Ösophagusatresie

Die Ösophagusatresie ist eine angeborene Fehlbildung, bei der die Kontinuität der Speiseröhre unterbrochen ist. Betroffene Säuglinge fallen nach der Geburt durch Zyanoseanfälle, Hustenattacken und schaumigem Speichel vor dem Mund auf.

Neugeborenes

Definition

Die Ösophagusatresie ist eine kongenitale Fehlbildung, bei der die Speiseröhre unvollständig ausgebildet ist und nicht kontinuierlich in den Magen übergeht. Das vollständige Fehlen des Ösophagus wird als Ösophagusagenesie bezeichnet. Mit einer Ösophagusatresie sind häufig Fisteln und weitere Begleitfehlbildungen assoziiert. Betroffene Neugeborene fallen unmittelbar nach der Geburt durch einen reduzierten Allgemeinzustand, Zyanoseanfälle, Husten und vermehrtem Ausfluss schaumigen Speichels auf. Bei der Sondierung des Magens trifft die Magensonde auf einen federnden Widerstand und lässt sich nicht weiter vorwärts schieben. Vorgeburtliche Marker können bereits auf eine Ösophagusatresie hindeuten. Postnatal wird die Diagnose mittels Röntgenuntersuchung von Thorax und Abdomen bestätigt. Die Therapie erfolgt chirurgisch, meist innerhalb der ersten 48 Lebensstunden.

Epidemiologie

In der Durchschnittsbevölkerung wird etwa 1 von 2.500 bis 4.000 Neugeborenen mit einer Ösophagusatresie geboren. Jungen sind etwas häufiger betroffen als Mädchen (Verhältnis 60 zu 40). Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Geschwisterkind ebenfalls mit einer Ösophagusatresie zur Welt kommt, liegt bei 1 Prozent (bei Zwillingen bei 9 Prozent). Eine isolierte Ösophagusatresie ist selten. Bei mehr als 90 Prozent der betroffenen Kinder liegt zusätzlich eine Ösophagotrachealfistel vor. Etwa 50 bis 70 Prozent weisen weitere Fehlbildungen auf, insbesondere kardiovaskuläre, gastrointestinale und urogenitale Malformationen.

Ursachen

Die genaue Ursache einer Ösophagusatresie ist bis heute (Stand: November 2020) nicht bekannt. Die Erkrankung tritt meist sporadisch auf. Der Anteil familiärer Dispositionen beträgt unter 1 Prozent. Einige Studien beschreiben einen genetischen Defekt auf dem Arm des Chromosoms 2p23-p24. Ferner besteht ein erhöhtes Atresierisiko bei chromosomalen Aberrationen (vor allem Trisomie 13, 18 und 21) und Deletionen auf den Chromosomen 17 und 22. Selten findet sich eine Ösophagusatresie auch im Rahmen von dysmorphogenetischen Syndromen wie dem CHARGE-Syndrom (Kolobom des Auge, Herzvitium, Choanalatresie, Retardierung von Entwicklung und Längenwachstum, genitale Hypoplasie und Ohrenanomalie) oder Potter-Syndrom (bilaterale Nierenagenesie, pulmonale Hypoplasie und Skelettdeformitäten).

Pathogenese

Die genaue Pathogenese der Ösophagusatresie ist noch unklar. Die ösophageale Fehlbildung scheint sich bereits in der 3.–4. Schwangerschaftswoche (SSW) zu entwickeln. Während der Fetalzeit bildet sich das Septum tracheoösophageale, das den primären Vorderarm in die ventral gelegenen Atemwege und die dorsal gelegene Speiseröhre trennt. Die Separation ist in der Regel bis zur 8. SSW abgeschlossen. Bei der Ösophagusatresie läuft der Teilungsprozess unvollständig ab. Dabei scheinen eine fehlende Expression des Entwicklungsgens Sonic Hedgehog (Shh) und Apoptosemechanismen eine besondere Rolle zu spielen.

