
Nach der Auswertung einer britischen Datenbank mit mehr als 17 Millionen Erwachsenen treten mit SARS-CoV-2-Infektionen assoziierte Todesfälle häufiger bei Männer als bei Frauen auf und sind mit einem höheren Lebensalter und schlechteren sozioökonomischen Lebensbedingungen assoziiert [2]. Als häufige Komorbiditäten mit einem besonders hohen Risiko für einen mit der Coronaviruserkrankung (COVID-19) assoziierten Tod wurden unter anderem ein schlecht kontrollierter Diabetes (Hazard Ratio, HR: 2,61), schweres, steroidpflichtiges Asthma (HR 1,55) oder eine fortgeschrittene Niereninsuffizienz (HR 2,48) identifiziert.
Risiko sinkt, je weiter Krebsdiagnose zurückliegt
Auch bei Krebs fanden die britischen Forscher ein erhöhtes Risiko für schwere oder fatale COVID-19-Verläufe. Dabei scheint das Risiko eines SARS-CoV-2-bedingten Todes bei hämatologischen Neoplasien stärker ausgeprägt zu sein als bei soliden Tumoren, wie Prof. von Lilienfeld-Toal, Professorin für Infektionsforschung in der Hämatologie/Onkologie der Universitätsklinik Jena, erläuterte. Das Risiko sei vor allem für diejenigen hoch, die erst vor weniger als einem Jahr die Diagnose einer malignen Erkrankung erhalten haben. Gegenüber ansonsten Gesunden mit SARS-CoV-2-Infektion ist das Risiko bei komorbiden hämatologischen Neoplasien dann um 302%, bei soliden Tumoren um 81% erhöht. Liegt die Krebsdiagnose länger zurück, sinkt das Risiko, an COVID-19 zu versterben, bei Patienten mit soliden Tumoren deutlich, bei hämatologischen Neoplasien dagegen kaum. Mehr als fünf Jahre nach Krebsdiagnose gibt es für Patienten mit soliden Tumoren gar kein erhöhtes Mortalitätsrisiko durch die SARS-CoV-2-Infektion mehr, während bei hämatologischen Neoplasien nach den englischen Daten immer noch ein um 70% höheres Sterberisiko bei SARS-CoV-2-Infektion besteht.
Risiko Krebs oder Risiko Alter?
Die Datenlage ist aber nicht einheitlich, wie eine retrospektive Analyse von Patienten mit COVID-19, die an der Universitätsklinik Freiburg behandelt wurden, zeigt [3]. Weder die Rate schwerer Verläufe noch die Mortalität war gegenüber anderen Patienten ohne Krebserkrankung erhöht. „Die Beurteilung ist schwierig, weil Krebspatienten älter und auch komorbider sind als der Bevölkerungsdurchschnitt“, erklärte Prof. Lilienfeld-Toal. Damit sind sie per se einem höheren COVID-19-Risiko ausgesetzt und viele frühe Auswertungen haben diesen Faktoren nicht Rechnung getragen. Auch die aktuelle Auswertung des europäischen LEOSS-Registers belegt, dass bei Adjustierung um die Faktoren Alter und Komorbiditäten kein erhöhtes Risiko für Krebspatienten durch COVID-19 mehr zu finden ist [4]. Es bleibt aber doch, dass Krebspatienten auf dem Hintergrund ihres häufig höheren Lebensalters und der vorhandenen Komorbiditäten ein Risikokollektiv darstellen, betonte Lilienfeld-Toal – besonders wenn die Krebserkrankung aktiv ist.
Handlungsempfehlungen für COVID-19-Erkrankungen bei Krebspatienten
Schon früh hat die Arbeitsgemeinschaft Infektionen in der Hämatologie und Onkologie (AGIHO) der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) über die Onkopedia-Plattform im Internet Handlungsempfehlungen für das Management von Krebspatienten in der SARS-CoV-2-Pandemie herausgegeben, die ständig aktualisiert wurden [5]. Die AGIHO hat inzwischen eine evidenzbasierte Leitlinie entwickelt, die demnächst im European Journal of Cancer erscheinen wird. Grundsätzlich gilt laut Lilienfeld-Toal, dass die Therapie der SARS-CoV-2-Infektion genauso wie bei Patienten ohne Krebserkrankungen erfolgen sollte. Die Hygienemaßnahmen sollen mindestens genauso intensiv wie für andere Patienten eingehalten werden. Besteht der Verdacht auf eine SARS-CoV-2-Infektion, z.B. nach Kontakt mit einem infizierten Patienten, sollte getestet werden. Empfohlen ist, eine Quarantäne und die Verzögerung der Krebstherapie um bis zu 14 Tage, wenn sich dies mit der Prognose vereinbaren lässt.
Krebstherapie in der COVID-19-Pandemie
Eine kontrollierte Krebserkrankung verringert das Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19. Daher sollten Patienten nach der AGIHO-Leitlinie auch in Zeiten der SARS-CoV-2-Pandemie eine Krebstherapie mit dem Ziel der bestmöglichen Remission erhalten. Wenn unter einer aktiven Krebstherapie eine COVID-19-Erkrankung auftritt, unterscheidet sich das Management nicht wesentlich von dem bei anderen fieberhaften Infektionen unter einer onkologischen Behandlung. Wenn nicht unbedingt notwendig, sollte die zytotoxische Therapie verzögert oder unterbrochen werden, ebenso sollte ein chirurgischer Eingriff möglichst verzögert werden. Das Verschieben der Strahlentherapie hat in der Leitlinie einen geringeren Empfehlungsgrad – bei milder SARS-CoV-2-Infektion kann beispielsweise eine laufende Bestrahlung wahrscheinlich fortgeführt werden, meinte Lilienfeld-Toal. Eine endokrine Therapie mit Aromatasehemmern oder Tamoxifen muss nicht zwingend abgesetzt werden. Auch die orale Therapie mit Tyrosinkinase-Inhibitoren kann nach dem aktuellen Stand der Evidenz meist weitergegeben werden, allerdings ist hier die Datenlage für solide Tumore schwächer als für hämatologische Neoplasien.