Biomarker für Neurodegeneration bei COVID-19 erhöht

Forscher untersuchten neurodegenerative Biomarker aus der Alzheimer-Diagnostik bei Patienten mit COVID-19, um deren Eignung als prognostische Marker zu prüfen und ein besseres Verständnis der kognitiven Einschränkungen im Rahmen einer SARS-CoV-2-Infektion zu erlangen.

Coronavirus

Neurologische Manifestationen, besonders Enzephalopathien, sind häufig bei Patienten, die aufgrund COVID-19 im Krankenhaus behandelt werden müssen. Jede zweite Person mit COVID-19 und stationärer Behandlung zeigt langfristige kognitive Einschränkungen. Die zugrundeliegenden Mechanismen sind bislang nicht ausreichend geklärt. Man vermutet, dass längere hypoxische Phasen und überschießende Entzündungsreaktionen, wie sie bei einer akuten und schwerwiegenden COVID-19-Erkrankung auftreten, zur Schädigung von Neuronen und Gliazellen führen.

Zur besseren Prognoseeinschätzung und zum besseren Verständnis der pathophysiologischen Prozesse, die die kognitiven Einschränkungen bei COVID-19 auslösen, könnten Biomarker genutzt werden. Aufgrund der kognitiven Einschränkungen liegt es nahe, sich an bereits etablierten Biomarkern zu orientieren, die bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Demenz und Parkinson genutzt werden. Hierzu gehören Leichtkettenneurofilament (Neurofilament light chain, NFL), das gliale fibrilläre saure Protein (GFAP), Ubiquitin C-terminale Hydrolase L1 (UCHL1), das Gesamt-Tau-Protein sowie Phospho-tau18, Amyloid-beta 40 und 42.

NFL ist ein Biomarker des kognitiven Abbaus und ist bei Menschen mit Parkinson und Alzheimer erhöht. Im Zusammenhang mit Alzheimer werden auch GFAP, welches in den Alzheimer-Plaques vorkommt, das Gesamt-Tau-Protein sowie Amyloid-beta 40 und 42 untersucht. UCHL1 ist ein neuronaler Biomarker, dessen Eignung im Zusammenhang mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS) untersucht wird.

Zielsetzung

Ein Team um Dr. Jennifer Frontera von der New York University Grossman School of Medicine untersuchte in einer Studie die Hypothese, dass Biomarker einer neuronalen und glialen Schädigung bei hospitalisierten COVID-19-Patienten mit erstmals auftretenden kognitiven Einschränkungen (besonders bei toxisch-metabolischer Enzephalopathie [TME]) erhöht sind. Weiterhin wurde untersucht, ob die Erhöhung neurodegenerativer Biomarker mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko assoziiert ist. Dritter Punkt dieser Studie war der Vergleich der Spiegel neurodegenerativer Biomarker zwischen COVID-Patienten und Nicht-COVID-Patienten ohne kognitive Einschränkungen, mit milden kognitiven Einschränkungen und mit einer Alzheimer-Demenz [1].

Methodik

In dieser retrospektiven Analyse, die Daten aus einem Teil der „SNaP Acute COVID“-Kohorte mit 4.491 Patienten nutzte, wurden 606 Personen mit neurologischen Komplikationen im Rahmen von COVID-19 identifiziert. Verschiedene Biomarker wurden bei den COVID-19-Patienten mit neurologischen Komplikationen ohne eine Demenz in der Anamnese und bei 161 Kontrollpersonen untersucht. Die Kontrollpersonen setzten sich zusammen aus Personen ohne kognitive Einschränkungen, mit leichter kognitiver Beeinträchtigung und Alzheimer. Innerhalb der COVID-19-Gruppe bezogen die Forscher auch mit ein, ob eine Enzephalopathie vorlag oder nicht und ob die Patienten verstarben oder entlassen werden konnten.

Dabei wurden die Plasmaspiegel folgender Biomarker bestimmt: NFL, GFAP, UCHL1, Gesamt-Tau-Protein, Phospho-tau181, Amyloid-beta 40 und 42. Es wurden Serumproben von 251 COVID-19-Patienten untersucht, allerdings wurden nicht bei allen Teilnehmenden alle der genannten Biomarker untersucht.

Ergebnisse

Die Patienten der COVID-19-Kohorte waren im Mittel 76 Jahre alt und der überwiegende Anteil (63%) war männlichen Geschlechts. Eine maschinelle Beatmung benötigten 31%. Insgesamt verstarben 25% aus der COVID-19-Gruppe und 53% konnten entlassen werden.
Von 251 Patienten mit COVID-19 zeigten 127 Patienten neurologische Symptome. Hierbei waren TME und hypoxisch-ischämische Hirnschädigungen am häufigsten.

Neurodegenerative Biomarker korrelieren mit Schwere von COVID-19

Die Ergebnisse zeigen erhöhte Tau-, Phospho-tau181-, GFAP- und NFL-Spiegel bei COVID-19-Patienten mit Enzephalopathie und bei Patienten, die an der Erkrankung verstarben. Die Tau-, GFAP- und NFL-Spiegel waren signifikant niedriger bei Patienten, die die Erkrankung überlebten und nach Hause entlassen werden konnten. Die Marker zeigten also eine Korrelation mit der Schwere der COVID-19-Erkrankung.

Teils höhere Biomarker-Spiegel bei COVID-19 als bei Alzheimer

Im Vergleich zwischen COVID-19-Patienten und den Nicht-COVID-Kontrollen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung oder Alzheimer waren die Plasmaspiegel von NFL, GFAP und UCHL1 bei den COVID-19-Patienten höher als bei den Nicht-COVID-Kontrollen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung oder Alzheimer.

Fazit

Verschiedene neurodegenerative Biomarker waren in dieser Studie bei COVID-19 erhöht und assoziiert mit einem schlechteren Outcome bei hospitalisierten Patienten mit einer SARS-CoV-2-Infektion. Die Biomarker waren bei den COVID-19-Patienten teils sogar höher als bei Patienten mit milden kognitiven Einschränkungen oder Alzheimer. Hierzu erklärt Professor Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in einer Pressemitteilung, dass die Ergebnisse nicht missverstanden und überinterpretiert werden sollten [2]. Die Daten dieser Studie bedeuten nicht, dass eine COVID-19-Infektion eine Alzheimer-Demenz auslöst.

Die Studienergebnisse sind jedoch hinsichtlich der kognitiven Einschränkungen, die auch nach der Erkrankung noch fortbestehen können, bedeutsam. „Das ist vor dem Hintergrund der kognitiven Einschränkungen, unter denen viele Erkrankte noch lange nach der SARS-CoV-2-Infektion leiden, ein interessanter Befund“, sagte Berlit. Der Experte fordert nun Langzeitstudien: „Bestätigt sich diese Korrelation, hätten wir Biomarker für Post-COVID-Symptome wie Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen.“

Quelle:
  1. Frontera et al. (2022): Comparison of serum neurodegenerative biomarkers among hospitalized COVID-19 patients versus non-COVID subjects with normal cognition, mild cognitive impairment, or Alzheimer's dementia. Alzheimer’s & Dementia, DOI: https://doi.org/10.1002/alz.12556
  2. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), Pressemeldung, 17.02.2022; abgerufen am 09.03.2022



 

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