COVID-19: Die verschwundenen Herzinfarkte

Seit Wochen berichten Krankenhäuser über eine deutliche Abnahme akuter Herzinfarkte. Wahrscheinlich hat jedoch nicht die Inzidenz der Infarkte abgenommen, sondern das Vertrauen der Patienten in die Sicherheit der kardiologischen Versorgung in Pandemie-Zeiten.

Rettungswagen

Hintergrund

Es könnte eigentlich eine gute Nachricht sein: Seit die COVID-19-Pandemie grassiert, sind die Hospitalisierungen aufgrund akuter Herzinfarkte in vielen Zentren deutlich zurückgegangen. Das ist äußerst rätselhaft, denn man sollte annehmen, dass akute Herzinfarkte infolge der Pandemie eher zunehmen. Alleine die psychische Belastung durch das Infektionsrisiko, die Erkrankung oder der Tod von Angehörigen aber auch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, sollten das Risiko von Herzinfarkten eigentlich in die Höhe treiben. Darüber hinaus greift gerade SARS-CoV-2 das Herz direkt an und die Erkrankung an COVID-19 kann schwerwiegende kardiovaskuläre Komplikationen und Ereignisse hervorrufen. [1]

Infarkt-Rückgang ist trügerisch

Viele Fachgesellschaften gehen daher davon aus, dass der Rückgang weniger mit einer abnehmenden Zahl kardiovaskulärer Ereignisse, sondern mehr mit einer tiefen Verunsicherung der Patienten zu Zeiten von COVID-19 zu tun hat. Sie nehmen an, dass Patienten mit entsprechenden Symptomen das Rufen medizinischer Hilfe scheuen, weil sie befürchten, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren oder in den als überlastet geltenden Krankhäusern nicht adäquat versorgt zu werden. Eine weitere Ursache für den Rückgang könnte sein, dass Todesfälle aufgrund akuter Myokard-Infarkte fälschlicherweise einer gleichzeitig vorliegenden COVID-19-Erkrankung zugeschrieben werden.

Appell der Fachgesellschaften

Die Fachgesellschaften haben daher in einem Offenen Brief an Bundesforschungsministerin Anja Karliczek appelliert, eine adäquate medizinische Versorgung von Patienten mit schweren Herzbeschwerden auch in Zeiten der COVID-19-Pandemie sicherzustellen, um eine gefährliche Unterbehandlung von kardiovaskulären Ereignissen zu vermeiden. [2] Bisher konnten sich die Fachgesellschaften bei ihren Warnungen über den trügerischen Rückgang der Herzinfarkte jedoch nur auf anekdotische Berichte verschiedener Herzkatheterlabore berufen. Nun haben US-Kardiologen eine Daten-Analyse im Journal of the American College of Cardiology veröffentlicht, die den dramatischen Rückgang von Fällen akuter Herzinfarkte belegt. [3]

US-amerikanische Analyse

Die Analyse beruhte auf den Daten von neun über die USA verteilten Herzzentren mit hohem Aufkommen an Katheterinterventionen. Ein Team um den Kardiologen Dr. Santiago Garcia vom Abbott Northwestern Hospital in Minneapolis verglich das Aufkommen von Eingriffen vor COVID-19 (1. Januar 2019 bis Ende Februar 2020) und nach COVID-19 (1. bis 31. März 2020). Vor dem Beginn der Pandemie wurden in den neun Zentren mehr als 180 Eingriffe aufgrund eines Herzinfarktes mit ST-Hebung (ST-elevation myocardial infarction [STEMI]) monatlich verzeichnet durchgeführt. Nach dem den Beginn COVID-19-Pandemie in den USA (Stichtag 1. März 2020) sank die Gesamtzahl der interventionellen  STEMI-Behandlungen auf 138. Das entspricht einem Rückgang um 38%.

Spätfolgen der Unterbehandlung

Wenn die Befürchtungen der Fachgesellschaften zutreffen und akute Herzinfarkte aufgrund der Verunsicherung der Patienten derzeit nicht schnell genug adäquat behandelt werden, könnten sich in naher Zukunft schwere Folgekomplikationen häufen. Zu diesen Komplikationen zählen: Myokardrupturen, kardiogener Schock, Reinfarkte, Herzinsuffizienz oder ventrikulären Arrhythmien. Um das Vertrauen der Patienten in eine gute kardiologische Versorgung auch zu Corona-Zeiten wieder herzustellen und so gravierenden Spätfolgen unbehandelter kardiovaskulärer Ereignisse vorzubeugen, müssen Patienten und die Gesamtbevölkerung umfassend informiert und aufgeklärt werden.

Autor:
Stand:
20.04.2020
Quelle:
  1. Overbeck (2020): COVID-19-Pandemie: Wo sind all die akuten Herzinfarkte geblieben? Kardiologie org. News 13.04.2020.
     
  2. Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (2020): Offener Brief an Bundesforschungsministerin Karliczek: Lebensbedrohliche Herzerkrankungen nicht ignorieren! Presse. 08.April.2020
     
  3. Garcia S. et al. (2020): Reduction in ST-Segment Elevation Cardiac Catheterization Laboratory Activations in the United States during COVID-19 Pandemic. J Am Coll Cardiol 2020, online 10. April. DOI: 10.1016/j.jacc.2020.04.011
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