
COVID-19-Risiken für Krebspatienten
Im Epizentrum der Pandemie in Wuhan wiesen Patienten mit Krebserkrankung ein mehr als doppelt so hohes Risiko einer Infektion mit SARS-CoV-2 (engl. für severe acute respiratory syndrome coronavirus 2) auf als die Allgemeinbevölkerung. Auch für Krebspatienten, die gerade keine Therapie erhielten, war das Infektionsrisiko erhöht. Ein wichtiger Risikofaktor für die Coronavirus-Erkrankung 2019 (engl. Coronavirus Disease 2019, kurz COVID-19) war zudem eine häufige Vorstellung im Krankenhaus oder stationäre Behandlung [1].
Das Risiko für einen schweren oder letalen Verlauf von COVID-19 ist bei Krebspatienten hoch, in einer chinesischen Kohorte entwickelte mehr als die Hälfte der an COVID-19 erkrankten Krebspatienten schwere Symptome und die Mortalitätsrate lag bei 28,6%. Hier war ein Risikofaktor für einen schweren Verlauf, wenn in den letzten 14 Tagen eine Krebstherapie erfolgt war (wir berichteten) [2]. Zudem weisen viele Krebspatienten auch die allgemein für einen schweren Verlauf von COVID-19 geltenden Risikofaktoren Alter und Komorbiditäten auf [3].
Risiken durch das Verzögern der Krebsdiagnose
Auf der anderen Seite kann das Verzögern von Diagnose und Therapie die Prognose von Krebspatienten verschlechtern. Professor Dr. Michael Baumann vom Deutschen Krebsforschungszentrum erklärte in einer Pressemitteilung, dass in Deutschland derzeit vor allem Früherkennungs- und Abklärungsmaßnahmen verschoben werden. Das sei nur über einen kurzen Zeitraum tolerierbar, sonst könnten Tumoren möglicherweise erst in einem fortgeschrittenen Stadium mit dann schlechterer Prognose erkannt werden. Es wird eine Bugwelle an Diagnosen erwartet, wenn Früherkennung und Abklärung wieder aufgenommen werden [4].
Risiko Therapieverzögerung
Bei Therapieverzögerungen gibt es aus Metaanalysen eine klare Evidenz für eine schlechtere Prognose. So erhöht jeder Monat, den ein Kopf-Hals-Tumor später bestrahlt wird, das Mortalitätsrisiko um 16% [5]. Jeder Monat, den eine adjuvante Chemotherapie beim kolorektalen Karzinom verzögert wird, verschlechtert die Überlebenschance um 14%, jeder Monat Verzögerung einer adjuvanten Chemotherapie beim Mammakarzinom um 8% [6, 7]. Es scheint plausibel, dass Verzögerungen auch bei anderen Behandlungen und Tumorerkrankungen je nach Situation mit mehr oder weniger ausgeprägten ungünstigen Effekten einhergehen können [8].
Risiko Ressourcenmangel durch COVID-19
Je mehr Ressourcen für die Versorgung von Patienten mit COVID-19 bereitgehalten oder tatsächlich in Anspruch genommen werden, umso mehr kann es zur Notwendigkeit einer Priorisierung von Maßnahmen kommen.
Alarmbereitschaft, kaum COVID-19-Erkrankte
Besteht nur eine erhöhte Alarmbereitschaft, stehen die bekannten Maßnahmen zum Schutz von Patienten und Personal vor COVID-19 im Vordergrund und die Krebstherapie kann unter Berücksichtigung der entsprechenden hygienischen und infektionsmedizinischen Schutzmaßnahmen weitgehend wie geplant erfolgen. Die Zahl der Klinikkontakte sollte minimiert werden, wo möglich, sollten Therapien ambulant und Patientenkontakte per Videosprechstunde durchgeführt werden [8].
Stärkerer Ressourcenverbrauch durch COVID-19-Patienten
Bei stärkerer Belastung durch zu versorgende Patienten mit COVID-19 müssen eventuell Ressourcen eingespart werden. Konsolidierungs- und Erhaltungstherapien können in ihrer Frequenz reduziert werden, berichtet Prof. Dr. Timothy Hanna von der Queen’s Universität in Kingston, Kanada: In seiner Abteilung wird beispielsweise Durvalumab als Konsolidierung beim nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom statt alle zwei nur alle vier Wochen verabreicht. Wichtig sind supportive Therapien, beispielsweise das Vermeiden von Neutropenien durch Gabe von Granulozyten-Koloniestimulierende Faktoren (G-CSF) oder eine adäquate Schmerztherapie zur Überbrückung bis zum Beginn der Therapie [8].
Starke Belastung im Hot Spot
Bei starker Belastung der Kliniken einer ganzen Region durch einen Infektion-Hot-Spot können im schlimmsten Fall nur noch Notfallbehandlungen wegen einer akuten Lebensgefahr (z. B. Therapie bei akuter myeloischer Leukämie) oder massiver Morbidität (z.B. Operation bei Rückenmark-Kompression) stattfinden [8].
Entscheidungsfindung im Team und mit dem Patienten
Für die komplexe Abwägung der Risiken durch COVID-19 auf der einen und die Krebserkrankung auf der anderen Seite und auf dem Hintergrund des regionalen Ressourcenbedarfs durch COVID-19 wird die multidiziplinäre Fallkonferenz empfohlen – in Zeiten der Pandemie natürlich virtuell [8].
Für die Entscheidung von Bedeutung sind unter anderem die Art und Aggressivität der Krebserkrankung und das Ziel der Therapie. Keinen Aufschub duldet beispielsweise die chirurgische Therapie bei einem Lungenkarzinom mit einem Tumordurchmesser von 2 cm und mehr oder ein Kolonkarzinom mit Ileus, während die chirurgische Entfernung von nicht-melanozytärem Hautkrebs oder vielen Schilddrüsenkarzinomen laut Hanna durchaus mehr als drei Monate hinausgezögert werden kann [8].
Keine unnötigen Therapieverschiebungen für deutsche Patienten!
Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO) betont in ihrer Leitlinie, dass zum jetzigen Zeitpunkt (bei insgesamt geringer Belastung des deutschen Gesundheitssystems durch die COVID-19-Pandemie) in den meisten Fällen die effektive Behandlung der Krebserkrankung für das Überleben der Patienten wichtiger ist als übertriebene Vorsichtsmaßnahmen im Sinne unnötiger Unterbrechungen oder Verschiebungen. Zudem spreche häufig für die Therapie, dass Patienten mit gut kontrollierten Krebserkrankungen ein geringeres Infektionsrisiko haben. Das Absetzen einer bewährten Therapie könne zudem Patienten teilweise durch ein Rebound-Phänomen zusätzlich gefährden. Therapieentscheidungen müssen aber letztlich für jeden Patienten einzeln erfolgen und sollten verschiedene Kriterien berücksichtigen (Tabelle) [9].
Tabelle: COVID-19: Entscheidungskriterien für eine Krebstherapie in Zeiten der COVID-19-Pandemie (nach [9])