
Statine gelten als gut verträglich, sicher und effektiv. Sie verringern das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen, indem sie das LDL-Cholesterin über eine Hemmung der HMG-CoA-Reduktase senken. Die HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren haben jedoch Eigenschaften, die häufig zu Fehlern bei der Verschreibung führen. Ein Wissenschaftsteam um Prof. Dr. David S. Schade von der University of New Mexico, Albuquerque, publizierte aktuell im Fachmagazin „The American Journal of Medicine“ zehn der häufigsten Irrtümer, die bei der Verordnung von Statinen vorkommen.
Grundsätzlich plädiert Schade dafür, HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren in der geringsten möglichen Dosis und in Kombination mit einem weiteren, nicht primär in der Leber wirkenden Cholesterinsenker einzusetzen.
Irrtum 1 – Statine hemmen die Cholesterinsynthese in der Leber und senken so das LDL-Cholesterin im Plasma.
Falsch. Statine hemmen das Leberenzym HMG-Co-A-Reduktase. Das hat jedoch keine direkte Plasmacholesterin-Senkung zur Folge. Vielmehr führt die verminderte Cholesterinkonzentration in der Leber zu einer kompensatorisch erhöhten Expression von hepatischen LDL-Rezeptoren. Infolge wird mehr LDL-Cholesterin gebunden und die Menge des zirkulierenden LDL-Cholesterins sinkt.
Irrtum 2 – Hochwirksame Statine sollten abends eingenommen werden, da LDL-Cholesterin vor allem nachts gebildet wird.
Nicht ganz richtig. LDL-Cholesterin wird tatsächlich vor allem nachts gebildet. Statine der ersten Generation hatten nur eine geringe Eliminationshalbwertszeit und sollten deshalb vorzugsweise vor dem Schlafengehen eingenommen werden. Neuere hochwirksame Statine haben eine deutlich höhere Halbwertszeit und können deshalb zu jeder Tages- und Nachtzeit eingenommen werden. Beispielsweise beträgt die Eliminationshalbwertszeit von Rosuvastatin 19 Stunden und die von Atorvastatin 13 Stunden.
Irrtum 3 – Statine sind vor allem bei akuten Koronarbeschwerden zu empfehlen, da sie das LDL-Cholesterin rasch senken und so weitere kardiovaskuläre Ereignisse verhindern
Nicht ganz richtig. Was stimmt? Statine verringern tatsächlich Folgeereignisse nach akuten Koronarsyndromen. Das geschieht aber nicht als direkte Folge der Cholesterinsenkung. Vielmehr beruht die präventive Kardioprotektion auf der schnellen antiinflammatorischen Wirkung der Lipidsenker. Dadurch werden instabile Plaques stabilisiert und Entzündungen reduziert. Die Reduktion von Cholesterin in Plaques dauert dagegen Monate.
Irrtum 4 – Bei Niedrigrisikogruppen überwiegt das Risiko, an Diabetes zu erkranken, dem möglichen Nutzen zur Reduktion von Arteriosklerose
Nicht bewiesen. Diese Behauptung konnte bislang in keiner Untersuchung sicher nachgewiesen werden, so Schade. Dokumentiert sei lediglich eine geringe statin-assoziierte Verschlechterung der Glukosetoleranz bei Patienten mit Prädiabetes. Diese kann aber zum Beispiel durch Metformin ausgeglichen werden.
Im Mai 2019 wurde der Zusammenhang zwischen der Einnahme von Statinen, glykämischen Merkmalen und dem Auftreten von Typ-2-Diabetes erneut untersucht. Nach Auswertung der Daten von 9.535 Probanden war die regelmäßige Einnahme von Statinen mit einem 38 Prozent höheren Risiko für das Auftreten von Typ-2-Diabetes verbunden. Am stärksten zeigte sich der Zusammenhang bei Personen mit gestörter Glukosehomöostase und bei übergewichtigen/adipösen Patienten. Es sei sehr wahrscheinlich, dass Personen, die Statine einnehmen, ein höheres Risiko für Hyperglykämie, Insulinresistenz und schließlich Diabetes mellitus Typ II aufweisen, so die Studienautoren. Strenge Präventionsstrategien wie regelmäßige Blutzuckerkontrollen und eine Gewichtsreduktion bei Patienten, die eine Statintherapie beginnen, könnten jedoch dazu beitragen, das Diabetesrisiko zu senken.
Irrtum 5 – Statine sollten möglichst als Monotherapie eingesetzt und bis zur gewünschten LDL-Cholesterinkonzentration nach Bedarf erhöht werden
Falsch. Diese – oft gängige Praxis – fördert einerseits die Gefahr von Nebenwirkungen wie Myalgien und Glukoseintoleranz, andererseits wird so Wirkpotential bei der Senkung zur angestrebten LDL-Cholesterinkonzentration verschenkt. Schade und Kollegen zufolge steigt die LDLc-senkende Wirksamkeit nur um 7 Prozent bei jeder Verdopplung der Dosis. Die besten Erfolge, so die Experten, würden mit einer Kombination erreicht, die an verschiedenen Orten ansetzt, beispielsweise 10 mg Rosuvastatin in Kombination mit 10 mg Ezetimib.
