Akute Niereninsuffizienz

Die akute Niereninsuffizienz geht mit einem Anstieg der Nierenretentionsparameter und Abfall der Urinausscheidung einher. Die schnelle Abnahme der Nierenfunktion ist prinzipiell reversibel.

Akute Niereninsuffizienz

Definition

Die akute Niereninsuffizienz ist definiert als plötzliche, prinzipiell reversible Verschlechterung der Nierenfunktion mit Abfall der glomerulären Filtrationsrate (GFR) und meist auch Anurie.

Ein akutes Nierenversagen besteht, wenn mindestens eines der nachfolgenden Kriterien erfüllt ist:

  • Anstieg des Serumkreatinins um mindestens 0,3mg/dl (26,5μmol/l) innerhalb von 48 Stunden oder
  • Anstieg des Serumkreatinins auf mindestens das 1,5-Fache eines bekannten oder angenommenen Ausgangswerts innerhalb von 7 Tagen oder
  • Abfall der Urinausscheidung auf weniger als 0,5ml/kg Körpergewicht/Stunde für mindestens 6 Stunden

Schweregrade

Bei der Einteilung des akuten Nierenversagens werden drei Schweregrade nach der KDIGO (kidney disease: Improving global outcomes)-Einteilung unterschieden (Grad 1 geringste Ausprägung, Grad 3 schwerste Ausprägung). Die Einteilung erfolgt anhand des Serumkreatinins, der geschätzten glomerulären Filtrationsrate und der Urinausscheidung.

Epidemiologie

Das akute Nierenversagen zeigt eine Inzidenz von etwa 2.000-3.000/Millionen Einwohner. Vor allem ältere Menschen und Kleinkinder können schnell dehydrieren (z.B. im Rahmen von Infekten oder starkem Schwitzen) und sind damit für das Auftreten einer akuten Niereninsuffizienz gefährdet. Etwa 5% der Patienten auf der Intensivstation erleiden ein akutes Nierenversagen.

Ursachen

Man unterschiedet ein prärenales Nierenversagen aufgrund einer realen Minderperfusion (60% der Fälle) von einem intrarenalen Nierenversagen, welches auf einer direkten Schädigung der Niere beruht (ca. 35% der Fälle) von einem postrenalen Nierenversagen (5% der Fälle).

Prärenales Nierenversagen

Ein prärenales Nierenversagen beruht auf einer renalen Minderperfusion, die beispielsweise aufgrund einer unzureichenden Flüssigkeitszufuhr, aber auch erhöhten Flüssigkeitsverlusten z.B. im Rahmen von Blutungen, Erbrechen/Durchfall, einer akuten Pankreatitis oder der Einnahme von Diuretika entstehen kann. Ebenso kann ein vermindertes zirkulierendes Blutvolumen bzw. Abfall des arteriellen Blutdrucks im Rahmen einer Herzinsuffizienz, Schock, Sepsis, nephrotischen Syndroms oder einer Leberzirrhose zu einem prärenalen Nierenversagen führen.

Intrarenales Nierenversagen

Das intrarenale Nierenversagen kann durch eine akute Tubulusnekrose entstehen. Diese kann ischämisch, aber auch medikamentös-toxisch (z.B. durch Aminoglykoside, NSAID oder Kontrastmittel) verursacht werden. Auch eine Pigment-Nephropathie, z.B. eine Hämoglobinurie bei Hämolyse, kann ein Nierenversagen auslösen. Weitere Beispiele für Auslöser eines intrarenalen Nierenversagens können Nierenarterienstenosen, Niereninfarkte oder auch Aortendissektionen sein.

Postrenales Nierenversagen

Auch Abflussbehinderungen des Harns können zu einem akuten Nierenversagen führen. Beispiele für Abflussbehinderungen sind Nierensteine, Tumore aber auch eine benigne Prostatahyperplasie.

Risikofaktoren

Risikofaktoren für das Auftreten einer akuten Niereninsuffizienz sind ein hohes Alter, eine vorbestehende Niereninsuffizienz und/oder Proteinurie und das Vorliegen eines Diabetes.

Pathogenese

Pathophysiologisch unterscheidet man ein prärenales, ein (intra-)renales und ein postrenales Nierenversagen.

Prärenales Nierenversagen

Das prärenale Nierenversagen beruht auf einer Verminderung des Blutvolumens. Die renale Perfusion und folglich auch die glomeruläre Filtration sinken. Sekundär kommt es zu ischämisch bedingten Schädigungen der Nephrone.

