
Hintergrund
Mitte des 20igsten Jahrhunderts beobachtete man, dass Menschen mit einem hohen Kochsalzkonsum einen höheren arteriellen Blutdruck aufwiesen, als Menschen, die sich eher salzarm ernähren. Auf der anderen Seite stellte man aber auch fest, dass sich Salzkonsum individuell unterschiedlich auf den Blutdruck auswirkte: Während der Blutdruck einiger Menschen nur gering bei hoher Kochsalzaufnahme steigt, reagieren andere Menschen höchst salzempfindlich und können ihren Blutdruck durch eine salzarme Ernährung und Diuretika um mehr als 10 mmHg senken. Neue Studienergebnisse liefern nicht nur Stoff für interessante Hypothesen, sondern auch kontroverse Diskussionen. Die komplexe Physiologie von Salz- und Flüssigkeitshaushalt vor allem auch in Zusammenhang mit Nierenfunktion, Vasomotorik und letztlich Blutdruck macht die Sachlage dabei nicht einfacher.
Aktueller Review
Prof. Dr. David H. Ellison vom Oregon Clinical and Translational Research Institute der Oregon Health and Science Universität und Prof. Dr. Paul Welling vom LeDucq Transatlantic Network of Excellence und der Departments of Medicine and Physiology der Johns Hopkins Universität haben einen Review zum Thema Kochsalz und Blutdruck im New England Journal of Medicine veröffentlicht. In ihrem Review diskutieren die Autoren verschiedene Hypothesen und versuchen, ein tieferes Verständnis der Natrium-Homöostase zu gewinnen. Dabei widmen sie sich besonders der Rolle von Natriumdepots im Körper und der Regulation des Natrium-Kalium-Gleichgewichts. Diese physiologischen Erkenntnisse ziehen die Autoren heran, um die Ernährungsempfehlungen zur Blutdrucksenkung und zur Vorbeugung einer Hypertonie zu bewerten [1].
Natriumdepots beeinflussen die Salzhomöostase
Früher ging man davon aus, dass Natrium im Interstitium in einer frei fließenden isotonischen Lösung vorliegt. Bereits in der 1960iger Jahren wurde ein dreiphasisches Modell vorgeschlagen, in dem es neben der frei-fließenden Lösung, eine Gelphase, die reich an Glykosaminglykanen (GAG) ist, und eine dichte Phase auf der Basis einer rigiden Kollagenmatrix gibt, die ebenfalls an der Natrium-Homöostase beteiligt sind. In aktuellen Studien wird hierauf zurückgegriffen und insbesondere die Gelphase als mögliches Natriumdepot diskutiert, weil die GAG negativ geladen sind und das Kation Natrium binden können. Vor dem Hintergrund, dass der Ausgleich eines Salzmangels oder -überschusses über die Ernährung, das Trinkverhalten oder die Ausscheidung über die Nieren immer zeitverzögert abläuft, wird den Natriumdepots eine wichtige Rolle bei der Regulation der Salzhomöostase und der Blutdruckkontrolle zugeschrieben.
Zusammenhänge zwischen Kalium und Natrium
Besonders wichtig scheint auch der Zusammenhang von Natrium- und Kaliumaufnahme zu sein. Eine aktuelle Studie zeigte, dass Personen, die ein kaliumhaltiges Kochsalzsubstitut erhielten (75 % NaCl und 25 % KCl) statt 100 % NaCl, einen niedrigeren Blutdruck aufwiesen sowie darüber hinaus seltener Schlaganfälle und schwere kardiovaskuläre Ereignisse erlitten. Außerdem war ihre Gesamtmortalität niedriger als bei Personen, die normales Kochsalz zu sich nahmen [2].
Verantwortlich für diese Effekte soll nicht nur die Reduktion der Na-Aufnahme, sondern auch die Beobachtung sein, dass eine hohe Kaliumaufnahme die Salzempfindlichkeit senkt. Hintergrund hierfür ist möglicherweise ein Kaliumschalter im distalen Nephron. Er könnte auch erklären, das Aldosteron unter bestimmten Umständen zu Kaliurese und unter anderen zur Natrium Reabsorption führen kann (Aldosteron-Paradox).