Symptome

Neugeborene mit einer Ösophagusatresie werden häufig zu früh und mit niedrigem Geburtsgewicht geboren. Folgende Symptome weisen auf eine Ösophagusatresie hin:

  • übermäßige Salivation (mitunter werden große Mengen schaumigen Speichels aus Mund und Nase herausgewürgt)
  • Husten (oft anfallsartig)
  • rasselnde Atemgeräusche
  • Zyanose, insbesondere nach der ersten Trinkmahlzeit
  • respiratorische Insuffizienz und schweres Atemnotsyndrom
  • Aspiration von Nahrung, inkl. Aspirationspneumonie
  • Verschlechterung des Allgemeinzustands

Cave: Bei Verdacht auf Ösophagusatresie sind Fütterungsversuche kontraindiziert!

Klassifikation nach Vogt

Die in Europa noch heute gebräuchliche Klassifikation der Ösophagusatresie geht auf den Anatomen Vogt von 1929 zurück, der die Atresien in Typen von I bis IV einteilte. Die Angaben zur Häufigkeit variieren je nach Autor.

  • Vogt Typ I: Ösophagusaplasie (ca. 1%)
  • Vogt Typ II: isolierte Atresie ohne Ösophagotrachealfistel (ca. 6–8%)
  • Vogt Typ IIIa: proximale ösophagotracheale Fistel bei distaler Atresie, unteres Segment endet im Blindsack (ca. 1%)
  • Vogt Typ IIIb: distale ösophagotracheale Fistel bei proximaler Atresie, oberes Segment endet im Blindsack (ca. 85%)
  • Vogt Typ IIIc: distale und proximale ösophagotracheale Doppelfistel (ca. 4–5%)
  • Vogt Typ IV: ösophagotracheale Fistel bei durchgängiger Speiseröhre, sogenannte H-Fistel (ca. 2–4%)

VACTERL-Syndrom

Bei etwa der Hälfte der Betroffenen ist die Ösophagusatresie mit weiteren Malformationen verbunden. Eine häufige Kombination unterschiedlicher Fehlbildungen wird als sogenanntes VACTERL-Syndrom bzw. als VATER/VACTERL-Assoziation bezeichnet. Dazu gehören:

  • Vertebrale Anomalien (zum Beispiel Spina bifida, Blockwirbel, Skoliose)
  • Anorektale Anlagestörungen (meist Analatresie)
  • Cardiale Vitien (am häufigsten ventrikuläre Septumdefekte)
  • Tracheo-Esophageale Malformationen (ösophagotracheale Fistelbildung, Ösophagusatresie)
  • Renale Anomalien (zum Beispiel Nierenagenesie, Hydronephrose)
  • Limb-Defekte bzw. Extremitäten-Fehlbildungen (wie Syndaktylie, Polydaktylie sowie andere Fuß- und Handdeformitäten)

Erweitern sich die Anomalien um Hirnfehlbildungen, zum Beispiel Hydrozephalus, wird dem Symptomenkomplex ein H hinzugefügt (VACTERL-H).

Diagnostik

Bei den oben genannten Symptomen bzw. Hinweisen auf eine Ösophagusatresie ist eine Sondierung des Magens mit einer rigiden, kontrastgebenden Magensonde obligat. Der Verdacht erhärtet sich, wenn die Magensonde beim Vorschieben auf einen federnden Widerstand in Höhe der Atresie trifft.

Cave: Eine flexible Sonde könnte sich im oberen Ösophagusstumpf aufrollen oder über eine ösophagotracheale Fistel in den Magen gelangen und so einen intakten Speiseröhrenverlauf vortäuschen.

Die endgültige Diagnose wird bei liegender Magensonde mittels thorakaler und abdominaler Röntgenuntersuchung gestellt. Die Spitze der Sonde markiert das untere Ende des Blindsacks. Eine Fistel wird indirekt durch eine luftgefüllte Magenblase nachgewiesen. Bei einer Atresie ohne Fistelbildung sind Magen und Darm gaslos darstellbar. Die Gabe von Kontrastmittel (wasserlöslich!) ist meist überflüssig und sollte aufgrund der Aspirationsgefahr nur noch in Ausnahmefällen und bei zweifelhaften Befunden erfolgen.