Durch eine Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS), Katecholamin-Ausschüttung sowie eine erhöhte ADH-Ausschüttung kommt es zu einer Wasser- und Natriumretention, mit dem Ziel die bestehende Hypovolämie auszugleichen.

Intrarenales Nierenversagen

Bei dem intrarenalen Nierenversagen kommt es zu einer primären Schädigung der Nephronen. Im Rahmen dieser Schädigung entstehen Tubulusnekrosen.

Postrenales Nierenversagen

Im Rahmen des postrenalen Nierenversagens kommt es zu Obstruktionen in den ableitenden Harnwegen. Es kommt zum Auftreten einer Anurie und zur Druckerhöhung oberhalb des Abflusshindernisses. Die Durchblutung der Niere wird reduziert.

Symptome

Das Initialstadium der akuten Niereninsuffizienz ist in der Regel asymptomatisch.

Zu den frühen Anzeichen eines akuten Nierenversagens zählen u.a. die Wasserretention z.B. in Form von Ödemen und ein erhöhter Blutdruck.
Später einsetzende Symptome sind u.a. Ermüdung, eine verminderte Konzentrationsfähigkeit, Appetitverlust, Übelkeit oder auch Pruritus.
Das Leitsymptom der Erkrankung ist die Oligurie bzw. Anurie. Aber es sind auch polyurische oder gar normurische Verläufe möglich.

Bei einer postrenalen und ggf. auch renalen Genese des Nierenversagens kann es auch zum Auftreten von Flankenschmerzen kommen. Die Patienten weisen ein erhöhtes Infektionsrisiko auf. Diese sind ein häufiger Grund für einen letalen Verlauf der Erkrankung.

Komplikationen des akuten Nierenversagen

Im Rahmen des akuten Nierenversagens kann es zum Auftreten verschiedener Komplikationen kommen. Diese sind beispielsweise das Auftreten eines Lungenödems, Lungenergusses, oder auch einer Linksherzinsuffizienz. Auch ein ARDS (acute respiratory distress syndrome) kann sich entwickeln.

Ferner wird durch die stress-assoziierte Hormonausschüttung die gastrointestinale Blutungsneigung gesteigert. Auch die Entwicklung eines Hirnödems mit Krampfanfällen und Vigilanzeinschränkung kann erfolgen. Es kann auch zu einer urämischen Intoxikation und einer metabolischen Azidose kommen.

Diagnostik

Die Diagnose eines akuten Nierenversagens wird anhand des Serumkreatinins und der ausgeschiedenen Urinmenge gestellt. Oft ist die Diagnose ein Zufallsbefund. Darauf sollte der Schweregrad des akuten Nierenversagens bestimmt werden. Wichtig ist die folgende Ermittlung der Ursache des akuten Nierenversagens.

Anamnese

Eine ausführliche Anamnese sollte folgende Punkte berücksichtigen:

  • stattgehabter Flüssigkeitsverlust oder das Vorliegen einer Hypertonie (z.B. Diarrhö, Op, Sepsis, Blutungen)
  • Medikamentenanamnese (insbesondere die Einnahme von nephrotoxischen Medikamenten sollte erfragt werden)
  • stattgehabte Kontrastmittelapplikation
  • Nebendiagnosen des Patienten (insbesondere Leichtkettenerkrankungen, Rhabdomyolyse, Harnsteine)
  • vorbestehende chronische Niereninsuffizienz
  • Symptome von Vaskulitiden, Glomerulonephritiden und Kollagenosen

Körperliche Untersuchung und Vitalparameter

Nach der Anamnese sollte eine körperliche Untersuchung inklusive Messung der Vitalparameter erfolgen. Es sollte hierbei insbesondere auf Zeichen eines verminderten zirkulierenden Blutvolumens geachtet werden (z.B. arterielle Hypotonie, verminderte Halsvenenfüllung). Auch Zeichen der Überwässerung als Folge der veränderten Ausscheidungsfunktion können auftreten. Hierzu zählen insbesondere das Vorliegen von Ödemen, einer Halsvenenstauung und einer arterielle Hypertonie.

