
Die Zikavirus-Epidemie in Südamerika begann im Frühjahr 2015. Seit dem haben sich mehr als eine Million Menschen mit dem Zikavirus infiziert. In den meisten Fällen verläuft die Infektion harmlos, doch in der Schwangerschaft birgt sie ein hohes Risiko.
Im Herbst 2015 wurden in südamerikanischen Ländern vermehrt Neugeborene mit Fehlbildungen geboren. Die Zahlen von fetalen Verlusten, Spontanaborten und Gehirnanomalien, insbesondere Mikroenzephalien, stiegen enorm – und wurden dem Zikavirus zugeordnet. Glücklicherweise aber verlief nicht jede Zika-Schwangerschaft so gravierend. Mehr als 90 Prozent der Neugeborenen von infizierten Müttern kamen vermeintlich gesund zur Welt. Möglicherweise kann es aber auch bei klinisch inapparenten Neugeborenen zu langfristigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommen. Das herauszufinden war Gegenstand einer aktuellen Studie.
Im Tiermodellversuch konnte nachgewiesen werden, dass vor allem bei männlichen Nachkommen mit neurokognitiven Folgen zu rechnen ist. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift Nature Microbiology publiziert (2018; DOI: 10.1038/s41564-018-0236-1).
Verhalten, die Gedächtnisleistung und Gewebeveränderungen auf dem Prüfstand
Ein Forscherteam um Prof. Dr. Gülsah Gabriel, Leiterin der Abteilung „Virale Zoonosen – One Health“ am Heinrich-Pette-Institut (HPI) und an der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) bewertet das Risiko von neurokognitiven Langzeitschäden bei vermeintlich gesunden Nachkommen Zikavirus-infizierter Mütter. Die im Tiermodellversuch an Mäusen durchgeführte Studie wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und unter Beteiligung zahlreicher hoch renommierter nationaler und internationaler Partner durchgeführt. Gegenstand der Forschung waren im Einzelnen das Verhalten und die Gedächtnisleistung der Nachkommen sowie maternale und neonatale Gewebeveränderungen. Beobachtet wurden Mäuse und deren Mütter, die in der Trächtigkeit eine milde Zikavirus-Infektion durchlebten. Jeder Schwerpunkt wurde von einer eigenen Arbeitsgruppe untersucht.
Zikaviren in der Gebärmutter behindern fetale Versorgung
Prof. Dr. Wolfgang Baumgärtner, Leiter des Instituts für Pathologie der TiHo, untersuchte mit seiner Arbeitsgruppe Gewebeproben aus der Gebärmutter Zikavirus-infizierter, trächtiger Mäuse. Die Viren besiedelten vor allem Zellen, die sich in der Grenz-Zone zwischen mütterlichem Gewebe und Embryo befinden. Außerdem fanden die Forscher in den virusinfizierten Uterus-Arealen ausgedehnte Zelluntergänge. Diese Gewebeanomalien sind vermutlich für eine defizitäre Versorgung der Feten verantwortlich. Als Folge wären organische Fehlbildungen, kognitive Einschränkungen und auch der frühzeitige Tod des Ungeborenen sehr wahrscheinlich. Um diese These zu untermauern, wurden schwangere Mäuse unterschiedlich hohen Zikavirus-Konzentrationen ausgesetzt.
Erwartungsgemäß führte eine hochdosierte Virus-Injektion bei immunkompetenten trächtigen Mäusen zu schweren Phänotypen der Nachkommen mit hohem Letalfaktor beim Fötus. Im Gegensatz dazu führte eine niedrig dosierte mütterliche Zikavirus-Infektion lediglich zu einem reduzierten Geburtsgewicht, aber zu keinen anderen offensichtlichen Phänotypen.
Zikaviren im Gehirn der Neugeborenen beeinflussen Gedächtnis im Erwachsenenalter
Im Gehirn der Neugeborenen fanden die Pathologen ebenfalls Zikaviren. „Wir konnten Zikaviren im Gehirn der Neugeborenen nachweisen und vermuten, dass diese dort auch Schäden anrichten“, berichtete Baumgärtner. Weiterhin fiel den Forschern auf, dass viral infizierte Mäuse mehr zerstörte Zellen im Gehirn aufwiesen als ihre inapparenten Artgenossen ohne Zikaviren. „Insbesondere die für die Gedächtnisbildung zuständige Region des Hippocampus schien betroffen zu sein“, so Baumgärtner.
Ein weiteres Team untersuchte, wie sich diese Gewebeveränderungen auf das Verhalten und die Gedächtnisleistung ausgewachsener Nager auswirken. Dabei kam die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Wolfgang Löscher, Leiter des Instituts für Pharmakologie, zu folgendem Ergebnis: „Wir konnten zeigen, dass vor allem bei männlichen Mäusen die Lern- und Gedächtnisleistung eingeschränkt war. Um Probleme zu lösen, nutzten die Tiere Strategien, die darauf hinweisen, dass sie auf die Funktionen des Hippocampus nicht zurückgreifen konnten“, so Löscher.
Testosteron-Überschuss - männliche Nachkommen besonders betroffen
Die Wissenschaftler stellten fest, dass männliche Föten im Vergleich zu ihren weiblichen Wurfgeschwistern eher an in utero-Zikavirus-Infektionen verstarben. Das veranlasste die Arbeitsgruppe um Baumgärtner dazu, nach weiteren geschlechtsspezifischen Unterschieden zu suchen. Ihnen fiel auf, dass männliche, mit dem Zikavirus-infizierte Mäuse einen deutlichen Testosteron-Überschuss aufwiesen. Ein erhöhter Testosteronspiegel könnte sich auch auf die Entwicklung des Gehirns auswirken.
„Testosteron spielt eine wichtige Rolle in der embryonalen Entwicklung des Nervensystems“, erklärt Baumgärtner. Und ihr Verdacht bestätigte sich. Männliche Mäuse präsentierten tatsächlich eine erhöhte Anzahl unreifer Neuronen, und zwar in apikalen und basalen Hippocampus-Dendriten. Bei den weiblichen Nachkommen fanden sich ebenfalls unreife Neuronen - hingegen nur in basalen Zellfortsätzen. Möglicherweise ist das der Grund, warum überwiegend männliche infizierte Mäuse an Lern- und Gedächtnisstörungen litten.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in Ländern mit einer hohen Prävalenz von Zikavirus-Infektionen eine erhöhte geschlechtsspezifische Wachsamkeit erforderlich ist. Ein gesundes Erscheinungsbild bei der Geburt ist kein Garant für eine normale neuronale Entwicklung. „Unsere Ergebnisse zeigen, wie wichtig es gerade bei zunächst unauffälligen Kindern von Zikavirus-infizierten Müttern ist, ein gezieltes und geschlechtsspezifisches Monitoring durchzuführen“, resümiert Prof. Dr. Gülsah Gabriel. Deshalb liegt es nahe, die Auswirkung von erhöhten Testosteronkonzentrationen infolge einer kongenitalen Zikavirus-Infektion in weiteren Studien genauer zu untersuchen. Damit könnten neuropathologische und neurokognitive Beeinträchtigungen im späteren Leben der Betroffenen besser verstanden werden.