Auskunft über die anatomische Variante der Ösophagusatresie geben Bronchoskopie, Tracheoskopie und Ösophagoskopie. Aufgrund der häufigen Begleitanomalien ist eine umfassende Organdiagnostik angezeigt. Ferner empfiehlt sich eine Chromosomenanalyse.

Pränatale Diagnostik

Das Vorliegen einer Ösophagusatresie wird mitunter bereits per Ultraschalluntersuchung in der Schwangerschaft diagnostiziert. Als direktes pränatales Zeichen weist ein zervikaler oder thorakaler Blindsack infolge des Fruchtwasseraufstaus vor der Fehlbildung auf eine Ösophagusatresie hin. Dieses Phänomen wird als „upper neck pouch sign“ (kurz pouch sign) bezeichnet.

Indirekte sonografische Zeichen sind:

  • Polyhydramnion als sonografischer Softmarker (bereits < der 20. SSW erkennbar)
  • fehlende Magenblase
  • wiederholt nicht oder nur sehr wenig gefüllter, kleiner Magen
  • Begleitanomalien

Die exakte Darstellung einer diskontinuierlichen Speiseröhre im pränatalen Ultraschall ist jedoch äußerst schwierig. So werden auch heute noch Babys mit Ösophagusatresie geboren, ohne dass zuvor ein entsprechender Verdacht geäußert wurde.

Therapie

Die Therapie der Wahl bei einer Ösophagusatresie ist die operative Korrektur der Fehlbildung. Diese wird meist gründlich geplant und innerhalb der ersten beiden Lebenstage durchgeführt. Sofortige Notfalleingriffe sind nur bei lebensbedrohlichem Atemnotsyndrom und einer drohenden Magenruptur bei massiver Luftfülle indiziert.

Bis zur chirurgischen Intervention ist es wichtig, die erkrankten Neugeborenen zu stabilisieren und eine Aspirationspneumonie zu verhindern. In der Regel werden die kleinen Patienten mit hochgelagertem Oberkörper (30°–40°) gebettet und mit einer intravenösen Antibiotikaprophylaxe, gegebenenfalls auch mit Vitamin K, versorgt. Ferner erhalten sie eine doppellumige Schlürfdrainage (sogenannte Schlürfsonde) in den oberen Blindsack. Über diese wird der Speichel, den der Säugling nicht schlucken kann, kontinuierlich mit niedrigem Sog abgesaugt.

Auf eine routinemäßige Intubation und maschinelle Beatmung sollte verzichtet werden. Eine Ausnahme bilden Frühgeborene mit respiratorischer Insuffizienz. Bei Vorliegen einer ösophagotrachealen Fistel ist der Tubus möglichst distal zu platzieren.

Operative Behandlung

Bei kurzem Abstand der Blindsäcke werden die atretischen Ösophagusenden mithilfe einer End-zu-End-Anastomose verbunden.

Sind die beiden Ösophagusenden zu kurz für eine spannungsfreie Verbindung, muss unter Umständen eine Gastrostomie zur Sicherstellung der enteralen Ernährung und/oder ein zervikales Ösophagostoma (Speichelfistel bzw. collare Ausleitung) angelegt werden. Diese bleiben bis zur vollständigen Versorgung der Fehlbildung bestehen. In der Zwischenzeit helfen unterschiedliche Elongations- und Bougierungsmethoden, die Distanz zwischen beiden Segmenten zu verringern.

Bei langstreckigen Atresien (long-gap) besteht die Möglichkeit einer Ösophagus-Ersatzplastik, vorzugsweise durch Interpositionstechniken (vor allem Koloninterponat) oder einer gastrischen Transposition wie dem thorakalen Magenhochzug. Jejunuminterponate haben sich aufgrund einer erhöhten Komplikationsrate nicht allgemein durchsetzen können.

Bei ösophagotrachealer Fistelbildung muss diese operativ durchtrennt, verschlossen und übernäht werden.

Besonderheiten

Bei etwa 2 Prozent der Patienten liegt eine rechtsseitig deszendierende Aorta vor. Dies ist vor einem operativen Eingriff auszuschließen. Ein normaler linksseitiger Verlauf des Aortenbogens sollte präoperativ mittels Echokardiografie gesichert werden.

