Schwerstarbeit erhöht das ALS-Risiko

Lebenslange schwere körperliche Arbeit kann das Risiko für eine Amyotrophe Lateralsklerose fast verdoppeln. Freizeitsport hat keinen Einfluss auf das ALS-Risiko. Intensive physische Aktivität verkürzt bei ALS-Patienten jedoch ebenso wie Inaktivität die Überlebenszeit.

Bauarbeiter

Hintergrund

Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine seltene neurodegenerative Krankheit. Betroffen sind vor allem die motorischen Nervenzellen im Gehirn und im Rückenmark. Betroffene verlieren die Kontrolle über ihre Muskulatur. Es kommt zu unwillkürlichen Muskelzuckungen (Faszikulationen), Muskelatrophie und Paresen von Gliedmaßen und Atemmuskulatur. Wenn die im Hirnstamm liegenden motorischen Nervenzellen betroffen sind, ist die Sprach-, Kau- und Schluckmuskulatur geschwächt. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Patienten nach der Diagnose ALS liegt bei 2-5 Jahren [1].

Körperliche Aktivität als Risikofaktor

Seit einiger Zeit besteht eine Debatte darüber, ob starke körperliche Aktivität das Risiko für eine ALS-Erkrankung erhöhen kann. Wissenschaftler an der Universität Ulm sind dieser Frage in einer retrospektiven Fall-Kontroll-Studie nachgegangen. Die Ergebnisse diese Studie wurden im Fachjournal Neurology veröffentlicht [2].

Zielsetzung

Die Autoren formulierten zwei Ziele der Studie: Das Hauptziel war es festzustellen, ob es Zusammenhänge zwischen lebenslanger, körperlicher Aktivität und dem Risiko einer Erkrankung an ALS gibt. Ein weiteres Ziel der Studie besteht darin, Hinweise über physische Aktivität (PA) als prognostischen Faktor für den weiteren Verlaufs der Erkrankung an ALS zu sammeln.

Methoden

Die Fall-Kontroll-Studie wurde mit Patienten, die vor kurzem ihre ALS-Diagnose erhalten hatten und im ALS-Register Schwaben der Universität Ulm verzeichnet waren, und einer alters- und geschlechtsangepassten Kontrollgruppe mit Menschen ohne ALS durchgeführt. Alle Teilnehmer füllten einen Fragebogen zu Art und Ausmaß ihren beruflichen und Freizeitaktivitäten im Alter von 20, 30, 40, 50 und 60 Jahren aus. Zur Bewertung der Intensität der physischen Aktivität (PA) standen den Teilnehmern zwei Kategorien zur Verfügung: die erste Kategorie wurde als schweißtreibende Aktivität bezeichnet und beinhaltete Sport und schwere körperliche Arbeit (z. B. Landwirtschaft, Stahlindustrie oder Bau). Die zweite Kategorie, die leichte Aktivität, umfasste Gehen, Fahrradfahren und leichte körperliche Arbeit.

Umrechnung in MET

Die Angaben der Teilnehmer wurden über eine Umrechnung der Aktivitäten in metabolische Äquivalente (metabolic equivalents [MET]) quantifiziert. Die Metabolische Äquivalente ist als das Verhältnis des Arbeitsumsatzes zum Ruheumsatz definiert und wird in der Regel auf eine Stunde bezogen (MET-h). Schweißtreibende Aktivitäten wurden von den Autoren mit 8 MET-h beziffert, leichte Aktivitäten mit 3 MET-h. Daraus wurde über die Lebenszeit der Teilnehmer bis 5 Jahre vor dem Interview bzw. der ALS-Diagnose der Gesamt PA als durchschnittlicher MET-h pro Woche, sowie die MET-h/Woche für Arbeits-PA und Freizeit-PA berechnet. Der Zeit von ≤ 5 Jahren vor der Diagnose bzw. dem Interview wurde gesondert berechnet.

Ergebnisse

An der Studie nahmen 393 ALS-Patienten teil. Die alters- und geschlechtsangepasste Kontrollgruppe bestand aus 791 Personen. In den Jahren 5-55 vor der Diagnose bzw. dem Interview lag die durchschnittliche Gesamt-PA sowohl bei ALS-Patienten als auch bei den Kontrollen bei 17-18 MET-h/Woche.  Die Gesamt PA beeinflusste demnach nicht das Risiko für eine ALS-Erkrankung. Isoliert betrachtet erhöhte schwere körperliche Arbeit, die etwa 22% der Teilnehmer in ihrem Leben leisten mussten, hingegen das ALS-Risiko (OR=1,97; 95 % Konfidenzintervall [CI] 1,34-2,89).

Aktivitätsniveau und ALS-Prognose

Auffällig war, dass die ALS-Patienten im Zeitraum ≤ 5 Jahre vor ihrer Diagnose weniger körperlich aktiv als im Zeitraum davor und als die Kontrollen waren. Der Abfall der Aktivität in den 5 Jahren vor der ALS-Diagnose zeige, laut Studienautorin Dr. Angela Rosenbohm von der Universität Ulm, dass die Erkrankung schon lange vor den ersten Symptomen beginne. Zwischen den Werten für die körperliche Aktivität und dem Überleben der ALS-Patienten bestand ein nicht linearer Zusammenhang: Inaktive Patienten und Patienten mit den höchsten Aktivitätsniveaus (25 MET-h/Woche) wiesen mit 15,4 resp. 19,3 Monaten die geringste Überlebenszeit auf. Die längste Überlebenszeit (29,8 Monate im Median nach Adjustierung um andere prognostische Faktoren) wurde bei Patienten mit 10,5 MET-h/Woche gesehen. Aus den Überlebensdaten in der Studie lasse sich außerdem die klare Empfehlung für moderate Bewegung bei einer ALS-Erkrankung ableiten.

Fazit

Allgemein zog Rosenbohm folgendes Fazit: „Die gute Nachricht ist, dass unsere Ergebnisse weitere Evidenzen dafür liefern, dass Freizeitaktivitäten wie Spazierengehen und Fahrradfahren keinen Risikofaktor für ALS darstellen.“ Allerdings konnte bei Personen, die im Rahmen ihrer Erwerbstätigkeit schwer körperlich arbeiten, ein fast doppelt so hohes Risiko für ALS festgestellt werden. Möglicherweise könne das daran liegen, dass bestimmte Bewegungen im Rahmen der Erwerbstätigkeit sehr häufig wiederholt würden, aber auch anderen Faktoren wie an einer Schadstoff-Exposition am Arbeitsplatz. Eine wesentliche Limitation der Studie besteht darin, dass die Erinnerung der Teilnehmer an die Aktivitäten über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten ungenau war, wie die Autoren einräumen.

Autor:
Stand:
26.10.2021
Quelle:
  1. American Academy of Neurology (2021) Does a lifetime of vigorous exercise increase the risk of developing ALS? Pressemitteilung
  2. Rosenbohm, Peter, Dorst et al. (2021): Life Course of Physical Activity and Risk and Prognosis of Amyotrophic Lateral Sclerosis in a German ALS Registry. Neurology DOI:  10.1212/WNL.0000000000012829
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