
Bereits sechs Monate nach Ausbruch der Pandemie erschien im August die erste Version der Leitlinie zu neurologischen Manifestationen bei COVID-19. Im Jahr 2021 erfolgten zwei weitere Aktualisierungen, zuletzt im Dezember. Die Konzeption der Leitlinie als sogenannte „Living Guideline“ ermöglicht die schnelle Anpassung an den aktuellen Wissensstand, der sich aufgrund der Pandemielage in hohem Tempo ändert. Nun ist Ende September 2022 erneut eine aktualisierte Version erschienen [1].
Bislang handelte es sich bei der Leitlinie „Neurologische Manifestationen bei COVID-19“ um eine S1-Leitlinie. Dies hat sich mit der aktuellsten Version geändert, die Leitlinie hat nun den Status einer S2k-Leitlinie. Das „k“ steht für den Konsens, denn jede Empfehlung musste einen Prozess der strukturierten Konsensfindung durchlaufen.
Post-COVID-19-Syndrom in der Neurologie
Mit zunehmender Dauer der Pandemie rücken die Spät- und Langezeitfolgen einer SARS-CoV-2-Infektion vermehrt in den Fokus. Nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 können persistierende neurologische Symptome, vor allem neurokognitiver Art, auftreten. Dauern diese länger als drei Monate über die Akutinfektion hinaus an, spricht man von einem Post-COVID-Syndrom. Beschrieben sind Hirnnervenausfälle, Myalgien und Neuropathien, aber auch Konzentrations- und/oder Gedächtnisstörungen sowie Kopfschmerzen und weitere ZNS-Symptome.
Das Kapitel „Neurologische Manifestationen bei Post-COVID-19-Syndrom“ enthält vier Empfehlungen, die alle einen starken Konsens bei der Abstimmung unter den Experten erhalten haben. Eine der aktualisierten Soll-Empfehlungen lautet: „Bei Hirnnervenausfällen, Myalgien und Neuropathien mehr als drei Monate nach der akuten SARS-CoV-2-Infektion soll eine umfassende Diagnostik mit neurophysiologischer Testung und Labordiagnostik (einschließlich Liquor) sowie ggf. Hautstanze (zum Ausschluss einer Small-fiber-Neuropathie) erfolgen.“
Interdisziplinäre Versorgung bei Post-COVID-19-Syndrom
Weiterhin empfehlen die Autoren eine interdisziplinäre Versorgung des Post-COVID-19-Syndroms inklusive psychosomatischer Mitbehandlung der Patienten. Hierzu sagt Prof. Dr. med. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und Leitlinienkoordinator, in einer Pressemeldung der DGN: „Das bedeutet aber nicht, dass wir die Beschwerden der Betroffenen nicht ernst nehmen oder wir sie gar als eingebildet krank einstufen, wie häufig der Vorwurf in Internetforen lautet. In der Neurologie gibt es verschiedene Erkrankungen, bei denen wir ähnlich wie bei Post-COVID die auslösende Ursache nicht kennen und daher keine kausale Therapie anbieten können. Ein Beispiel sind chronische Schmerzsyndrome. Bei diesen Krankheitsbildern haben wir die Erfahrung gemacht, dass eine psychosomatische Mitbehandlung den Betroffenen hilft, besser mit den Beschwerden und der Krankheitssituation zurechtzukommen, und die Lebensqualität verbessert. Zum Nutzen gibt es zahlreiche Erhebungen. Warum sollten wir also Post-COVID-Betroffenen diese begleitende Therapieoption vorenthalten?“ [2]
Bislang keine kausale Therapie für Post-COVID
Berlit betont in der Pressemeldung auch, dass es bislang keine kausale Therapie für Post-COVID einschließlich dessen neurologischer Manifestationen gibt. Auch fehle die Evidenz für extrakorporale Verfahren, etwa die Lipidapherese, die im Sommer in den Medien thematisiert worden war. Weitere Studien dazu seien nötig und einige seien bereits an verschiedenen Universitätskliniken aufgelegt worden.