
Hintergrund
Patienten mit Migräne, die regelmäßig mehrere Tage im Monat unter Schmerzattacken leiden, befinden sich in einem Dilemma: Die Schmerzmedikamente, die ihre Beschwerden lindern, können, wenn sie zu häufig eingesetzt werden, selbst zu Kopfschmerzen führen. Der sogenannte Medikamentenübergebrauchskopfschmerz (MÜK) führt dann zu einem Teufelskreis aus Schmerz und (kontraproduktiver) Medikamenteneinnahme.
Behandlung und Vorbeugung des MÜK
Die Behandlung des MÜK besteht im vorübergehenden kontrollierten Absetzen der Medikamente. Die Medikamente sollen erst dann erneut eingenommen werden, wenn sie wieder in der gewünschten Weise wirken können. Für einen strukturierten Arzneimittel-Entzug benötigen die Patienten in der Regel ärztliche Hilfe und Betreuung. Nach dem Entzug sollen die Patienten nur an zehn von 30 Tagen Schmerzmedikamente einnehmen, um einem erneuten MÜK vorzubeugen.
Ursachen für Rückfälle
Die Erfahrung zeigt, dass einige Patienten häufiger zu Rückfällen neigen als andere. Eine italienische Arbeitsgruppe um Dr. Chiara Scaratti am Neurologischen Institut C. Besta der IRCCS Foundation in Mailand untersuchte, was diese Patienten von jenen unterscheidet, die deutlich seltener Rückfälle erleiden [1].
Zielsetzung
Die explorative Studie sollte die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Patienten mit häufigen Rückfällen (frequent relapser [FR]) und Patienten mit selteneren Rückfällen (Non-frequent relapser [NFR]) aufzeigen. Im Fokus stand dabei die persönliche Perspektive, Wahrnehmung und Erfahrung der Patienten mit ihrem MÜK-Rückfall.
Methodik
Die Patienten, die sich einem strukturierten Entzug unterzogen, wurden gebeten an der Studie teilzunehmen. Als FR wurden Patienten klassifiziert, wenn sie mehr als zwei strukturierte Entzüge innerhalb von drei Jahren benötigten. NFR und FR wurden individuell hinsichtlich ihrer Kopfschmerz-Erfahrungen und ihrer Sichtweise des Rückfalls befragt.
Interviewform und Auswertung
Die Autoren wählten eine offene Interviewform ohne vorgefasste Antwortschemata, um den Erzählfluss der Teilnehmer nicht zu beeinträchtigen und möglichst detaillierte und umfassende Informationen über die Rückfälle zu erhalten. Alle Aussagen wurden mithilfe der Datenanalyse-Software NVivo QSR 11.0 kodiert, kategorisiert und organisiert und nach Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei FR und NFR ausgewertet.
Ergebnisse
Insgesamt wurden 16 Migränepatienten (13 Frauen; Durchschnittsalter 53) interviewt. Sieben der Teilnehmer wurde als FR klassifiziert. 552 Zitate konnten in 22 Themen kategorisiert werden. 82% der Zitate deckten die zehn relevantesten Themen ab. Vier Themen nannten FR und NFR ähnlich häufig. Sechs Themen spielten vor allem für die FR eine wichtige Rolle und markierten die Unterschiede zu den NFR.
Gemeinsamkeiten der Patienten
FR und NFR beschrieben gleichermaßen, dass sie in einem sozialen Dilemma stecken: Einerseits fürchten sie ein soziales Stigma, wenn Sie Ihre chronischen Kopfschmerzen anderen offenbaren und andererseits fühlen sie sich isoliert, wenn sie ihre Erkrankung verbergen. Beide Patientengruppen leiden außerdem unter dem Gefühl medikamentenabhängig zu sein, fühlen sich als ängstlich, unsicher und suchen nach therapeutischen Alternativen zur Einnahme der Medikamente.
Merkmale der Patienten mit MÜK-Rückfällen
FRs sahen die Gründe für Ihren Rückfall häufig in für sie unkontrollierbaren Faktoren. Zum Zeitpunkt des Entzugs bewerteten sie ihre Zukunftsaussichten skeptisch und hatten allgemein resigniert. Die FRs sahen sich selbst als High-Performer, die die Fehler anderer ausbügeln mussten. Angesichts von Problemen griffen die FRs im Vergleich zu den NFRs häufiger zu passiven Bewältigungsstrategien und zeigten Vermeidungsverhalten. Die FRs waren sich darüber hinaus ihrer Probleme weniger bewusst als die NFRs. FRs beschrieben häufiger Zeichen von Depression.
Fazit
Patienten mit einer Neigung zu Rückfällen bei MÜK weisen häufig spezifische psychosoziale Merkmale und Probleme auf. Im Arzt-Patienten-Gespräch können diese Merkmale identifiziert werden. Die gezielte Ansprache der Aspekte auf einer therapeutischen Ebene kann möglicherweise das Rückfallrisiko verringern.