
Die häufigsten Mutationen, die einer klonalen Hämatopoese unbestimmten Potenzials (engl. Clonal hematopoieseis of indeterminate potential, CHIP) zugrunde liegen, sind Nullvarianten von TET2 oder DNMT3A. Kommen zu diesen primär nicht onkogenen Mutationen weitere hinzu, kann eine hämatologische Neoplasie resultieren. Überraschenderweise sind CHIP aber auch mit einem geringeren Risiko für eine Alzheimer-Demenz assoziiert, berichtete Dr. Hind Bouzid, Pathologe an der Stanford University School of Medicine in Palo Alto, Kalifornien, anlässlich der ASH-Jahrestagung 2021 [1]. Eigentlich hatte sie mit ihren Kollegen das Gegenteil erwartet. CHIP ist mit einem erhöhten Risiko für Atherosklerose, Gicht und anderen inflammatorisch getriebenen Erkrankungen assoziiert. Es ist bekannt, dass CHIP Effektorimmunzellen beeinträchtigt kann und damit möglicherweise auch Mikroglia als Immunzellen des Zentralnervensystems, die eine Rolle in der Alzheimer-Pathologie zu haben scheinen.
Erste Hinweise
Das erste Mal erlebten die Wissenschaftler eine Überraschung bei der longitudinalen Auswertung von Daten aus der Cardiovascular Health Study und der Framingham Heart Study. Ausgeschlossen wurden Patienten mit kardiovaskulären Ereignisse oder Schlaganfällen in der Vorgeschichte, die ein erhöhtes Demenzrisiko haben. Von den übrigen Probanden hatten CHIP-Träger ein um 38% reduziertes Risiko für die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz gegenüber Nicht-CHIP-Trägern.
Bestätigung in Fall-Kontroll-Studie
Um diese Befunde zu bestätigen, führten Bouzid und Kollegen anhand des Alzheimer’s Disease Sequencing Project (ADSP) eine Fall-Kontroll-Studie durch. Anhand von 1.104 Fällen mit Alzheimer-Demenz und 1.446 demenzfreien Kontrollen zeigte sich mit einer Odds Ratio von 0,66 ein ähnlich protektiver Effekt von CHIP vor einer Alzheimer-Erkrankung.
Bestätigt wurde ein Demenzschutz von CHP auch in einer Mendelschen-Randomisierungs-Studie auf Basis von zwei genweiten Assoziationsstudien zur Alzheimer-Demenz. Die Odds-Ratio betrug hier 0,92.
CHIP: weniger Hirnpathologie
Die Assoziationen ließen sich weiter untermauern durch Untersuchungen an Gehirnen von Studienteilnehmern, die einer Autopsie zugestimmt hatten. Der Plaque-Dichte-Score nach CERAD („Consortium to Establish a Registry for Alzheimer’s Disease) war bei CHIP-Trägern nur halb so häufig auf eine Alzheimer Demenz hinweisend als bei bei Nicht-CHIP-Trägern. Eine Alzheimer-Pathologie nach BRAAK fand sich um 44% seltener. Dabei spielte es keine Rolle, ob die zugrunde liegende Mutation DNMT3A, TET2, ASXL1, SF3B1 oder andere CHIP-Gene betraf – der protektive Effekt war bei allen Mutationen zu beobachten. Relevant war aber der APOE-Status – ein der dominante genetische Risikofaktor für eine Alzheimer Demenz, betonte Bouzid: Der protektive Effekt war am ausgeprägtesten bei Personen mit APOE e3 oder e4 Allelen und nicht feststellbar bei Trägern von APOE-e2-Allelen.
Mikroglia-Austausch
Um eine kausale Verknüpfung von CHIP und Alzheimer-Demenz herzustellen, untersuchten Bouzid und Kollegen Blut und okzipitale Hirnrinde von acht verstorbenen Teilnehmern, von denen sechs bis zum Tod kognitiv unauffällig waren. Im Blut fanden sich Mutationen in DNMT3A, TET2, ASXL1, SF3B1 und GNB1, wobei Alterationen in den Genen DNMT3A und TET2 wie in der Allgemeinbevölkerung auch am häufigsten waren. Bei sieben der acht Verstorbenen fanden sich diese somatischen Mutationen in der Mikroglia angereichert wieder – Die Zellen können also ins Gehirn einwandern und sich dort ansiedeln. Eine detaillierte genetische und immunologische Untersuchung von zwei CHIP-Trägern und einer Kontrolle ergab, dass die endogenen Mikrogliazellen durch mutierte Zellen ausgetauscht wurden.
Hypothese zum Schutzmechanismus
Bouzid spekulierte, dass die mit CHIP assoziierten Mutationen zu zirkulierenden Vorläuferzellen mit einer gesteigerten Fähigkeit zur Ansiedlung im Gehirn resultieren. Dort scheinen sich die Zellen zu Mikroglia differenzieren und klonal zu vermehren zu können und dabei die ursprüngliche Mikroglia verdrängen. Die Schutzfunktion vor Alzheimer-Demenz könnte darin bestehen, dass die klonalen Zellen die phagozytäre Effektivität steigern und den Ablagerungen von Amyloid und Neurofilamenten mit zunehmendem Alter besser entgegenwirken als die ursprüngliche Mikroglia, die durch die Alzheimer-typischen Ablagerungen überaktiviert wird und mit zur Neurodegeneration beiträgt.