Effektivität von Enterosgel beim Reizdarmsyndrom

Die bislang größte durchgeführte Studie zur Effektivität und Sicherheit von Enterosgel zur Symptomlinderung des Diarrhoe-prädominanten Reizdarmsyndroms bei Erwachsenen zeigte eine Überlegenheit des Präparats gegenüber Placebo.

Magnet

Das Reizdarmsyndrom stellt mit einer Prävalenz von etwa 11,2% eine der häufigsten gastrointestinalen Erkrankungen dar. Zu den Symptomen gehören wiederkehrende Bauchschmerzen, Blähungen und Stuhlgangveränderungen, wobei zwischen obstipations-dominanten, diarrhoe-dominanten und gemischten Subtypen unterschieden wird. Zur Beschwerdelinderung der diarrhoe-prädominanten Form des Reizdarmsyndroms werden pharmakologische Substanzen in Kombination mit diätischen Maßnahmen empfohlen, allerdings ist die Zufriedenheitsrate der Patientinnen und Patienten hinsichtlich des Therapieerfolgs mit weniger als einem Drittel eher niedrig.

Intestinale Adsorbenzien, darunter Enterosgel, werden häufig bei Durchfällen begleitend eingesetzt und wirken, indem sie, neben Wasser, bakterielle Abbauprodukte und Toxine binden und dadurch inaktivieren. Angesichts der Tatsache, dass direkte Vergleiche zu Scheinmedikamenten fehlten, wurde die Effektivität von Enterosgel in einer Placebo-kontrollierten Studie, die im Jahr 2022 im Gut-Journal der Britischen Gesellschaft für Gastroenterologie veröffentlicht wurde, untersucht.

Zielsetzung

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Howell beschäftigten sich mit der Fragestellung, inwieweit die Effektivität von Enterosgel bei Patientinnen und Patienten mit einer diarrhoe-prädominanten Form des Reizdarmsyndroms einem Placebo überlegen ist. In diesem Rahmen wurde weiterhin die Verträglichkeit und Sicherheit der Substanz untersucht.

Methodik

Die parallele, randomisierte, doppel-blinde und Placebo-kontrollierte Studie fand multizentral in Großbritannien statt und startete Ende 2018 mit einer Screening-Phase von zwei Wochen. Hierbei wurden Patientinnen und Patienten im Alter von 16 bis 75 herausgesucht, die die Rom IV-Kriterien für das diarrhoe-dominante Reizdarmsyndrom erfüllten. Zu den Exklusionskriterien zählten unter anderem weitere gastrointestinale (Krebs-) Erkrankungen sowie die Anwendung von Enterosgel oder anderen Adsorbenzien in der Vergangenheit. Der Randomisierung folgte eine doppelblinde Phase, in der die beiden Patientengruppen jeweils acht Wochen entweder Enterosgel oder ein Placebo einnahmen. Die Dosierung lag in den ersten fünf Tagen bei 15 g zweimal täglich und konnte danach, abhängig von der Symptomstärke, von den Patientinnen und Patienten auf 30 g dreimal täglich erhöht werden.

In den darauffolgenden acht Wochen erhielten alle Teilnehmenden Enterosgel im Open-Label-Use. Personen, die in den letzten vier Wochen dieser Phase ein Ansprechen auf Enterosgel angaben, wurden in einer Follow-Up-Phase telefonisch kontaktiert und zum Therapie-Erfolg befragt.

Zusätzlich zu persönlichen und telefonischen Befragungen dokumentierten die Teilnehmenden die Stuhlkonsistenz, abdominelle Schmerzen und Präparat-Dosierung in einem elektronischen Tagebuch. Wöchentlich wurden der Schweregrad der Blähungen, Stuhldrang und die Anwendung von Loperamid schriftlich festgehalten. Außerdem wurden jede Woche der Schweregrad des Reizdarmsyndroms anhand des Irritable Bowel Syndrome Severety Scoring Systems (IBS-SSS) sowie die Produktivität und Einschränkungen bei der Arbeit anhand von Fragebögen erfasst. Alle vier Wochen füllten die Patientinnen und Patienten weiterhin Fragebögen zur Lebensqualität und allgemeinen Beschwerdelinderung aus.

Ergebnisse

Von den 617 in der Screening-Phase teilnehmenden Patientinnen und Patienten wurden 440 in die Studie aufgenommen und randomisiert: 217 erhielten Enterosgel und 215 das Placebo. Es vollendeten 393 Personen die doppelblinde Phase; 193 in der Wirkstoffgruppe und 200 in der Placebogruppe. Die Open-Label-Phase wurde von 349 Personen abgeschlossen, von denen 265 in die Follow-Up-Phase aufgenommen wurden. Diese vollendeten 253 Patientinnen und Patienten. Bis auf die Daten einer Person in der Enterosgel-Gruppe waren die Daten aller randomisierten Personen verwertbar und wurden in die Analyse aufgenommen.

Klassifizierung von Respondern

Als Responder wurden Personen definiert, die in mindestens vier von acht Wochen im Vergleich zur Screening-Phase um ≥30% reduzierte abdomineller Beschwerden angaben sowie diejenigen, deren Stuhl im Vergleich zur Screening-Phase wöchentlich um mindestens 50% seltener eine weiche bis flüssige Konsistenz aufwies (Bristol Stool Form Scale (BSFS) Typ 6 und 7).