Laboruntersuchung

Es sollte zudem eine Blutentnahme erfolgen. Die laborchemische Analyse sollte als Standardparameter Serum-Kreatinin und Harnstoff beinhalten. Ggf. kann Cystatin C bestimmt werden. Auch ein Blutbild sollte durchgeführt werden, um beispielsweise Zeichen einer hämolytischen Anämie oder Sepsis diagnostizieren zu können. Es sollten zudem der Kalium- und Natrium-Wert bestimmt werden. Eine venöse Blutgasanalyse zeigt typischerweise das Vorliegen einer Hyperkaliämie und eine metabolische Azidose beim akuten Nierenversagen.

Die Bestimmung von Autoantikörpern wie beispielsweise ANA, ANCA, dsDNA, anti-GBM-Antikörpern kann zur Diagnose des Auslösers des Nierenversagens hilfreich sein. Weitere Laborparameter, die bestimmt werden sollten, sind die Kreatininkinase beim Verdacht auf eine Rhabdomyolyse, das LDH bei der Frage nach Anämien und die Lipase/Amylase zur Diagnose einer Pankreatitis. Ferner sollte eine Blutkultur erfolgen um der Fragestellung nach einer Sepsis nachzugehen.

Urinstatus

Ein Urinstatus der Betroffenen soll zum einen die Frage nach einer Hämaturie und zum anderen die Frage nach einer Proteinurie klären. Zudem kann ein Urinsediment der Frage nach einer entzündlichen glomerulären Erkrankung nachgehen.

Bildgebung

In der Bildgebung zur Diagnose eines akuten Nierenversagens stehen verschiedene Verfahren (z.B. Sonographie, CT, MRT) zur Verfügung, insbesondere die Sonographie wird eingesetzt. Die Sonographie kann helfen zwischen einem prärenalen, intra- und postrenalen Nierenversagen zu unterscheiden.

Histologische Diagnostik

Bei Verdacht auf eine rapid-progressive Glomerulonephritis sollte zudem eine Biopsie erfolgen. Die Patienten eines akuten Nierenversagens sollten 3 Monate nach Auftreten des Ereignisses bezüglich der Erholung des akuten Nierenversagens, eines Neuauftretens einer chronischen Nierenerkrankung oder einer Progression einer vorbestehenden chronischen Nierenkrankheit beurteilt werden.

Therapie

Die Therapie des akuten Nierenversagens sollte entsprechend des Schweregrades und der Erkrankungsursache durchgeführt werden. Frühzeitige Identifizierung von Risikopatienten helfen die Patienten Stadium-basiert behandeln zu können.

Allgemein lässt sich festhalten, dass sowohl Risikopatienten als auch solche, die sich bereits im Stadium eines akuten Nierenversagens befinden, nephrotoxische Substanzen meiden sollten. Ferner sollte der Perfusionsdruck und Volumenstatus optimiert werden. Es sollte ein hämodynamisches Monitoring erfolgen. Es wird zudem empfohlen das Serum-Kreatinin und die Urinausscheidung zu überwachen und das Auftreten einer Hyperglykämie sollte vermieden werden. Zudem sollte eine Kontrastmittelgabe möglichst vermieden werden. Ab dem akuten Nierenversagen des Stadiums II sollte die Dosis der verwendeten Medikamente überprüft werden und die Aufnahme auf eine Intensivstation erwogen werden. Es sollte zudem ein Nierenersatz in Betracht gezogen werden.

Der Einsatz von Dopamin, welches in der Hoffnung die Diurese zu steigern eingesetzt wurde, sollte im Hinblick auf fehlenden Wirksamkeitsnachweis und möglichen Nebenwirkungen nicht mehr eingesetzt werden.

Die Leitlinie empfiehlt, dass kritisch kranke Patienten eine Insulintherapie mit dem Ziel eines Plasmaglukosewertes von 110-149mg/dl (6,1-8,3mmol/l) erhalten sollten. Es konnte in Studien gezeigt werden, dass strenge Blutzuckerkontrolle bei kritisch Kranken die absolute Inzidenz des akuten Nierenversagens um vier Prozent senken konnten.

Patienten jeglichen Schweregrades eines akuten Nierenversagens sollten eine Energiezufuhr von 20-30kcal/kg Körpergewicht/Tag erhalten. Eine Proteinbeschränkung hält die Leitlinie nicht für sinnvoll. Im Gegenteil sollten um einen Mangel an Aminosäuren vorzubeugen Proteine je nach Stoffwechsellage/Nierenausgangsposition enteral zugeführt werden. Die Patienten mit einem akuten Nierenversagen sollten zudem gemäß der Leitlinie enteral ernährt werden. Diuretika sollten in der Therapie des akuten Nierenversagens nur im Falle einer Überwässerung eingesetzt werden.

