
Hintergrund
Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine Erkrankung der motorischen Nervenbahnen (erstes und zweites Motoneuron) mit progredientem Verlauf. Die Prävalenz in Deutschland beträgt 3 bis 8 auf 100.000 Menschen.
Die Symptome der Erkrankung sind sehr variabel und hängen davon ab, ob das erste oder das zweite Motoneuron häufiger betroffen ist. Bei einer stärkeren Beteiligung des zweiten Motoneurons treten Muskelatrophie, Muskelschwäche und schlaffe Lähmungen auf. Ist hingegen das erste Motoneuron stärker betroffen, was seltener auftritt, so kommt es zu muskulärer Spastik mit Erhöhung der Muskelspannung und Muskelsteifheit. Die muskuläre Spastik ist schmerzhaft und kann auch zu funktionellen Einbußen, nämlich einer Beeinträchtigung der Bewegung, führen. Die Therapie der muskulären Spastik ist multimodal und beinhaltet Physiotherapie und medikamentelle Therapie.
Zielsetzung
Zur Therapie einer muskulären Spastik bei Multipler Sklerose ist das Cannabis-Kombinationspräparat Nabiximols (enthält Tetrahydrocannabinol [THC] und Cannabidiol [CBD] in standardisierten Mengen) bereits in der additiven Therapie zugelassen. Ein italienisches Forscherteam untersuchte nun in einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-II-Studie die Wirkung von Nabiximols bei ALS-Patienten mit muskulärer Spastik [1].
Methodik
Insgesamt gingen 60 ALS-Patienten mit einem Alter zwischen 18 und 80 Jahren in die Studie mit ein. Diese wurden in einem Verhältnis von 1:1 in die Nabiximols- oder in die Placebo-Gruppe randomisiert. Die Patienten wiesen seit mindestens drei Monaten spastische Symptome auf. Diese Symptome betrafen mindestens zwei Muskelgruppen mit einem Score von ≥ 1 auf der modifizierten Ashworth-Skala.
Weiterhin wurden die Studienteilnehmer seit mindestens 30 Tagen mit einer definierten antispastischen Therapie behandelt. Im Rahmen der Studie erhielten die Patienten über 6 Wochen die Nabiximols-Therapie oder Placebo. Dosiert wurde das Nabiximols-Spray, das rasch über die Wangenschleimhaut resorbiert wird, in den ersten 14 Tagen von den Patienten selbst innerhalb eines vorgegebenen Schemas (maximal 12 Sprühstöße innerhalb von 24 Stunden). Anschließend wurde die Dosis über vier Wochen konstant beibehalten.
Der primäre Endpunkt wurde als Änderung des modifizierten Ashworth-Scores über sechs Wochen definiert.
Ergebnisse
Insgesamt gingen 29 Patienten aus der Nabiximols-Gruppe und 30 Patienten aus der Placebo-Gruppe in die Auswertung mit ein. In der Nabiximols-Gruppe kam es innerhalb des sechswöchigen Beobachtungszeitraumes zu einer signifikanten Verbesserung des Ashworth-Scores um 0,11. Im Vergleich dazu sank der Ashworth-Score in der Placebo-Gruppe um 0,16 (p = 0,013).
Im Beobachtungszeitraum gab es keine Therapieabbrüche. Nabiximols wurde von den Patienten gut vertragen, es traten keine Nebenwirkungen auf.
Fazit
In dieser „proof-of-concept“-Studie zur Überprüfung des Therapiekonzeptes zeigte Nabiximols einen positiven Effekt auf die muskuläre Spastizität bei Patienten mit ALS bei gleichzeitiger guter Verträglichkeit.
„In vielen medizinischen Bereichen, die mit schmerzhafter Muskelspasmen einhergehen, erweisen sich Cannabinoide inzwischen als Alternative, wenn herkömmliche Therapien nicht oder nicht ausreichend ansprechen“, kommentiert Professor Dr. Dietz, Facharzt für Neurologie, Universität Zürich, die Ergebnisse der Studie [2]. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) schließt sich den Studienautoren an, die nun größer angelegte klinische Phase-III-Studien fordern, damit eine Cannabinoid-Therapie in Zukunft auch zur Behandlung geeigneter Symptome bei ALS legal angewendet werden kann [2].
Die Studie wurde von der „Italian Research Foundation for Amyotrophic Lateral Sclerosis“ finanziell unterstützt.