Nachbehandlung

Postoperativ verbleiben die Kinder in der Regel noch mehrere Tage beatmet und mit einer Magensonde versorgt in der Klinik. Nach etwa zehn bis zwölf Tagen folgt üblicherweise eine Röntgen-Kontrastdarstellung (obere Magen-Darm-Passage). Bei unauffälligem Befund (kein Kontrastmittelaustritt im Anastomosebereich, keine signifikante Stenosierung) kann die Sonde entfernt und mit der oralen Ernährung begonnen werden.

Postoperative Komplikationen

Postoperative Komplikationen sind abhängig vom Spannungszustand der Anastomose. Eine postoperative Relaxation und Nachbeatmung über ein bis zwei Tage kann die Spannung reduzieren.

Bei nahezu spannungsfreien Verhältnissen kommt es nur etwa bei 6 Prozent zu einer Nahtinsuffizienz. Eine operationsbedürftige Striktur im zirkulären Nahtbereich ist in rund 17 Prozent der Fälle zu erwarten. Mit einem gastroösophagealen Reflux müssen rund 36 Prozent der Patienten leben.

Bei großer Spannung an der Anastomose beträgt die Nahtinsuffizienzrate 31 Prozent. Auch das Auftreten von Strikturen ist mit 44 Prozent deutlich höher. Die Häufigkeit eines gastroösophagealen Refluxes steigt proportional mit der Spannung auf bis zu 56 Prozent.

Bei postoperativen Stenosen oder einer Anastomoseninsuffizienz muss zuweilen der Einsatz von Ösophagoersatzplastiken erwogen werden.

Weitere Komplikationen

Patienten mit Ösophagusatresie leiden häufig noch mehrere Jahre nach der chirurgischen Korrektur an respiratorischen und gastrointestinalen Problemen. Dazu gehören vor allem:

Prognose

Die Prognose richtet sich nach dem Reifegrad und Geburtsgewicht des erkrankten Neugeborenen, etwaigen Begleitfehlbildungen sowie einem rechtzeitigen Therapiebeginn. Die Überlebensrate von Kindern mit einem Geburtsgewicht von mehr als 1500 g ohne kardiale Begleitanomalien beträgt in spezialisierten Zentren rund 97 Prozent.

Die Nachbehandlung von Betroffenen mit Ösophagusatresie erstreckt sich meist über mehrere Jahre. Wachstum und Entwicklung sollten insbesondere in den ersten Lebensjahren engmaschig überwacht werden. Grundsätzlich können Kinder mit operativ versorgter Ösophagusatresie aber ein relativ normales Leben ohne größere Einschränkungen führen.

Prophylaxe

Eine kongenitale Ösophagusatresie tritt in der Regel sporadisch auf und kann nicht mit Präventivmaßnahmen verhindert werden.

Hinweise

Weitere Informationen

Vor der Diagnose Ösophagusatresie haben die meisten Eltern und Angehörigen noch nie etwas von dieser Erkrankung gehört. Dementsprechend groß ist die Verunsicherung, ebenso der Wunsch nach Informationen. KEKS ist eine international vernetzte Patienten- und Selbsthilfeorganisation für Kinder und Erwachsene mit kranker Speiseröhre, die neben einem Leitfaden für Neugeborene auch regionale Hilfsangebote und einen bundesweiten Austausch anbietet.

Autor:
Stand:
05.01.2021
Quelle:
  1. Hoffmann, G. F. et al.: Pädiatrie: Grundlagen und Praxis, Springer, 4. Auflage 2014.
  2. Schweinitz, D. v., Ure, B.: Kinderchirurgie: Viszerale und allgemeine Chirurgie des Kindesalters, Springer, 3. Auflage 2019.
  3. Rodeck, B. und Zimmer K.-P.: Pädiatrische Gastroenterologie, Hepatologie und Ernährung, Springer, 2. Auflage 2013.
  4. Schumpelick, V.: Praxis der Viszeralchirurgie: Gastroenterologische Chirurgie, Springer, 3. Auflage 2011.
  5. Strauss, A.: Ultraschallpraxis in Geburtshilfe und Gynäkologie, Springer, 3. Auflage 2016.
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