Prognose

Das akute Nierenversagen hat eine hohe Mortalität. Die Mortalitätsrate bei Intensivpatienten mit akutem Nierenversagen liegt bei etwa 30-40%. Die Prognose hängt im Wesentlich ab von der Ausprägung der ursächlichen Erkrankung, dem Vorliegen einer vorbestehenden Nierenfunktionsstörung sowie der Dauer bis zum Einleiten der entsprechenden Therapie.

Bei ungefähr der Hälfte der Patienten, die ein akutes Nierenversagen erlitten haben, bleibt eine chronische renale Schädigung bestehen. Rund 10% der Patienten, die ein akutes Nierenversagen hatten, benötigen eine Dialyse oder gar eine Nierentransplantation. 20-30% der Patienten werden chronisch niereninsuffizient.

Prophylaxe

Da eine renale Minderperfusion einen Risikofaktor für ein akutes Nierenversagen darstellt, empfiehlt die Leitlinie bei Risikopatienten für ein akutes Nierenversagen sowie bei Patienten mit manifestem akuten Nierenversagen ohne hämorrhagischen Schock die Verwendung iostonischer kristalliner Lösung anstatt kolloidaler Lösungen bei der Erstbehandlung zur Erhöhung des intravaskulären Volumens.

Experten schätzen nach aktueller Studienlage balancierte kristalloide Lösungen (z.B. Ringer-Laktat, Ringer-Acetat) als vermutlich besser ein. Um einen arteriellen Mitteldruck von mindestens 65 mmHg zu erhalten, sollten Patienten mit Schock oder einer Hypertonie, die ein Risiko für ein akutes Nierenversagen aufweisen bzw. bereits ein manifestes Nierenversagen aufweisen, Vasopressoren in Verbindung mit der Flüssigkeit erhalten. Um der Progression bzw. der Entwicklung eines akuten Nierenversagen vorzubeugen, sollte bei Hochrisikopatienten perioperativ bzw. bei Patienten, die einen septischen Schock erlitten haben, ein protokollbasierter Behandlungsplan für Hämodynamik und Oxygenierungsparameter verwendet werden. Es wird empfohlen Noradrenalin in der Behandlung einzusetzen. Vasopressin zeigte keine Vorteile und wird daher von der Leitlinie nicht empfohlen.

Zur Prophylaxe und auch zur Vermeidung einer Progression eines bereits bestehenden akuten Nierenversagens, sollten nephrotoxische Medikamente vermieden werden. Insbesondere sind die nephrotoxischen Aminoglykosidantibiotika zu meiden. Amphotericin B sollte liposomal verabreicht werden, bzw. sofern dies infektiologisch vertretbar ist, beispielsweise durch Azole oder Echinocandine ersetzt werden.

Zur Vermeidung einer Kontrastmittelnephropathie sollten als erstes Risikopatienten identifiziert werden (z.B. eine vorbestehende chronische Nierenkrankheit, Diabetes mellitus, vorliegender Hypertonus) und möglichst isoosmolare Kontrastmittel verwendet bzw. falls möglich Alternative Bildgebungsverfahren (z.B. MRT) verwendet werden. Prophylaktisch kann eine intravenöse Gabe von Kochsalz 0,9% oder isoosmolarem Bikarbonat erfolgen.

Autor:
Stand:
25.06.2019
Quelle:
  1. Bagshaw et al. (2007): Septic acute kidney in-jury in critically ill patients: clinical characteristics and outcomes. Clin J Am Soc Nephrol.;2:431-9.
  2. Bienholz et al. (2013). KDIGO-Leitlinien zum akuten Nierenversagen. Nephrologe;8:247-251; DOI: 10.1007/s11560-013-0752-1.
  3. Goldberg et al. (2008): Long-term outcomes of acute kidney injury. Adv Chronic Kidney Dis. 2008;15:297-307.
  4. KDIGO Leitlinien zum akuten Nierenversagen. Bayrisches Ärzteblatt 7-8/2015
  5. Uchino et al. (2005): Acute renal failure in critically ill patients: a multinational, multicenter study. JAMA.;294:813-8.
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