle.  Etwa 50% der Diabetespatienten entwickeln diese Erkrankung, die bei etwa einem Drittel davon schmerzhaft ist. Diese sogenannte schmerzhafte diabetische Polyneuropathie (pDN) geht einher mit einer schweren Neuropathie, höheren Angst- und Depressionswerten sowie einer stärkeren Beeinträchtigung der Lebensqualität.

Die Ursachen des neuropathischen Schmerzes sind vielseitig und reichen von einer Erhöhung der Aktivierung peripherer Nozizeptoren über eine zentrale nozizeptive Sensibilisierung bis hin zu einer unzureichenden Schmerzkontrolle. Dadurch werden andere Arten von Schmerz an Gelenken, Knochen oder Muskeln allerdings oft übersehen. Eine Untersuchung an Patienten mit Chemotherapie-induzierter Neuropathie (CIN) zeigte beispielsweise eine muskuloskelettale Schmerzbeteiligung bei etwa 60% der Teilnehmenden.

Daher untersuchte eine Forschergruppe der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz nun, inwiefern muskulaturbedingte Schmerzen bei Patienten mit schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie auftreten. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift »Diabetes Care« veröffentlicht.

Zielsetzung

Empfehlungen zur Arzneimitteltherapie basieren häufig auf Studien, die eine pDN mit dem Krankheitsbild der neuropathischen Schmerzen gleichsetzen. Zur muskulären Beteiligung bei Schmerzen durch diabetische Polyneuropathie liegen bisher kaum Daten vor. Laut der Studienautoren führt die Missachtung der individuellen Schmerzmechanismen jedoch zu einer mäßigen und sehr heterogenen Schmerzlinderung. Die Untersuchung zu muskulaturbedingten Schmerzen bei pDN-Patienten soll eine differenziertere und damit erfolgreichere Behandlung der Betroffenen unterstützen.

Methodik

Es wurden 69 Personen mit diabetischer Polyneuropathie aufgrund eines Typ-2-Diabetes untersucht. Das durchschnittliche Alter betrug 66 ± 1,3 Jahre, 25 der Teilnehmenden waren weiblich. Während 41 Personen eine schmerzhafte diabetische Polyneuropathie aufwiesen, hatten 28 Personen eine nicht schmerzhafte Form (npDN). Ausgeschlossen wurden Patienten mit Neuropathien, Prädiabetes oder Typ-1-Diabetes, zusätzlichen chronischen Schmerzsyndromen oder zerebrovaskulären Erkrankungen.

Zur Beurteilung des Schmerzes wurden verschiedene standardisierte klinische Untersuchungen, eine Nervenleitfähigkeitsstudie, eine sensorische Phänotypisierung durch quantitative sensorische Tests (QST) und eine Prüfung der Schmerztoleranz und Schmerzkontrolle (Cold Pressor Test [CPT]) durchgeführt.  Außerdem wurden Fragebögen der Patienten zur Selbstbeurteilung von depressiven Symptomen, Angstsymptomen und zu polyneuropathiebedingten Beeinträchtigungen ausgewertet (Hospital Anxiety and Depression Scale, HADS).

Ergebnisse

Die klinische diabetische Polyneuropathie wurde bei allen Patienten bestätigt und alle erfüllten die Kriterien für definitive neuropathische Schmerzen. Auch die demographischen und diabetesspezifischen Daten der Teilnehmenden waren vergleichbar. Personen mit pDN nahmen häufiger Analgetika ein als Personen mit nicht schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie (29,3% vs. 3,6%, p<0,01). Die Polyneuropathie war bei Patienten mit pDN insgesamt stärker ausgeprägt als bei Patienten mit npDN.

Nachweis myofaszialer Schmerzen

Myofasziale Schmerzen, Verhärtungen im Muskelgewebe, charakterisieren sogenannte Muskeltriggerpunkte, die bei direkter Palpation spontan oder bei körperlicher Belastung auftretende lokale und referenzierte Schmerzen reproduzieren. Bei 22% (9/41) der pDN-Patienten wurden zusätzlich zu den neuropathischen Schmerzen solche aktiven Muskeltriggerpunkte insbesondere in den vorderen oder hinteren Wadenmuskeln und den Fußsohlenmuskeln gefunden. Bei 89% (n=8) der Betroffenen traten die myofaszialen Schmerzen beidseitig auf, bei 78% (n=7) waren spiegelbildliche Muskeln betroffen. Es fanden sich bei keinem Patienten mit nicht schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie Muskeltriggerpunkte.

Stärkere Schmerzen bei myofaszialer Beteiligung

In der Studie konnte außerdem gezeigt werden, dass pDN-Patienten mit nachgewiesenen myofaszialen Schmerzen im Vergleich zu pDN-Patienten ohne Muskelbeteiligung eine höhere mittlere (NRS 54,4 ± 5,0 vs. 33,0 ± 3,7; p<0,01) und höhere maximale Schmerzintensität (NRS 76,6 ± 6,6 vs. 51,9 ± 5,3; p<0,01), eine schlechtere Schmerztoleranz und -kontrolle im CPT aufwiesen. Sie hatten außerdem höhere HADS-Scores und berichteten über schwerere neuropathiebedingte Beeinträchtigungen in Bezug auf Schlaf, soziale Beziehungen und Gehfähigkeit.

Fazit

Laut der Studienautoren lassen die Ergebnisse darauf schließen, dass myofasziale Schmerzen bei pDN häufig auftreten. Es wird vermutet, dass diese Art der Schmerzen eine Untergruppe der pDN darstellt oder sogar generell auf schmerzhafte Neuropathien übertragbar ist, da sich die Ergebnisse mit früheren Entdeckungen bei CIN-Patienten decken.

Grundlage für bessere Therapieoptionen

„Unsere Erkenntnisse zu den Schmerzursachen bei der diabetischen Polyneuropathie sind für die Betroffenen von großer Bedeutung. Sie eröffnen die Möglichkeit für kausale, personalisierte Therapieoptionen und einen gezielteren Einsatz von sowohl nichtmedikamentösen als auch medikamentösen Behandlungsstrategien“, erläutert Universitätsprofessor Dr. Frank Birklein, Klinischer Leiter und Leiter der Sektion Periphere Neurologie und Schmerz der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz in einer Pressemitteilung.

Routine-Screening auf myofasziale Schmerzen

„Ausgehend von unseren Untersuchungsergebnissen empfehlen wir bei Patient:innen mit einer schmerzhaften diabetischen Polyneuropathie sowohl bei der individuellen Behandlung als auch im Rahmen von Arzneimittelstudien ein routinemäßiges Screening nach myofaszialen Schmerzen. Durch eine Anpassung der klinischen Untersuchung wäre dies in der Praxis leicht umzusetzen. Auf diese Weise könnten zukünftig deutlich verbesserte Therapieerfolge erzielt werden“, erklärt auch der korrespondierende Autor PD Dr. Christian Geber, assoziierter Lehrbefugter der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz und leitender Oberarzt im DRK Schmerz-Zentrum Mainz.

Autor:
Stand:
20.09.2022
Quelle:
  1. Escolano-Lozano F, Buehling-Schindowski F, Krämer HH, Birklein F, Geber C. Painful Diabetic Neuropathy: Myofascial Pain Makes the Difference. Diabetes Care. 2022 Aug 30:dc221023. DOI: 10.2337/dc22-1023
  2. Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz: Pressemitteilung – Diabetes: Schmerz ist nicht gleich Schmerz (30.08.2022)
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