AGE-RAGE-System: Vorhersage von Demenz möglich?

Advanced Glycation Endprodukte und ihre Rezeptoren sind in pathophysiologischen Prozessen der Demenz und dem Abbau kognitiver Fähigkeiten involviert. Möglicherweise bilden sie ein Verbindungsglied in der zwischen Diabetes und Neurodegeneration bestehenden Assoziation.

Patient bekommt Diagnostik

Hintergrund

Diabetes ist zwar ein etablierter Risikofaktor für Demenz, der zugrunde liegende Mechanismus ist jedoch unklar. Die beschleunigte Entstehung von Advanced Glycation Endprodukten (AGE) könnte eine Rolle spielen.

Advanced Glycation Endprodukte (AGE)

AGE sind eine Gruppe von Molekülen, die durch nichtenzymatische Glykosylierung von Proteinen, Fetten oder Nukleinsäuren entstehen und zu Modifikationen und Vernetzungen von Proteinen führen können. AGE akkumulieren im Laufe des Lebens, vorrangig in langlebigen Geweben. Hohe Akkumulation wurde insbesondere unter hyperglykämischen Bedingungen sowie oxidativem und inflammatorischem Stress beobachtet und steht in Zusammenhang mit altersbedingten Erkrankungen wie Diabetes, chronischen Nierenerkrankungen und Alzheimer. Im Gehirn liegen AGE colokalisiert mit Alzheimer-assoziierten Proteinen wie z.B. tau und Amyloid-ß vor.

AGE-Rezeptoren (RAGE)

Aktivierung von AGE-Rezeptoren (RAGE) durch AGE oder andere RAGE-Liganden, z.B. Amyloid-ß, führt zu Entzündungen und Upregulation des Rezeptors. RAGE sind in mehreren pathophysiologischen Prozessen im Zusammenhang mit Demenz involviert. So wird vermutet, dass sie die zerebrale Amyloid-ß-Akkumulation fördern, indem sie den Transport durch die Blut-Hirn-Schranke erleichtern. Darüber hinaus wurden sie mit neuronaler Degeneration und der Bildung von Alzheimer-Fibrillen in Verbindung gebracht. Im Gehirn von Alzheimer-Patienten ist zudem eine Überexpression von RAGE nachgewiesen worden. Auch ist gezeigt worden, dass Marker des AGE-RAGE-Systems mit dem Demenz-assoziierten genetischen Risikofaktor APOEɛ4 Carrier im Zusammenhang stehen [1].

Marker des AGE-RAGE-Systems

Zirkulierende Moleküle des AGE-RAGE-Systems sind z.B. das extrazellulär neu identifizierte RAGE-Bindungsprotein (EN-RAGE), ein RAGE-Ligand der mit zahlreichen chronisch inflammatorischen Erkrankungen und der koronaren Herzkrankheit in Verbindung gebracht wurde, sowie die lösliche Form des Rezeptors (S-RAGE), der als Köder für RAGE-Liganden fungiert und einen antiinflammatorischen Effekt haben könnte.

Zielsetzung

Anhand von Markern des AGE-RAGE-Systems hat ein niederländisches Forscherteam der Erasmus University Rotterdam untersucht, ob AGE/RAGE mit Demenz und der Abnahme kognitiver Funktionen assoziiert sind.

Methodik

Studienteilnehmer für die bevölkerungsbasierte Kohorten-Studie stammten aus der Rotterdam-Studie.

Rotterdam Studie

Die Rotterdam-Studie ist eine prospektive bevölkerungsbasierte Kohorten-Studie zur Erforschung von Risikofaktoren für kardiovaskuläre, neurologische, ophthalmologische und endokrine Erkrankungen bei älteren niederländischen Patienten. Sie wurde im Jahr 1989 initiiert. Im Rahmen von drei Rekrutierungsrunden wurden bis zum Jahr 2008 ca. 15 000 Studienteilnehmer im Alter von mindestens 45 Jahren rekrutiert. Follow-up-Untersuchungen erfolgen alle vier bis sechs Jahre [1,2].

EN-RAGE und S-RAGE wurden mithilfe eines Multiplex-Immunassays in Plasma gemessen, das zwischen 1997 und 1999 von einer zufällig zusammengestellten Untergruppe von Teilnehmern der ersten Rekrutierungsrunde gewonnen wurde, sowie zusätzlich von 57 Patienten mit Demenz. Die AGE-Gewebeakkumulation wurde zwischen 2013 und 2016 an 3009 Studienteilnehmern aller drei Rekrutierungsrunden der Rotterdam-Studie bestimmt. Die Akkumulation von AGE wurde mittels Autofluoreszenz der Haut gemessen, stellvertretend für die Akkumulation in langlebigen Geweben einschließlich dem Gehirn.

Ergebnisse

EN-RAGE und S-RAGE

Von den 3889 in die Studie eingeschlossenen Teilnehmern (mittleres [SD] Alter 72,5 [8,9] Jahre; 2187 [56,2%] Frauen) gab es für 1021 Teilnehmer (mittleres [SD] Alter 73,6 [7,8] Jahre; 564 [55,2%] Frauen) Daten zu den Plasmamarkern. 73 Teilnehmer hatten zu Beginn eine Demenz. Das Follow-up für Personen ohne Demenz erfolgte bis zum Jahr 2016. Im Rahmen dieser Nachverfolgungszeit (10 711 Personenjahre) trat bei 161 Teilnehmern eine Demenz auf.

Im Vergleich zu niedrigen EN-RAGE-Spiegeln waren hohe Spiegel mit einer höheren Prävalenz von Demenz (Odds Ratio [OR] 3,68 [95% Konfidenzintervall {KI} 1,50-8,08], P=0,003) verbunden, während hohe S-RAGE-Level mit einer niedrigeren Prävalenz von Demenz (OR 0,37, [95% KI 0,17-0,78], P=0,01) verbunden waren. In der Längsschnittanalyse wurde jedoch mit einer kumulativ steigenden Dauer des Follow-ups (bis zu 18,7 Jahren) eine Abschwächung dieser Zusammenhänge beobachtet.

Haut-Autofluoreszenz

Unter den 2890 Teilnehmern ohne Demenz, die sich mindestens einer kognitiven Testung unterzogen hatten (mittleres [SD] Alter 72,5 [9,4] Jahre; 1640 [57%] Frauen) war eine höhere Autofluoreszenz mit einer niedrigeren allgemeinen kognitiven Funktion verbunden. Das galt insbesondere für Träger des APOEɛ4 Allels. Studienteilnehmer mit Demenz hatten höhere Autofluoreszenzwerte.

Fazit

Die Daten deuten darauf hin, dass das AGE-Rage-System mit einer Abnahme der kognitiven Leistung und Demenzentwicklung assoziiert ist. Die Assoziation mit dem Demenzrisiko scheint jedoch nur von kurzer Natur zu sein. Auch eine umgekehrte Kausalität ist möglich. Weitere Studien sollten durchgeführt werden, um das Potential des AGE-RAGE-Systems als Marker für eine später auftretende Demenz aufzuklären.

Autor:
Stand:
08.02.2021
Quelle:
  1. Chen J. et al. (2021): Assessment of advanced glycation end products and receptors and the risk of dementia. JAMA Network open, DOI:10.1001/jamanetworkopen.2020.33012
  2. Erasmus University Medical Center Rotterdam, The Rotterdam Study.
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