
Individuelle Versorgung als Ziel
Die Versorgung von Patienten mit Vorhofflimmern (VHF) gehört zum „Butter-und-Brot-Geschäft“ vieler kardiologischer, aber mittlerweile auch Hausarztpraxen. Die Komplexität der Erkrankung, die mitunter physisch und psychisch belastenden Symptome und die potenziell gravierenden Folgen des Vorhofflimmerns erfordern ein strukturiertes Vorgehen, um den Patienten die individuell bestmögliche Versorgung zu bieten.
Zu diesem Zweck hat die European Society of Cardiology (ESC) in Zusammenarbeit anderen Fachgesellschaften 2020 Leitlinien zum Management des Vorhofflimmerns herausgebracht. Priv. Doz. Dr. med Ralph Bosch vom Cardio Centrum Ludwigsburg-Bietigheim hat die essenziellen Empfehlungen aus diesen Leitlinien in seinem Vortrag „Work-flow Vorhofflimmern in der Praxis – Was gehört zur ambulanten Abklärung?“ auf den DGK Herztagen 2022 zusammengefasst [1,2].
Screening auf Vorhofflimmern in der Praxis
Viele Patienten in der kardiologischen Praxis haben noch kein Vorhofflimmern (VHF), aber ein hohes Risiko zu einem späteren Zeitpunkt daran zu erkranken. Laut der aktuellen Leitlinie sollte jede/jeder ab 65 auf VHF gescreent werden, das ist in der Praxis, laut Bosch, aber nicht umsetzbar. Bosch empfiehlt daher, die Risikofaktoren bei jedem Patienten abzuklären und dann die Risikopatienten gezielt zu screenen. Zu den zahlreichen Risikofaktoren für die Entstehung von Vorhofflimmern gehören:
- Fortgeschrittenes Alter, männliches Geschlecht, Ethnie
- Genetische Prädisposition
- Kardiovaskuläre, obstruktive, metabolische, entzündliche Erkrankungen, akute Krankheiten und Operationen sowie Schlafapnoe
- Adipositas, Rauchen, Alkoholkonsum, Lipidprofil, Inaktivität oder intensive physische Aktivität
In der Praxis stellt das Routine-Screening auch bei Risikopatienten auf unerkanntes Vorhofflimmern eine Herausforderung dar, weil die optimale Durchführung noch nicht definiert wurde und diese Leistung auch noch nicht vergütet wird.
Studie zur Detektion von unerkanntem Vorhofflimmern
Wie sollte man Risikopatienten auf Vorhofflimmern screenen? Bislang gilt das 24h-Holter-EKG als Goldstandard bei der Diagnose von VHF. Allerdings können bei dieser Methode Fälle von Vorhofflimmern übersehen werden, wenn die Rhythmusstörung nicht täglich auftritt.
In der B-Safe Studie wurde geprüft, ob sich ein Zenicor-Daumen EKG zur Detektion von bislang nicht diagnostiziertem Vorhofflimmern eignet. Für die Studie wurden in 50 kardiologischen Praxen 1.500 Patienten >70 Jahre mit mindestens einem Risikofaktor für Vorhofflimmern rekrutiert. Alle Patienten erhielten ein Zenicor-Daumen-EKG, mit dem sie über zwei Wochen zweimal täglich ihren Herzrhythmus messen sollten. Bei allen Patienten wurde auch ein 24h-Holter-EKG angefertigt.
Ergebnisse von Be Safe
Im Rahmen der Studie wurden 5,14% Patienten mit bisher nicht diagnostiziertem Vorhofflimmern detektiert. Mit Zenicor wurden 4% der Erkrankungen und damit fast doppelt so viele wie mit dem 24h-Holter EKG entdeckt (Odds Ratio [OR] 1,85; p=0,0045). Die Therapieadhärenz mit Zenicor war sehr gut: 94% der Teilnehmer sandten in den zwei Wochen 25 EKGs und damit fast die erwarteten 28 EKGs ein. Die Teilnehmer gaben, dass ihnen der Umgang mit Gerät auch Spaß gemacht habe.
Strukturierte Charakterisierung von Vorhofflimmern
Selbst wenn die Erkrankung an Vorhofflimmern durch Wearables detektiert wurde, muss die Diagnose mittels klassischem EKG dokumentiert werden. Nach der Diagnose folgt dann die strukturierte Charakterisierung des Vorhofflimmerns. Als Merkhilfe bieten sich die vier „S“ für Stroke, Symptom Severity, Severity of AF Burden und Substrate Severity an.
