
Hintergrund
Autismus-Spektrum-Störungen (ASD) zählen zu den neurologischen Entwicklungsstörungen. Der frühkindliche Autismus zeigt sich bereits vor dem 3. Lebensjahr im Umgang mit Mitmenschen, in der Kommunikation und in sich wiederholenden stereotypen Verhaltensweisen. Die Entstehungsursache ist bislang nicht abschließend geklärt, verschiedene Faktoren wie eine genetische Prädisposition, Benzodiazepine und Antiepileptika in der Schwangerschaft sowie maternale Antikörper werden diskutiert [1-3].
Neben der Ursachenforschung ist die Diagnose Autismus und die anschließende pädagogische und therapeutische Betreuung für Betroffene und deren Angehörige wichtig. Dies wird durch Kenntnisse über die Häufigkeit der Erkrankung insgesamt und in verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterstützt.
Neue Prävalenzdaten zu ASD
Neue Zahlen zur Prävalenz von ASD liefert eine im Fachjournal „Pediatrics“ publizierte Studie von Dr. Josephine Shenouda, Rutgers New Jersey Medical School, Newark, USA, und Kollegen [4]. Neben der Ermittlung von Prävalenzzahlen lag ein weiterer Fokus der Studie auf Unterschieden zwischen Kindern mit und ohne geistige Behinderung. Denn die geistigen Fähigkeiten beeinflussen das funktionelle Outcome bei Kindern mit Autismus. Die kognitiven Fähigkeiten wurden in der Studie mittels Intelligenzquotient bestimmt.
Die Forscher ermittelten die Prävalenzzahlen bei Kindern im Alter von 8 Jahren mit und ohne geistige Behinderung aus Daten des Autism and Developmental Disabilities Monitoring Network (ADDM) der US-Gesundheitsbehörde CDC. Die Daten stammen aus den Jahren 2000-2016 und wurden auf die Metropolregion New York-New Jersey eingegrenzt.
Mehr ASD-Diagnosen bei Kindern ohne kognitive Einschränkungen
Insgesamt wurden 4.661 Kinder im Alter von 8 Jahren mit ASD identifiziert. Davon wiesen 1.505 (32,3%) eine geistige Behinderung auf, die Mehrzahl zeigte aber keine kognitiven Einschränkungen (2.764 Kinder; 59,3%).
Die Verteilung der soziodemografischen Merkmale zeigte sich in der Studienpopulation wie folgt:
- Männliches Geschlecht: 3.794 (81,4%)
- Schwarz, nicht-hispanisch: 946 (20,3%)
- Hispanisch: 1.230 (26,4%)
- Weiß: 2.114 (45,4%).
Die Forscher verzeichneten einen zweifachen Anstieg der ASD-Prävalenz bei Kindern mit geistiger Behinderung und einen fünffachen Anstieg bei Kindern ohne geistige Behinderung in den 16 Jahren des Beobachtungszeitraumes.
Ethnische und sozioökonomische Einflüsse auf ASD-Prävalenz
Schwarze Kinder ohne geistige Behinderung hatten eine um 30% reduzierte Wahrscheinlichkeit einer ASD-Diagnose im Vergleich zu weißen Kindern. In wohlhabenden Bezirken war die Wahrscheinlichkeit einer ASD-Diagnose bei Kindern ohne geistige Behinderung um 80% höher als in ärmeren Bezirken. Kinder mit geistiger Behinderung und ASD lebten eher in ärmeren Regionen als Kinder mit ASD, aber ohne geistige Behinderung.
Starker Anstieg der ASD-Prävalenz wodurch?
Die Studienergebnisse zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit der Diagnose einer ASD auch mit dem ethnischen und sozioökonomischen Hintergrund zusammenhängt. Der starke Anstieg der Prävalenz bei Kindern aus wohlhabenden Regionen ohne geistige Behinderung kann laut den Autoren nicht alleine durch bessere Tests und eine erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber der Erkrankung erklärt werden.
Eine mögliche Erklärung liefert Dr. Katja Albertowski, Oberärztin in der Autismusambulanz, Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden: „Soziale Isolation durch Lebensstile und Medienkonsum sowie die Förderung von Egozentrik können bei höherfunktionalen Kindern und Jugendlichen zu sozialen und emotionalen Auffälligkeiten führen, die wie Autismus wirken können. Auch das ist eine Erklärung für die hohe Prävalenz in den vergangenen Jahren“, sagte Albertowski gegenüber dem Science Media Center anlässlich der Studie [5]. Die Autoren fordern anlässlich ihrer Studienergebnisse weitere Untersuchungen, um die deutlichen Unterschiede besser zu verstehen.