Der Kaliumschalter ein evolutionäres Relikt
Der Kaliumschalter wird bei niedriger Kaliumzufuhr aktiviert. Er dient dazu Kalium zu sparen, indem er die Kaliumsekretion in der Niere auf Kosten einer erhöhten Natriumreabsorption begrenzt. Bei einer hohen Kaliumaufnahme hingegen wird die Natriumreabsorption in der Niere unterdrückt und die Kaliumsekretion erleichtert. Der Kaliumschalter scheint eine ideale Anpassung an vergangene Zeiten zu sein, in denen die Zufuhr von Natrium gering war und die Versorgung mit Kalium starken Schwankungen unterlag. Der Kaliumschalter wirkt sich bei einer westlichen Ernährungsweise mit hoher Salzzufuhr und niedriger Kaliumaufnahme jedoch ungünstig aus. Da er bei geringer Kaliumzufuhr die Natriumexkretion senkt, kann der Kaliumschalter eine Salzempfindlichkeit auslösen oder erhöhen. Auf der anderen Seite könnte dies erklären, wie mit der Nahrung aufgenommenes Kalium die Salzempfindlichkeit mildert.
Die Rolle der Mikrobiota
Die Hinweise mehren sich, dass die Aktivierung inflammatorischer Immunzellen Hypertonie und Endorganschäden fördert. Eine ballaststoffreiche Ernährung kann dem möglicherweise entgegenwirken, weil sie eine bestimmte Zusammensetzung der Mikrobiota im Dickdarm fördert. Dabei geht es vor allem um die kommensalen Bakterien, die Ballaststoffe fermentieren und kurzkettige Fettsäuren bilden. Die kurzkettigen Fettsäuren sollen antihypertensiv wirken, indem sie G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (G-protein-coupled receptors [GPR43 u. GPR109A]) in den Nieren, den Arterien, dem Herzen und den Immunzellen aktivieren. Insbesondere die Aktivierung antiinflammatorischer regulatorischer T(Treg)-Zellen soll dabei antihypertensive Reaktionen bewirken.
Eine hohe Salzzufuhr verändert die Mikrobiota
Eine salzreiche Nahrung hingegen kann den Anteil von günstiger Lactobacilluss spp. in der Darmmikrobiota verringern. Dadurch werden Typ 17 T-Helferzellen (Th17) aktiviert und möglicherweise eine salzsensitive Hypertonie induziert. In einer interventionellen Pilotstudie war ein Blutruckanstieg bei hoher Salzzufuhr mit einem reduzierten Überleben von intestinalen Lactobacillus spp. und einer erhöhten Zahl von Th17-Zellen korreliert. In großen epidemiologischen Studien war die starke Präsenz von Lactobacillus paracasei in der Darmmikrobiota mit einem niedrigeren Blutdruck und einem niedrigerem Salzkonsum assoziiert.
Fazit
Ganz allgemein halten die Autoren des Reviews fest, dass das Entstehen einer Hypertonie nicht unikausal zu erklären ist. Sie schlagen ein Mosaikmodell vor, indem die Hypertonie die Reaktion auf verschiedene Kombinationen unterschiedlicher Faktoren und Stressoren ist. Hierbei spielt Kochsalz variable und komplexe Rollen, die sowohl von intrinsischen (z. B. Salzsensitivität, hormonelle Einflüsse, Vorerkrankungen) als auch extrinsischen Faktoren (z. B. Kaliumzufuhr, allgemeine Ernährung) beeinflusst werden. Um die Volkskrankheit Hypertonie besser in den Griff zu bekommen, ist es daher essenziell, ein tieferes Verständnis über die komplexen Zusammenhänge und Wechselwirkungen des Salzhaushalts im Organismus zu gewinnen.