
Seit Freitag, dem 1. Juli, werden pränatale Bluttests auf chromosomale Veränderungen beim Baby unter bestimmten Voraussetzungen von den Krankenkassen bezahlt. Bereits 2019 hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) prinzipiell die Entscheidung getroffen, dass sogenannte nicht-invasive Pränataltests (NIPT) auf die Trisomien 21, 13 und 18 in begründeten Einzelfällen und nach ärztlicher Beratung von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden können.
Als Begründung führte der G-BA an, dass der Bluttest nicht mit einem Risiko für die Schwangere und das ungeborene Kind verbunden sei. NIPTs können schon seit 2012 von Frauen in Anspruch genommen werden, mussten bisher jedoch selbst bezahlt werden.
Gesellschaftliche Debatten über das Thema
Mit diesen Tests können die drei häufigsten Trisomien 21 (Down-Syndrom), 13 (Pätau-Syndrom) und 18 (Edwards-Syndrom) beim ungeborenen Kind erkannt werden. Invasive pränataldiagnostische Verfahren wie Fruchtwasseruntersuchungen, die mit einem Risiko für eine Fehlgeburt einhergehen, sollen dadurch vermieden werden.
Der Beschluss des G-BA ist nicht unumstritten und wird von gesellschaftlichen Diskussionen begleitet. Thomas von Ostrowski, Vorstandsmitglied des Berufsverbands niedergelassener Pränatalmediziner (BVNP), betrachtet besonders die unklare Formulierung, für welche Frauen die Tests erstattet werden sollen, als problematisch. Seine Ansicht teilte er dem dpa mit: „Unter keinen Umständen darf der NIPT als Reihenuntersuchung auf Trisomie 21 verstanden werden.“ Diese Gefahr bestehe jedoch angesichts der ungenauen Vorgaben.
G-BA will Ungleichgewicht beenden
Eine Sprecherin des G-BA führte an, dass es keine leichte Entscheidung gewesen sei. Neben der Sicherheit des Tests sei einer der Gründe für den Beschluss die Beendigung eines potenziellen Ungleichgewichts gewesen. Es solle nicht eine Frage der finanziellen Mittel sein, ob Frauen den Test nutzen können oder nicht. Befürworter argumentieren zudem, dass die Tests sicher und zuverlässig seien und bei einem negativen Testergebnis eine Trisomie mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne.
Aussagekraft der Tests
Der BVNP kritisierte jedoch die Darstellung der Aussagekraft des Bluttests. Bei der Beurteilung des Tests dürften nicht nur Spezifität und Sensitivität betrachtet werden, die bei den NIPT und anderen diagnostischen Tests oft im Vordergrund stünden. Die beiden Werte, die für die NIPT bei über 99% liegen, seien in diesem Fall nur begrenzt aussagekräftig. Für Schwangere sei der positive prädiktive Vorhersagewert (PPV) weitaus wichtiger.
Die Sensitivität eines Tests bezeichnet die Fähigkeit des Tests, erkrankte Patienten korrekt als krank zu identifizieren (richtig-positiv) und die Spezifität gibt die Fähigkeit des Tests an, gesunde Patienten ohne die Erkrankung kor¬rekt als gesund zu erkennen (richtig-negativ). Mit dem PPV lässt sich die Wahrscheinlichkeit bestimmen, wie viele Patienten mit einem positiven Testergebnis auch tatsächlich erkrankt sind. Im Gegensatz zur Sensitivität und Spezifität spielt für die Berechnung des PPV auch das Alter, die Prävalenz und die Vortestwahrscheinlichkeit eine Rolle.
Die Prävalenz für eine Trisomie 21 beim Kind steigt mit zunehmendem Alter der Schwangeren an und ist gerade bei jüngeren Frauen sehr gering. Auch die Trisomien 13 und 18 weisen eine niedrige Prävalenz auf. Wird dies bei der Berechnung des PPV berücksichtigt, ergeben sich wesentlich geringere Wahrscheinlichkeiten für ein richtig-positives Testergebnis. Bei einem negativen Testergebnis ist die Wahrscheinlichkeit, dass dies korrekt identifiziert wurde (negativ prädiktiver Wert) dagegen sehr hoch.
Aufklärung und ärztliche Beratung wichtig
Dies führt dazu, dass abhängig vom Alter der Frau trotz positiven Tests dennoch keine Trisomie vorliegt und zur Abklärung des Testergebnisses weitere Untersuchungen notwendig sind. Umso wichtiger sind die ausführliche ärztliche Beratung und Aufklärung über die angebotenen Tests, damit Schwangere sich darüber klar werden können, ob und weshalb sie den Test durchführen möchten.
Der G-BA stellt dazu außerdem eine Versichertenbroschüre zur Verfügung, die Bestandteil des Beratungsgesprächs sein und Informationen über Zuverlässigkeit und Aussagekraft der Testergebnisse vermitteln soll. Laut von Ostrowski werde die zentrale Herausforderung das Gespräch mit der Schwangeren sein, um dieser eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen. „Die Erweiterung der NIPT als Kassenleistung wird gesellschaftlich noch weiter zur Polarisierung beitragen.“, ist er sich sicher.