Höheres Blasenkrebsrisiko bei Rückenmarksverletzungen

Nach Lungenkrebs ist Blasenkrebs die häufigste Neoplasie-Form bei Patienten mit Erkrankungen oder Verletzungen des Rückenmarks. Ein Forscherteam hat nun untersucht, welche Patienten besonders gefährdet sind, um daraus gezielte Screening-Programme abzuleiten.

Blasentumor

Hintergrund

Bei Menschen mit Verletzungen oder Erkrankungen des Rückenmarks (Spinal Cord Injury/Disease, SCI/D) sind Neoplasmen nach Lungenerkrankungen und Infektionen die dritthäufigste Todesursache. Nach Lungenkrebs ist Blasenkrebs die zweithäufigste Krebserkrankung bei Personen mit SCI/D.

Blasenkrebs bei Patienten mit SCI/D weist im Vergleich zu Blasenkrebs bei Patienten ohne SCI/D einige Besonderheiten auf: Die Krebserkrankung wird in der Regel 10 bis 20 Jahre früher bei den SCI/D-Patienten diagnostiziert, der Primärtumor ist meist weiter fortgeschritten (höhere T-Kategorie) und die Erkrankung zeigt einen aggressiveren Verlauf. Die Mortalitätsrate bei dieser Patientengruppe ist entsprechend höher.

In Anbetracht dessen ist es notwendig, effektive Screening-Strategien zu entwickeln. Dazu ist es von Bedeutung, welche Patienten mit SCI/D ein besonders hohes Blasenkrebsrisiko haben, da Erkrankungsdauer, Lokalisation der Läsion und das Blasenmanagement das individuelle Risiko beeinflussen.

Zielsetzung

Ein Team um Dr. Ralf Böthig, Leiter der Abteilung für Neuro-Urologie am Querschnittgelähmten-Zentrum im BG Klinikum Hamburg, analysierte Schwere der SCI/D, Blasenmanagement, Tumorcharakteristika und Latenzzeit bei SCI/D-Patienten [1].

Methodik

Die Daten von SCI/D-Patienten aus allen 28 neurourologischen Zentren der Deutschsprachigen Medizinischen Gesellschaft für Paraplegiologie in der Schweiz, Österreich und Deutschland aus dem Zeitraum von Januar 2012 bis Dezember 2019 wurden analysiert.

Die Daten umfassten Angaben zur Demografie, Art und Schwere der SCI/D, Latenzzeit, Blasenmanagement und die histopathologischen Charakteristika der Tumore.

Ergebnisse

Insgesamt gingen die Daten von 135 Patienten in die Auswertung ein. Die Latenzzeit zwischen Beginn der SCI/D und der Diagnose Blasenkrebs lag im Mittel bei 31,5 Jahren. Fast 70% der Tumore zeigten ein invasives Wachstum. Bei 72,6% lag ein Urothelkarzinom vor und bei 23,0% ein Plattenepithelkarzinom. Die histopathologischen Kriterien wurden nicht von Blasenmanagement und Schweregrad der SCI/D beeinflusst. Die Patienten waren zum Diagnosezeitpunkt im Durchschnitt 57 Jahre alt und damit deutlich jünger als Betroffene aus der Allgemeinpopulation, bei denen die Diagnose im Mittel 20 Jahre später gestellt wird.

Das Blasenmanagement wurde nur selten mit einem Dauerkatheter durchgeführt. Einen suprapubischen Katheter hatten 3% der Patienten.

Einflüsse auf die Latenzzeit

Das Blasenmanagement zeigte einen Einfluss auf die Latenzzeit. Bei Patienten, die intermittierend katheterisiert wurden, lag die Latenz im Schnitt bei 28 Jahren wohingegen die katheterfreie Blasenentleerung eine Latenz von 35 Jahren zeigte. Auch der Sitz der Läsion (obere oder untere Motoneurone) machte einen Unterschied. Bei einer Läsion im Bereich der oberen Motoneurone lag die Latenz bei 31 Jahren, bei Läsionen der unteren Motoneurone war die Zeitspanne mit 41 Jahren deutlich länger.

Fazit

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass vor allem die Art des Blasenmanagements sowie die Lokalisation der SCI/D einen Einfluss auf die Latenzzeit haben. Insgesamt zeigen die in dieser Studie ermittelten Latenzzeiten, dass Blasenkrebs erst im späteren Verlauf einer SCI/D eine Rolle spielt. Die Autoren fordern daher, dass das Screening mit zunehmender Dauer einer SCI/D intensiviert werden sollte.

Quelle:

Böthig et al. (2021): Bladder management, severity of injury and period of latency: a descriptive study on 135 patients with spinal cord injury and bladder cancer. Spinal Cord, DOI: https://doi.org/10.1038/s41393-021-00651-3

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