- Stroke (St): Bei der Abschätzung des Schlaganfallrisikos geht es, vor allem darum festzustellen, ob ein solches Risiko wirklich gering ist. Hierbei hilft der CHA2DS2-VASc.
- Symptom Severity (Sy): Die Schwere der Symptome spielt eine besondere Rolle für die Lebensqualität der Patienten und für die Therapieentscheidungen. Hier wird eine detaillierte Erfassung der Symptome und ihrer Auswirkungen empfohlen. Symptome sollten generell seriell erfasst werden, um die Notwendigkeit einer Therapieanpassung früh zu erkennen. Der EHRA Symptom Score (s.u.) hilft bei der Strukturierung der Schweregrade. Die Erhebung der Lebensqualität (QoL) des Patienten über Fragebögen komplettieren das Bild.
- Severity of AF burden (Sb): Die Last des Vorhofflimmerns wird durch unter anderem durch Dauer, Anzahl und zeitliche Muster von Vorhofflimmern beschreiben. Zu diesem Punkt fehlen noch eindeutige und umsetzbare Handlungsempfehlungen für die Praxis.
- Substrate severity (Su): Begleiterkrankungen und Risikofaktoren ermittelt durch klinische Untersuchung, bildgebende Verfahren und Biomarker. In den Leitlinien werden hierzu verschiedene Bildgebungsverfahren wie Kardiales CT, Kardiales MRI oder kardiales EP Mapping vorgeschlagen, die sich in der Praxis kaum realisieren lassen, bzw. zu teuer sind. In der Regel muss hier eine transthorakale Echokardiographie (TTE) Transösophageale Echokardiographie (TEE) ausreichen.
EHRA-Score zur Schwere des Vorhofflimmerns
- 1: keine Symptome: Das Vorhofflimmern verursacht keinerlei Beschwerden.
- 2a: leichte Symptome: Die normale Alltagstätigkeit ist durch die Symptome des Vorhofflimmerns nicht beeinträchtigt.
- 2b: mittelschwere Symptome: Die normale Alltagstätigkeit ist durch die Symptome des Vorhofflimmerns nicht beeinträchtigt, die Patienten sind aber durch die Symptome verunsichert und beunruhigt.
- 3: schwere Symptome: Normale Alltagstätigkeiten sind durch die Symptome des Vorhofflimmerns beeinträchtigt.
- 4: behindernde Symptome: Normale Alltagstätigkeiten sind nicht mehr möglich.
ABC der Therapie des Vorhofflimmerns
Als Gedächtnisstütze für das therapeutische Vorgehen bei Vorhofflimmern wird ABC empfohlen, wobei A für Antikoagulation, B für bessere Symptomkontrolle und C für (C) Komorbiditäten steht. Ob eine Antikoagulation zur Schlaganfallprophylaxe nötig ist, wird über eine Risikoabschätzung ermittelt (z. B. mit dem CHA2DS2-VASc). Die Entscheidung für ein Antikoagulanz wird unter Abwägung des Schlaganfallrisikos mit dem Blutungsrisiko im individuellen Fall getroffen.
Bessere Symptomkontrolle
Im Rahmen der besseren Symptomkontrolle wird die Frequenz-Regulierung optimiert und Strategien zur Rhythmus-Erhaltung erwogen. Begleitende Symptome wie unter anderem Fatigue, Müdigkeit, Atemnot, Palpitationen oder Brustschmerzen müssen gezielt erfragt werden. Die Erfassung aller Symptome ist auch deshalb von Bedeutung, weil so die Auswirkungen beispielsweise einer Probe-Kardioversion dokumentiert werden können.
Die Probe-Kardioversion soll klären, wie es dem Patienten unter Sinusrhythmus geht. Bosch betonte, dass bei der besseren Symptomkontrolle die Lebensqualität des Patienten von besonderer Bedeutung sind. Ein ausführliches Gespräch mit den Patienten über die Symptome des Vorhofflimmerns mit der Aufklärung über die Bedeutung von Palpitation Angina Pectoris oder Dyspnoe wirkt häufig beruhigend und wird von den Patienten sehr geschätzt, wie Bosch erklärte.
Die Behandlung von Begleiterkrankungen und kardiovaskulären Risikofaktoren aber auch eine Beratung hinsichtlich einer Lebensstiländerung bei entsprechenden Risikofaktoren runden die Therapie ab.