Ergebnisse der doppelblinden Phase

In der doppelblinden Behandlungsperiode erwiesen sich 37,4% der Patientinnen und Patienten in der Enterosgel-Gruppe und 24,3% in der Placebo-Gruppe als Responder (Odds-Ratio [OR] 1,95; 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,28 bis 2,99; p=0,002). Die durchschnittliche Zahl der Tage mit einer weichen bis flüssigen Stuhlkonsistenz war in der Enterosgel-Gruppe geringer als in der Placebo-Gruppe (2,46 gegenüber 3,16 Tage; im Vergleich lag sie bei 4,4 in der Screening-Phase). Es gaben 53,3% der Patientinnen und Patienten, die Enterosgel einnahmen, eine Linderung abdomineller Beschwerden an. In der Placebo-Gruppe war dies bei 40,2% der Fall. Auch hinsichtlich der Reduktion des Stuhldrangs, der Stuhlgangfrequenz, Blähungen und Loperamid-Einnahme wurde ein signifikanter Effekt von Enterosgel beobachtet.

Im Laufe der acht Wochen gaben 56% der Personen in der Enterosgel-Gruppe an, eine ausreichende allgemeine Symptomlinderung zu verspüren, während dies nur auf 22% der Patientinnen und Patienten, die Placebo einnahmen, zutraf. Die aus den Fragebögen gewonnen Daten zeigten weiterhin in der Enterosgel-Gruppe einen niedrigeren IBS-SSS-Score (p=0,0002) und das Empfinden einer höheren Lebensqualität (p=0,0024). Hinsichtlich der Arbeitsproduktivität zeigten sich keine wesentlichen Unterschiede in den Gruppen, jedoch berichteten signifikant weniger Enterosgel-Patientinnen und -Patienten von Arbeitseinschränkungen aufgrund des Reizdarmsyndroms.

Die Anzahl von Nebenwirkungen wie Brechreiz, Blähungen und Kopfschmerzen war in beiden Gruppen ähnlich (33 in der Enterosgel-Gruppe und 32 in der Placebo-Gruppe).

Ergebnisse der Open-Label- und Follow-Up-Phase

Eine fortgesetzte Ansprache auf Enterosgel konnte in den auf die Entblindung folgenden acht Wochen beobachtet werden. Insgesamt 75,9% der Probandinnen und Probanden gaben an, eine ausreichende Symptomlinderung im Vergleich zu ihrem Zustand vor der Studie zu spüren. Im Follow-Up-Gespräch berichteten 80,6% nach dem Ende der Open-Label-Phase weiterhin Enterosgel eingenommen zu haben.

Limitationen

Die Studie weist einige Limitationen auf, die von der Forschungsgruppe detailliert erläutert werden.

Es wurden ausschließlich Patientinnen und Patienten in die Studie aufgenommen, die aktuelle Rom IV-Kriterien erfüllten. In etwa 50% der Fälle manifestiert sich das Reizdarmsyndrom allerdings außerhalb dieser Kriterien, sodass die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf diese Gruppe nicht gewährleistet ist. Weiterhin konnte bei der Placebo-Herstellung keine identische Konsistenz mit dem Enterosgel erreicht werden. Somit ist anzunehmen, dass Patientinnen und Patienten beim Übergang in die Open-Label-Phase Unterschiede zwischen den erhaltenen Präparaten bemerkt haben könnten, was das Empfinden des Effekt von Enterosgel in der Open-Label-Phase möglicherweise beeinflusst haben kann.

Des Weiteren fehlten einige Tagebucheinträge zu Bauchschmerzen und Stuhlkonsistenz. Diese Lücken in den Datensätzen wurden durch Imputation geschlossen, sodass eine leichte Unterschätzung der wahren Streuung nicht auszuschließen ist.

Die Teilnehmenden konnten die Dosierung für einen großen Teil der Studie selbst festlegen, sodass keine Aussage zur optimalen Dosis für einen maximalen Effekt von Enterosgel gemacht werden kann.

Ebenfalls ist zu beachten, dass über die Hälfte der Studie während der Corona-Pandemie durchgeführt wurde, sodass viele Patientinnen und Patienten im Home-Office arbeiteten. Es ist anzunehmen, dass die Ergebnisse zur Produktivität und den Einschränkungen bei der Arbeit auch durch diese Situation beeinflusst wurden.

Fazit

Die Studie schließt eine reine Placebo-Wirkung von Enterosgel aus und zeigt seine Effektivität zur Beschwerdelinderung beim diarrhoe-prädominanten Reizdarmsyndrom. Weiterhin lagen die Nebenwirkungen auf Placebo-Niveau, was auf ein vorteilhaftes Sicherheitsprofil der Substanz hindeutet. Angesichts der bislang wenigen effektiven Behandlungsoptionen des diarrhoe-dominanten Reizdarmsyndroms könnte Enterosgel somit eine wirksame Ergänzung und, unter Umständen, eine Alternative zu anderen Präparaten darstellen.

Autor:
Stand:
03.01.2023
Quelle:
  1. Howell et al. (2022), Double-blinded randomised placebo controlled trial of enterosgel (polymethylsiloxane polyhydrate) für the treatment of IBS with diarrhoea (IBS-D) in Gut, DOI: 10.1136/gutjnl-2022-327293
  2. Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und Deutsche Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM): Update S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, DiagDiagno und Therapie (2021), DOI: 10.1055/a-1591-4794
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