ESMO 2022: Belegt - Feinstaub löst Lungenkrebs aus

Bislang war bekannt, dass Karzinogene zu Treibermutationen in der DNA führen und Zellen daraufhin entarten können. Jetzt wird klar: Auch Zellen in gesundem Gewebe können solche Mutationen enthalten. Erst wenn es einen „Second hit“ gibt, entarten sie zu Krebszellen.

Feinstaub

Die Zahl von Nie-Rauchern mit Lungenkrebs steigt. Das könnte laut Professor Dr. Charles Swanton vom Francis Crick Institute and Cancer Research in London mit der Feinstaubbelastung zusammenhängen [1]. Die von ihm vorgestellten Untersuchungsergebnisse könnten nicht nur die Vorstellung der Entstehung von Lungenkrebs, sondern ganz allgemein von Krebs verändern. Zudem ergeben sich ganz neue Ansätze zur Krebsprävention.

Die klassische Vorstellung zur Krebsentstehung ist nicht ausreichend

Die bisher favorisierte Vorstellung, dass Karzinogene Mutationen in der DNA auslösen und damit die Krebsentstehung anstoßen, greift zu kurz. 17 von 20 gut belegten Karzinogenen fördern im Mausmodell die Krebsentstehung, ohne Mutationen auszulösen, berichtete Swanton.

Auf der anderen Seite finden sich Treibermutationen auch in gesundem Gewebe und andererseits weisen 10% der Raucher mit Lungenkrebs keine durch Tabakrauch ausgelösten Treibermutationen auf. Schon 1947 gab es eine weitere Hypothese zur Krebsentstehung, die jetzt bestätigt werden konnte, erklärte Swanton: Mutationen sind häufig nur ein erstes Ereignis, das noch nicht ausreicht, Krebs (auf Onkologie verlinken) auszulösen. Dazu kommen muss ein zweites Ereignis (engl. „second hit“).

Belege aus Epidemiologie und Grundlagenforschung

Swanton führte zusammen mit einer internationalen Forschergruppe zahlreiche Untersuchungen durch, um diesem Prozess auf die Spur zu kommen. Im Fokus stand dabei Feinstaub mit einem aerodynamischen Durchmesser von kleiner als 2,5 Mikrometer (PM2,5), der bis tief in die Bronchien hineingelangen kann. Die Ergebnisse sind schlüssig:

  • In Großbritannien ließ sich anhand der UK Biobank eine Assoziation von sieben Tumorarten mit einer erhöhten PM2,5-Belastung zeigen. Es handelte sich durchwegs um Karzinome der Atemwege oder des Magen-Darm-Trakts, der durch Verschlucken ebenfalls mit PM2,5, in Kontakt kommt.
  • Die Assoziation von PM2,5 mit Krebs ließ sich auch speziell für EGFR-mutierte Lungenkarzinome zeigen. Dieser Befund wurde anhand von Daten aus z.T. stärker luftverschmutzten Regionen (Südkorea, Taiwan) bestätigt.
  • In drei verschiedenen Mausmodellen, in denen künstlich EGFR- oder KRAS-Mutationen ausgelöst wurden, führte die Exposition mit PM2,5 zu mehr Lungenkrebs.
  • Im Organoid-Modell mit Epithelzellen der Maus zeigte sich, dass weder EGFR-Mutation noch PM2,5-Exposition allein zu einer Krebsentstehung führen, wohl aber beides gemeinsam.
  • In einem anderen Mausmodell konnte ein potenzieller Mechanismus, der zur Tumorentstehung bei PM2,5-Belastung beiträgt, aufgedeckt werden: Bei PM2,5-Exposition kommt es zum Anlocken von Makrophagen, die unter anderem Interleukin-1β (IL-1β) sezernieren und dadurch die Entstehung von AT2-Zellen (Abkürzung für Alveoläre Typ-2-Zellen) fördern und diese Zellen aktivieren. AT2-Zellen sind potenzielle Progenitorzellen des Lungenkarzinoms.
  • Der Effekt von PM2,5 auf die IL-1β-Freisetzung ließ sich im Menschen nachvollziehen: Wenn gesunde Probanden zwei Stunden PM2,5 inhalierten, ließ sich in bronchoskopisch gewonnenen Epithelzellen eine Hochregulation verschiedener Zytokine zeigen, darunter auch IL-1β.
  • Der Effekt ist hemmbar: Der gegen IL-1β gerichtete Antikörper Canakinumab parallel zu einer PM2,5-Expositon gegeben verhinderte im Mausmodell mit EGFR-Mutation die Tumorentstehung.
  • In einer Autopsiestudie waren EGFR-Mutationen zu 15% und KRAS-Mutationen zu 53% in gesundem Lungengewebe zu finden. Swanton schätzt, dass eine von 600.000 Zellen eines 55-jährigen Nierauchers solche Treibermutationen enthält. Die Zahl solcher Mutationen in der Lunge steigt mit dem Alter an.

Praktische Konsequenzen

Die Reduktion der Luftverschmutzung als wichtiger präventiver Schritt liegt auf der Hand. 99% der Menschen global sind zumindest zeitweise einer PM2,5-Belastung über der von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlenen Konzentration ausgesetzt, meinte Swanton.

Zwar ist das Lungenkrebsrisiko von Rauchern 15-mal höher als das von Nichtrauchern mit einer erhöhten PM2,5-Belastung. Die Feinstaubbelastung betrifft aber fünf Mal mehr Menschen weltweit als der Tabakrauch und man kann sich dem Feinstaub in der Umgebung nicht entziehen.

Swanton glaubt, dass auch andere nicht mutagene Karzinogene über den IL-1β-Effekt Karzinome auslösen. Möglicherweise ist der Mechanismus auch Teil der karzinogenen Eigenschaften des Rauchens.

Autor:
Stand:
16.09.2022
Quelle:
  1. Prof. Dr. Charles Swanton: „Mechanism of action and an actionable inflammatory axis for air pollution induced non-small cell lung cancer: towards molecular cancer prevention“, ESMO Congress 2022, Abstract LBA1, Paris, 10. September 2022. Annals of Oncology. Doi: 10.1016/j.annonc.2022.08.046
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