
Frühere Studien zeigten, dass KrebspatientInnen – insbesondere solche mit malignen hämatologischen Erkrankungen – ein höheres Risiko für schwere Covid-19-Verläufe haben als die Allgemeinbevölkerung [1]. Zudem wurde in dieser Gruppe eine reduzierte Seroresponse nach einer Corona-Impfung gegen SARS-CoV-2 festgestellt [2,3]. Eine kanadische Forschungsgruppe untersuchte nun, wie Betroffene auf eine Coronaimpfung hinsichtlich Durchbruchinfektionen und Covid-19-Komplikationen reagieren. Die Ergebnisse der Studie wurden in der medizinischen Fachzeitschrift „JAMA Oncology“ publiziert [4].
Daten von knapp 1,5 Millionen Personen ausgewertet
In einer großen bevölkerungsbasierten Kohortenstudie mit fast 1,5 Millionen Beteiligten untersuchte ein Team um Dr. Inna Y. Gong von der Universität Toronto das relative Risiko von SARS-CoV-2-Durchbruchinfektionen und schweren Covid-19-Verläufen bei geimpften Personen mit und ohne Krebs. Die Forschenden stellten 289.400 Tumorpatienten (249.520 mit soliden und 39.880 mit hämatologischen Neoplasien), die mindestens zwei Dosen einer SARS-CoV-2-Impfung erhalten hatten, einer ebenfalls geimpften sowie nach Alter, Geschlecht und Art der Vakzine angepassten krebsfreien Kontrollgruppe gegenüber (n=1.157.600).
Als Impfdurchbruch war eine PCR-bestätigte SARS-CoV-2-Infektion, die frühestens zwei Wochen nach Erhalt der zweiten Impfdosis (überwiegend mRNA-Vakzine) aufgetreten war, definiert.
Impfdurchbrüche vor allem bei Krebs des blutbildenden Systems
Im Ergebnis kam es bei den Krebserkrankten in 3.118 und in der Kontrollgruppe in 12.150 Fällen zu einem Impfdurchbruch. Das ergibt eine um relative 5%ige und damit signifikant erhöhte Wahrscheinlichkeit bei den TumorpatientInnen.
Das Ergebnis basierte insbesondere auf Personen mit hämatologischen Neoplasien. Hier war das Risiko für eine Durchbruchinfektion um 33% erhöht (adjustierte Hazard Ratio [aHR], 1,33; 95%-Konfidenzintervall [95%-KI], 1,20–1,46); bei den Betroffenen mit soliden Tumoren war der Unterschied zur Kontrollgruppe gleich Null (aHR, 1,00; 95%-KI, 0,96–1,05).
Auffrischdosis senkt Risiko für Durchbruchinfektionen
Eine Auffrischdosis bzw. dritte Impfung reduzierte die Wahrscheinlichkeit einer Durchbruchinfektion erheblich, und zwar:
- in der Gruppe der Krebserkrankten insgesamt um relative 42%
- bei Betroffenen mit soliden Tumoren um relative 44%
- bei PatientInnen mit hämatologischen Neoplasien um relative 39%
Bei PatientInnen mit einer hämatologischen Erkrankung war der Schutzeffekt der Auffrischimpfung signifikant höher als bei denjenigen mit einem soliden Tumor (aHR 0,59; 95%-KI 0,50–0,70).
Schutz vor schweren Krankheitsverläufen
Als sekundäre Endpunkte hatten die Forschenden schwere Covid-19-Verläufe und damit einhergehende Notaufnahmen sowie mutmaßlich assoziierte Todesfälle innerhalb eines Monats nach der SARS-CoV-2-Infektion definiert. Diese traten bei den Krebserkrankten signifikant häufiger auf als in der Kontrollgruppe (aHR, 1,52; 95%-KI 1,42–1,63).
Das erhöhte Risiko für schwerwiegende Covid-19-Folgen war vor allem den hämatologischen Krebserkrankungen geschuldet (aHR, 2,51; 95%-KI, 2,21–2,85). Bei denjenigen mit soliden Tumoren betrug die adjustierte HR 1,43 (95%-KI 1,24–1,64).
Auffrischdosis schützt vor schweren Covid-19-Folgen
Die dritte Impfdosis schien auch vor den sekundären Endpunkten zu schützen – Krebserkrankte sogar deutlich stärker als die Allgemeinbevölkerung. Für alle KarzinompatientInnen lag die aHR im Vergleich zur Kontrollgruppe für
- eine Notaufnahme bei 0,41 (95%-KI, 0,37–0,45)
- einen schweren Covid-19-Verlauf bei 0,44 (95%-KI, 0,41–0,48)
- einen letalen Ausgang bei 0,39 (95%-KI, 0,35–0,45)
Ausnahme: Patienten mit einer Anti-CD20-Antikörper-Therapie
Hämatologische KrebspatientInnen, die mit Anti-CD20-Antikörpern behandelt wurden, waren besonders gefährdet, einen Impfdurchbruch zu erleiden (aHR 1,88; 95%-KI, 1,27–2,78). In dieser Gruppe war das Risiko eines schweren Covid-19-Verlaufs siebenfach erhöht, das Sterberisiko gut sechsfach und das Risiko einer Notfalleinweisung zwölffach.
Das sei damit zu begründen, dass es nach der therapiebedingten B-Zell-Depletion zwischen neun und zwölf Monate dauern kann, bis sich das Immunsystem erholt habe, erklären Gong und Team. In dieser Zeit empfehlen die Forschenden andere Maßnahmen zum Schutz vor Covid-19, unter anderem eine medikamentöse Präexpositionsprophylaxe.
Eine dritte Impfdosis erzielte in dieser Subgruppe keinen Schutz vor schweren Erkrankungsverläufen.
Erkrankte mit Chemotherapie profitieren von Auffrischdosis
Bei hämatologischen PatientInnen, die eine Chemotherapie erhielten, war das Risiko eines Impfdurchbruchs um relative 63% erhöht; schwere Verläufe traten mit viermal, Todesfälle mit gut dreimal höherer Wahrscheinlichkeit als in der Kontrollgruppe auf. Allerdings schienen diese PatientInnen von einer dritten Impfdosis zu profitieren.
Priorisierte Corona-Auffrischimpfung für Krebserkrankte
Mit Ausnahme von Betroffenen, die mit Anti-CD20-Antikörpern behandelt werden, schützt eine Auffrischimpfung gegen SARS-CoV-2 auch Krebserkrankte vor Impfdurchbrüchen und schweren Covid-19-Verläufen. Ausgehend von diesen Ergebnissen fordert das Autorenteam, TumorpatientInnen (inklusive solche mit hämatologischen Neoplasien) unabhängig vom Therapiestatus für eine Auffrischimpfung, ggf. Präexpositionsprophylaxe sowie eine rasche antivirale Therapie zu priorisieren.
STIKO-Priorisierung
In Deutschland sieht die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) zur Covid-19-Impfpriorisierung vom 4. Februar 2021 vor, dass „Patienten mit einer aktiven hämatologischen Erkrankung oder fortgeschrittenen soliden Tumorerkrankungen, die nicht in Remission sind, sowie Patienten unter aktueller systemischer Therapie mit hoher Priorität Anspruch auf eine Schutzimpfung haben“ (Gruppe 3 von 6).
Darüber hinaus rät die STIKO explizit, auch KrebspatientInnen „vor, unter oder nach einer Chemotherapie, einer gezielten Therapie und/oder unter einer Therapie mit Immuncheckpointinhibitoren“ zu impfen, erklärt Clemens-Martin Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Hämatologie/Onkologie an der München Klinik Schwabing [5].