Irrtum 6 – Myalgie, Diabetes und geistige Verwirrung sind nachgewiesene Nebenwirkungen von Statinen
Nur fast richtig. Es gibt drei gut dokumentierte Nebenwirkungen der Statintherapie: Myalgien, Glukoseintoleranz und hämorrhagische Schlaganfälle (die aber nur bei schlecht kontrollierten hypertensiven Patienten auftreten). Myalgien sind selten. Eine zu Diabetes führende Glukose-Intoleranz ist bei bestimmten Patienten-Dosis-Konstellationen dokumentiert. Viele Studien haben psychische Aberrationen (Depression, Alzheimer-Krankheit, Verwirrung usw.) untersucht, die Beurteilungen dazu sind jedoch widersprüchlich.
Irrtum 7 – Wenn Statine die LDL-Konzentration signifikant senken, sinkt auch der Kalzium-Score in den Koronararterien
Falsch. Der Kalzium-Score in den Koronararterien gibt Aufschluss über das kardiovaskuläre Risiko. Je höher die Punktzahl, desto wahrscheinlicher ist ein kardiovaskuläres Ereignis. Daher liegt es nahe zu glauben, dass die Umkehrung der Arteriosklerose mit Statinen zu einer Verringerung der Punktzahl führt. Aber: Ein Merkmal von stabilen atherosklerotischen Plaques ist die Anreicherung von Kalzium. Statine können die Plaquestabilität steigern, indem sie die Kalziumkonzentration der Plaques erhöhen. Die Umwandlung von einem instabilen in einen stabilen Plaque sorgt dafür, dass die Plaques weniger schnell rupturieren. Statine reduzieren also nicht das koronare Kalzium, verlangsamen aber die Akkumulation.
Irrtum 8 – Randomisierte, doppelblind-kontrollierte Studien haben gezeigt, dass jeder 50. Patient unter Statinen an Myalgien leidet
Falsch. Die Tatsache, dass Statine Myalgie verursachen können, ist bekannt. Unsicherheiten gibt es jedoch zur Häufigkeit dieser Nebenwirkung. Randomisierte, verblindete kontrollierte Studien zeigten eine Inzidenz von etwa 1/1.000 Patienten mit einer Statintherapie. Die Nebenwirkung ist dosisabhängig verschieden. Die schlechteste Inzidenz ist bei 80 mg Simvastatin pro Tag dokumentiert. Der Grund für die Annahme, dass Statin-assoziierte Myalgien sehr viel häufiger auftreten, liegt wahrscheinlich am Nocebo-Effekt. Muskelschmerzen treten in allen Bevölkerungsgruppen auf – auch ohne Statin-Therapie. Erhält eine Person aber Statine, werden Muskelschmerzen erwartet. Jeder schmerzende Muskel wird daraufhin der Statintherapie zugeschrieben.
Irrtum 9 – Alle hochwirksamen Statine verursachen bei Maximaldosierung ähnliche rhabdomyolytische Ereignisse
Falsch. Es gibt drei Statine, die als hochwirksam eingestuft werden: Simvastatin, Atorvastatin und Rosuvastatin. Die Inzidenz der Rhabdomyolyse, die durch diese drei Statine verursacht wird, differiert bei den höchsten verfügbaren Dosierungen deutlich. Im Jahr 2011 belegte die FDA Simvastatin mit einem Warnhinweis. Aufgrund des erhöhten Rhabdomyolyse-Risikos, sollte das Arzneimittel nicht mehr in einer Dosierung von 80 mg pro Tag verschrieben werden.
Schade und Team führen an, dass Simvastatin die LDL-Konzentration bei äquivalenten Dosierungen signifikant geringer senkt als Rosuvastatin. Deshalb gäbe es derzeit keinen klinischen Grund für die Verschreibung von Simvastatin.
Irrtum 10 – Patienten, die meinen, aufgrund von Myalgien keine Statine einnehmen zu können, erkennen sicher den Unterschied zwischen einem Placebo und einem hochwirksamem Statin
Falsch. In einer klinischen „N of one“-Studie erhielten Patienten, die für sich selbst eine Statin-Intoleranz aufgrund einer Statin-assoziierten Myalgie diagnostizierten, abwechselnd verblindet ein Statin und ein Placebo. Im Ergebnis konnte nur eine von acht Personen richtig erkennen, welche Tablette das Statin war. Diese acht Personen waren sich im Vorfeld absolut sicher, dass sie Statine nicht vertragen würden.
Ein interessanter Nebenaspekt der Studie war, dass von den 50 für die Studie vorgesehenen Personen mit vermeintlicher (eigendiagnostizierter) Statin-Intoleranz, 42 ihre Bereitschaft zur Teilnahme an der Studie verweigerten.
Fazit
Statine sind sichere und wirksame Arzneimittel, um kardiovaskuläre Ereignisse zu verhindern. Ihre optimale Verwendung hängt von der gründlichen Kenntnis ihrer pharmakologischen Eigenschaften ab. Dazu gehören die Stimulation des PCSK9-Proteins, die Steigerung der Kalziumkonzentration in Koronararterien-Plaques und die hepatische Stimulation der LDL-Rezeptoranzahl. Das Ziel während einer Statintherapie sollte darin bestehen, mögliche Nebenwirkungen zu minimieren und die Reduktion des LDL-Cholesterins zu maximieren. Dafür sollte die niedrigste mögliche Dosis verwendet und das Statin mit einem anderen, nicht primär intrahepatisch wirksamen Lipidsenker (beispielsweise Ezetimib) kombiniert werden.